Seit Tagen streikt die Belegschaft von Micarna in Ecublens VD. Weil die Migros die Fleischfabrik schliessen und die Arbeitenden billig schassen will. Jetzt schickt der orange Riese auch noch illegale Streikbrecher!
LAUTSTARK: Micarna-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter protestieren vor einer Migros-Filiale in Lausanne. (Foto: Keystone)
Im Morgengrauen des 29. Februars trifft sich die komplette Belegschaft der Fleischfabrik in Ecublens VD zu einer ausserordentlichen Betriebsversammlung. Und beschliesst einstimmig: Wir streiken! Denn der Micarna-Betrieb in der Nähe von Lausanne soll im Frühling 2025 geschlossen werden. Die 84 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen dabei auf der Strasse landen – und zwar ohne einen Sozialplan, der diesen Namen verdient. So zumindest plant es offenbar die Migros. Doch der orange Riese hat die Rechnung ohne seine Belegschaft gemacht.
Micarna-Arbeiter André Malani* sagt: «Wir fordern nur, dass die Geschäftsleitung unsere Delegation empfängt.» Und weiter: «Sie werden einlenken, nur Dumme ändern ihre Meinung nicht.»
NULL DIALOGBEREITSCHAFT
Doch bis jetzt hat Micarna die Meinung nicht geändert. Im Gegenteil: Die Migros-Tochter will ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sogar den genauen Inhalt des bisherigen Sozialplans verschweigen! Eine der Unia zugetragene Version sieht jedenfalls schäbig aus und unterschreitet die Mindestforderungen der Streikenden massiv (hier gibt es die Details). Zudem weigert sich die Geschäftsleitung stur, mit der Unia an den Tisch zu sitzen. Obwohl die Gewerkschaft von allen Streikenden das Verhandlungsmandat erhalten hat!
Migros-Sprecherin Carmen Hefti bestätigt gegenüber work, dass die Migros nicht beabsichtige, mit der Unia zu verhandeln: «Die Verhandlungen führen wir mit unseren langjährigen Sozialpartnern.» Heisst, mit dem braven Kaufmännischen Verband (KV), dem noch braveren Metzgereipersonal-Verband (MPV) und der hauseigenen Landeskommission der Migros-Gruppe (LAKO). «Die Gespräche verlaufen stets sehr konstruktiv und mit grosser Rücksichtnahme auf unsere Belegschaft», beteuert Hefti weiter. Alles andere als «konstruktiv» zeigten sich diese «langjährigen Sozialpartner» gegenüber den Streikenden. In einer empörten Medienmitteilung forderten der KV und der MPV den sofortigen Abbruch des Streiks. Dieser untergrabe nichts weniger als «den sozialen Frieden in der Schweiz».
PROTEST IN LAUSANNE
Angesichts dieser heftigen Dynamik hat sich längst auch Unia-Präsidentin Vania Alleva eingeschaltet. Sie sagt: «Es ist unglaublich, mit welcher Verachtung die Migros ihren Mitarbeitenden begegnet.» Alleva besuchte die Streikenden und war auch bei einer Protestaktion vor einem Lausanner Shoppingcenter dabei. Dort sagte sie: «Wir erwarten, dass die Migros an den Verhandlungstisch kommt und sich nicht wie ein unsozialer, internationaler Grosskonzern verhält.»
SOLIDARISCH: Unia-Präsidentin Vania Alleva besucht die Streikenden vor der Fleischfabrik in Ecublens VD. (Foto: Unia)
Die langjährige Mitarbeiterin Isabelle Ramirez* ist ebenfalls enttäuscht von der Migros: «Ich arbeite seit 30 Jahren hier. Wo soll ich in meinem Alter Arbeit finden? Ich verlange nur einen akzeptablen Arbeitsplatz. Die Migros ist gross. Sie helfen uns jedoch nur bei unseren Lebensläufen und Bewerbungsschreiben.» Und für Micarna-Arbeiterin Lara Miraud* ist klar, dass die Migros Jobalternativen in der Region anbieten muss: «Ich mag meine Arbeit, aber ich gehe nicht nach Freiburg, Neuenburg oder Schönbühl. Mein Leben ist hier.»
TEMPORÄRE ALS STREIKBRECHER
Die Streikenden lassen sich nicht beirren. Sie verlangen inzwischen nicht nur Verhandlungen, sondern wollen auch verhindern, dass temporär angestellte Streikbrecher die Fleischverarbeitung übernehmen. Der Einsatz von temporär Beschäftigten bei einem Streik ist verboten. So steht es im Personalverleih-GAV. Arnaud Bouverat, Regionalsekretär der Unia Waadt, hat deshalb ein Verfahren bei der Paritätischen Kommission eingeleitet. Die streikenden Angestellten verlangen auch, dass sich Micarna schriftlich dazu verpflichtet, keine Strafmassnahmen gegen sie zu ergreifen. Insbesondere die Temporären unter den Streikenden sind ins Visier der Geschäftsleitung geraten. Übers Wochenende wurden etliche von ihnen angerufen und eingeschüchtert. Das ist nicht der einzige Gesetzesverstoss.
REGELBRÜCHE AM LAUFMETER
Laut der Waadtländer Unia hat Micarna die Standortschliessung nicht einmal ordnungsgemäss beim Kanton gemeldet. Micarna verstosse damit gegen die gesetzlichen Bestimmungen über Massenentlassungen. Auch andere arbeitsrechtliche Normen werden in der Fleischfabrik offenbar missachtet: Ein Arbeiter berichtete von Tagen, an denen bis zu 14 Stunden am Stück gearbeitet wurde! Mit ihrer Weigerung, das Mandat der Unia anzuerkennen, verletzt die Migros schliesslich die in der Bundesverfassung und im L-GAV der Migros-Gruppe garantierte Koalitionsfreiheit der Beschäftigten. Es bleibt also wieder mal an diesen, dem Konzern Mores zu lehren. Und an den Kundinnen und Kunden!
*Namen geändert
Streikbrecher von aktenkundiger Firma
Micarna setzt in Ecublens auch auf Streikbrecher des Personalverleihers Valjob. Das Genfer Arbeitsgericht sprach die Temporärfirma letztes Jahr wegen einer missbräuchlichen Kündigung schuldig und rügte ihre Geschäftspraxis ganz grundsätzlich – und zwar als «mindestens fragwürdig». In der Valjob-Führung sitzt die Walliser alt CVP-Nationalrätin Monique Paccolat. work berichtete. (isc)