Die neue SP-Nationalrätin Farah Rumy (32) schaffte es in nur vier Jahren vom Spital ins Bundeshaus. Jetzt sagt die gelernte Pflegerin, wie es um die Pflegeinitiative steht und warum sie ihre Migrationsgeschichte nicht automatisch zur Migrationsexpertin macht.
FARAH RUMY: Die Pflegerin schaffte mit nur 32 Jahren den Sprung in das Schweizer Parlament. (Foto: Severin Nowacki)
Knapp 100 Tage sitzt Farah Rumy (32) nun im Nationalrat. Diese Zeit war intensiv, neu, herausfordernd und motivierend. work trifft Rumy zum Feierabendtee im Grenchner Stadtkern, die Nationalrätin kommt direkt vom letzten Sessionstag. Die Wahl im vergangenen November kam für sie überraschend: In ihrem Heimatkanton Solothurn erhielt sie die zweitmeisten Stimmen. Weil ihre SP-Parteikollegin Franziska Roth im zweiten Wahl-gang den Sitz im Ständerat für sich gewinnen konnte, rückte Rumy nach. Das war ihr Eintrittsticket nach Bundesbern. «Die Wahl hat mein Heimatgefühl zu Grenchen und dem Kanton Solothurn noch mehr bestärkt.» Für die diplomierte Pflegefachfrau ist es wichtig, die Basis im Parlament zu vertreten: «Ich will wissen, wo der Schuh bei der Bevölkerung drückt.»
DEN SPIESS UMDREHEN
Für Rumy liegt der Fokus ihrer politischen Arbeit klar in der Pflege. Als Jugendliche hat sie eine Lehre als Fachfrau Gesundheit bei der Spitex absolviert, bildete sich zur diplomierten Pflegefachfrau weiter und arbeitete viele Jahre in der Branche – mal am Spitalbett, mal im Labor. Sie kennt alle Sonnen- und Schattenseiten dieses Berufs. Ihre Arbeit in der Pflege hat sie politisiert. «Besonders während der Coronapandemie spitzte sich die Lage nicht nur für Patientinnen und Patienten zu. Der Druck auf die Pflegekräfte wurde immens.» Rumy erinnert sich noch genau an eine lange Schicht auf der Intensivstation im Solothurner Spital. «Eine gute Kollegin traf während dieser Schicht aus Verzweiflung den Entscheid, den Beruf zu verlassen. Und ich fällte den Entscheid, etwas gegen den Pflege-Exodus zu unternehmen.»
AUS DEM BERUF: Die Grenchnerin setzt sich stark für die Umsetzung der Pflegeinitiative ein. (Foto: Severin Nowacki)
Monatlich verlassen aktuell 300 Menschen den Beruf. Für die Nationalrätin eine besorg-niserregende Ausgangslage. Aber sie will nicht schwarzmalen: «In der Pflege zu arbeiten ist ein Knochenjob, aber es ist ein wichtiger und schöner Beruf, der um jeden Preis geschützt werden muss.» Deshalb hat für Rumy auch die Umsetzung der Pflegeinitiative eine grosse Priorität. Das Ziel ist klar: «Die Initiative muss noch in dieser Legislatur umgesetzt werden!» Zurzeit arbeitet sie mit, das zweite Paket der Initiative durchzusetzen. Während es im ersten Paket um eine Ausbildungsoffensive ging, geht es jetzt um die Arbeitsbedingungen sowie die Verbesserung der Weiterbildungsmöglichkeiten. «Während der Pandemie hat die Politik viel von den Pflegenden erwartet. Jetzt müssen wir den Spiess umdrehen.» Die Pflegenden brauchen mehr Lohn, Zeit und Anerkennung.
Aktuell ist ein wichtiges Pflegethema auch im Parlament umstritten: Mit der einheitlichen Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen (Efas) möchte man medizinische Leistungen aus einem Topf finanzieren. Wie work bereits berichtete, profitieren davon höchstens die Krankenkassen, nicht so die Kranken und Pflegenden. In der Schlussabstimmung im Nationalrat über Efas enthielt sich Farah Rumy ihrer Stimme, ebenso im Gespräch mit work.
