Viele Coiffeurmeister nehmen es mit dem GAV nicht so genau
«Es braucht massiv mehr Kontrollen in der Coiffeurbranche»

In der Coiffeur-Branche zeigen neue Zahlen aus dem Tessin: Wo viel kontrolliert wird, halten mehr Betriebe den GAV ein. Der neue Vertrag bringt jetzt auch schärfere Strafen.

KEINE HAARSPALTEREI: Der GAV verlangt höhere Löhne, und vermehrte Kontrollen sollen dies sicherstellen. (Foto: Keystone)

Bei besonders unfallträchtigen Strassenabschnitten warnt die Polizei manchmal gleich selber: Achtung, Radarkontrolle! Denn wer weiss, dass kontrolliert wird, hält sich eher an die Regeln.

Das gilt auch für Arbeitgeber. Ein Gesamtarbeitsvertrag (GAV) ist wichtig – aber wirksam ist er erst dann, wenn Chefinnen und Chefs mit einer Kontrolle rechnen müssen. Je grösser das Risiko einer Kontrolle, desto mehr Firmen halten den GAV ein.

Beispielhaft zeigen das die neusten Zahlen aus dem Coiffeurgewerbe. Weil es viele Betriebe gibt, aber bisher wenig Mittel für die Kontrollen, nehmen es in der Branche viele Chefs mit dem GAV nicht so genau. Und die, die kontrolliert werden, machen oft keine gute Falle. Von den 241 Coiffeursalons, welche die Paritätische Kommission im vergangenen Jahr in der ganzen Schweiz kontrollierte, hielten nur gerade 20 den GAV vollumfänglich ein. Bei 92 stellte die Kommission kleine Verfehlungen fest – etwa, dass die Prämie der Unfallversicherung sank und der Betrieb dies nicht anpasste. Claudia Hablützel, Leiterin der Geschäftsstelle: «Wir zählen natürlich jeden Franken. Wenn Mitarbeitende Geld zugute haben, muss die Firma das nachzahlen und uns dies auch belegen.»

Wenn die Kontrolle ernsthafte GAV-Verstösse an den Tag bringt, spricht die Kommission zusätzlich eine Konventionalstrafe aus. Und das kommt oft vor: Letztes Jahr mussten 129 der kontrollierten Betriebe eine solche Busse bezahlen. Also mehr als die Hälfte!

TESSIN MACHT’S VOR

Wie es besser geht, zeigt die Entwicklung im Kanton Tessin. Vor wenigen Jahren noch das Schlusslicht, was das Einhalten des GAV angeht, gehört der Kanton jetzt zur Spitze. Das geht zurück aufs Jahr 2018. Damals trat ein neuer Gesamtarbeitsvertrag in Kraft, der erstmals einen Mindestlohn auch für Ungelernte vorschrieb. Hablützel: «Von ihnen gibt es im Tessin besonders viele, da die Salons viele Arbeitskräfte in Italien rekrutieren.» Die Vertragsparteien Unia, Syna und Coiffure Suisse beschlossen deshalb, dort deutlich mehr Kontrollen durchzuführen als im Rest der Schweiz. So dass innert weniger Jahre jeder Coiffeursalon im Tessin kontrolliert wurde. «Einige», so Hablützel, «sogar mehrmals».

Tatsächlich kamen viele Verstösse ans Licht. Noch 2021 mussten 73 Prozent der kontrollierten Betriebe eine Strafe bezahlen. Doch dann gab es eine Trendwende. Claudia Hablützel: «Jetzt gelangen mehr und mehr Betriebe mit Fragen an uns, wie sie den GAV richtig anwenden sollen.» Das schlägt sich auch in den Zahlen nieder: 2023 endeten im Tessin nur noch 20 Prozent aller Kontrollen mit einer Konventionalstrafe. Viel weniger als im Schweizer Durchschnitt.

STRENGERE STRAFEN

Für Igor Zoric, bei der Unia für die Coiffeurbranche verantwortlich, ist klar, was das heisst: «Es braucht auch im Rest der Schweiz massiv mehr und effektivere Kontrollen als heute! Nur so können Coiffeusen und Coiffeure, aber auch faire Arbeitgeber vor Lohn- und Preisdumping geschützt werden.»

Der neue Coiffure-GAV, seit diesem Jahr in Kraft (siehe Kasten), verschärft die Sanktionen. Die maximale Strafe lag bisher bei 8000 Franken. Kontrolleurin Hablützel sagt zu dieser Grenze: «Gerade für grosse Betriebe war das keine spürbare Sanktion.» Jetzt kann die Kommission Strafen bis zu 25 000 Franken aussprechen. Und neu auch Arbeitgebern die Kosten einer Kontrolle auferlegen, sofern gröbere Verstösse ans Licht kommen oder wenn sie nicht kooperieren. Claudia Hablützel: «Dem sagt man Verursacherprinzip.»

 

Mindestlöhne steigen rascher an

Seit Anfang Jahr gilt in der Coiffeurbranche ein neuer Gesamtarbeitsvertrag (GAV) mit besseren Mindestlöhnen. Der Einstiegslohn für Ungelernte ist von monatlich 3470 Franken brutto auf 3550 Franken angehoben worden. In den nächsten drei Jahren wird er schrittweise bis auf 3880 Franken steigen. Für Gelernte liegt der Einstiegs-Mindestlohn dieses Jahr bei 4000 Franken, im Jahr 2027 bei 4240 Franken.

Neu steigen nach dem Berufseinstieg die Mindestlöhne rascher an, innerhalb von drei statt bisher fünf Berufsjahren. Das soll jungen Menschen den Einstieg in den Beruf schmackhaft machen. Bereits mit drei Jahren Berufserfahrung erreichen sie den höchsten Mindestlohn. Er beträgt dieses Jahr 3950 Franken für Ungelernte und 4190 für Gelernte. Auch diese Löhne steigen in den kommenden Jahren schrittweise an, bis auf 4150 beziehungsweise 4460 Franken. (che)

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