Seit 20 Jahren kennt die Schweiz auf Bundesebene die «Schuldenbremse». Mit ihrer Hilfe verhindert die bürgerliche Mehrheit Investitionen, die ihr nicht passen. Für die Rettung der Banken, Steuersenkungen für Reiche, Armee und Landwirtschaft ist dagegen immer Geld da.
EX-FINANZMINISTER: Kaspar Villiger. (Foto: Keystone)
Die Erzählung tönt gut: Wie jeder private Haushalt müsse auch der Bund schauen, dass Ende Monat quasi nicht mehr ausgegeben als eingenommen wurde. Tönt irgendwie logisch. Und ist total falsch. Doch dank dauernder Wiederholung haben sie bürgerliche Ökonomen und Politikerinnen erfolgreich in viele Köpfe gepflanzt. So erfolgreich, dass eine Mehrheit der Stimmenden 2001 Ja sagte zur Verankerung der «Schuldenbremse» in der Bundesverfassung. 2003 wurde sie zur Freude des damaligen FDP-Finanzministers Kaspar Villiger eingeführt. Und im vergangenen September feierten marktradikale Ökonomen mit bürgerlichen Politikerinnen und Politikern Jubiläum. Auch die aktuelle Finanzministerin Karin Keller-Sutter kam nicht aus dem Rühmen heraus. Sie verkörpert die Konstanz der bürgerlichen Finanzpolitik hervorragend. Wenn es um die Interessen der Lohnabhängigen und von Rentnerinnen und Rentnern geht, wollen die Bürgerlichen kein Geld haben. Für den Finanzplatz aber, die Armee, die Bauern und für Steuergeschenke an Konzerne und Superreiche stellen sie mit leichter Hand enorme Summen zur Verfügung. Das hat eine lange Geschichte, die Wirtschaftshistoriker und Unia-Präsidialsekretär Philipp Müller vor einem Jahr hier nachgezeichnet hat.
ZUM GLÜCK ERST 2003
Angebliches und hehres Ziel, mit dem die Schuldenbremse dem Volk verkauft wurde und das heute noch munter angeführt wird: Wir dürfen den kommenden Generationen keine Schulden überlassen, weil sonst deren politischer Spielraum eingeschränkt würde. Tönt irgendwie logisch. Und ist total falsch. Von der Verschuldung unserer Vorfahren für die Infrastrukturprojekte unserer Vorfahren – Eisenbahn etwa und Wasserkraft – profitieren bis heute einige Generationen. Und vor allem: So wie die bürgerliche Mehrheit den Verfassungsauftrag der Schuldenbremse umgesetzt hat, wurde sie definitiv zur Fortschrittsbremse.
PROGRAMMIERTER SOZIALABBAU
Die Bundes-Schuldenbremse funktioniert vereinfacht so: Macht der Bund finanziell vorwärts – entsprechend pessimistisch budgetieren hilft! –, müssen Überschüsse zwingend für den Schuldenabbau verwendet werden. Sie dürfen nicht in den Folgejahren investiert werden. Defizite hingegen müssen in den folgenden Jahren ausgeglichen werden. So kann die bürgerliche Parlamentsmehrheit fortschrittliche Anliegen einfach bodigen. Und die Schweiz hat zwar eine weltrekordtiefe Schuldenquote. Dafür zum Beispiel weder genügend bezahlbare Kita-Plätze noch ausreichend Prämienverbilligungen, noch investiert sie genügend in den ökosozialen Umbau. Gibt die bürgerliche Parlamentsmehrheit dagegen für ihre Lieblinge mehr Geld aus, geraten die Sozialausgaben unter Druck. Das ist von rechts durchaus erwünscht. Schuldenbremse-Bejublerin Karin Keller-Sutter macht’s vor: Für die zusätzlichen Armeeausgaben will sie bei den Witwen- und Kinderrenten und bei der Arbeitslosenversicherung kürzen.