EINE SENSATION
Mit ihrer Wahl in den Nationalrat erhielt die 32jährige auf einen Schlag eine grosse mediale Bühne, zahlreiche Portraits, Interviews und Artikel sind über sie erschienen. Immer wird Rumy als «aussergewöhnliche» Nationalrätin betitelt. Ihre Migrationsgeschichte wird ausnahmslos thematisiert. Sie ist die erste gewählte Nationalrätin mit Wurzeln aus Sri Lanka. Dass das eine Sensation ist, bestreitet Rumy nicht. Aber es sollte klar sein: «Nur weil ich selbst eine Migrationsgeschichte habe, bin ich nicht eine Migrationsexpertin.»
ZU WENIG DIVERSITÄT IN DER POLITIK
Rumy ist 1991 in Sri Lanka geboren und zog im Alter von sechs Jahren mit ihrer Familie nach Grenchen. Sie besucht alle paar Jahre ihre Verwandtschaft in Sri Lanka und kocht mit ihrer Mutter gerne traditionelle Speisen. Doch für Rumy ist klar: «Ich bin stolze Grenchnerin.» Während ihrer Schulzeit und ihrem Berufseinstieg bekam Rumy nicht den Eindruck, sie sei «anders als alle anderen». Denn Grenchen ist eine diverse Stadt, fast 40 Prozent der Bevölkerung haben eine Migrationsgeschichte. «Diese Vielfalt, die Grenchen und die ganze Schweiz haben, bereichert uns», sagt sie. Ihre politische Arbeit hat Rumy vor Augen geführt, wie unterrepräsentiert Menschen mit Migrationshintergrund in Räten und Kommissionen sind. «Das ist sehr problematisch! Die Politik bildet die Bevölkerung in ihrer Diversität nicht real ab.» Deshalb setze sie sich politisch auch für Migrantinnen und Migranten ein. Denn mit ihren eigenen Erfahrungen kennt sie deren Lebensrealitäten.
IN SRI LANKA GEBOREN: Trotz ihrer Wurzeln hat sich Farah Rumy in der Schule nie fremd gefühlt. (Foto: Severin Nowacki)
Rumy hat sich als Jugendliche mit ihrer Familie in Grenchen einbürgern lassen. Der Prozess blieb ihr nicht in guter Erinnerung. Sie weiss: Das will sie ändern! Und sitzt deshalb heute in der Einbürgerungskommission ihrer Heimatstadt. Für Rumy muss der Einbürgerungsentscheid nach Fakten getroffen werden und nicht nach einem Bauchgefühl. Es erfüllt sie mit Stolz, dass sie mit ihrer Wahl in den Nationalrat Menschen mit Migrationsgeschichte zur politischen Teilhabe und zur Einbürgerung motiviert hat.
Nach der zweiten Session im Nationalrat weiss Rumy: «Dieses Amt ist ebenfalls ein Knochenjob!» Doch die Freude über die neue Verantwortung überwiegt, auch wenn die Arbeit im Parlament frustrierend sein kann. «Im Nationalrat sitzt eine bürgerliche Mehrheit. Viele wichtige linke Vorstösse werden in den Sand gesetzt», sagt Rumy. Der Sieg zur 13. AHV war für Rumy ein Highlight. Die grosse Zustimmung der Stimmbevölkerung soll allen Politikerinnen und Politikern bewusst sein. Und mit diesem grossen Elan geht es für Rumy in kommende Abstimmungen, wie jene zur Prämieninitiative im Sommer. Dabei geht es um die Entlastung bei den Krankenkassenprämien. Für die diplomierte Pflegefachfrau Rumy ein wichtiges Anliegen, denn die immer weiter steigenden Gesundheitskosten führen zu einem noch grösseren Kaufkraftverlust.
DREIMAL MEHR LEISTEN
Zu ihrem «alten» Job als Pflegerin gibt es auch als Nationalrätin einige Parallelen: «Als junge Frau muss man sich auch im Nationalrat dreimal mehr beweisen als ein Mann.» Das kenne sie bereits im Umgang mit Menschen im Gesundheitswesen. Sich an ihr neues Leben als Nationalrätin zu gewöhnen brauche noch etwas Zeit. «Ich muss aufpassen, mich nicht auch in meiner Freizeit ständig mit der Politik zu befassen», meint sie. Abschalten kann Rumy beim Kochen und beim Lesen. Und wenn sie eine längere Pause braucht, verreist sie gerne, um neue Kulturen kennenzulernen.
Vielseitig unterwegs
Farah Rumy ist Mitglied des Schweizer Parlaments, sitzt in der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates und ist Co-Präsidentin des Schweizer Berufsverbandes für Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner. Neben ihren politischen Ämtern arbeitet sie als stellvertretende Berufsschullehrerin für angehende Pflegekräfte.