Vor sechs Jahren wurde die linke Politikerin Marielle Franco in Rio de Janeiro regelrecht hingerichtet. Jetzt ist klar: die Auftraggeber waren zwei Politiker, gedeckt hat sie der Polizei-Chef von Rio de Janeiro. Es geht um Rassismus, Korruption, Mafia-Clans und viel Geld.
MUTIGE FRAUENRECHTLERIN: Politikerin Marielle Franco im Januar 2018, nur zwei Monate später wurde sie ermordet. Jetzt erst wurden die Drahtzieher hinter dem Verbrechen festgenommen. (Foto: Keystone)
Es ist der 14. März 2018 in Rio de Janeiro, Brasilien. Die linke Stadträtin Marielle Franco sitzt mit ihrer Mitarbeiterin Fernanda Chavez im Auto, am Steuer ihr Fahrer Anderson Gomes. Plötzlich fallen Schüsse, aus einem vorbeifahrenden Auto wird 13 Mal auf Marielle Franco geschossen. Sie ist sofort tot, ihr Chauffeur erliegt wenig später seinen Verletzungen. Wie durch ein Wunder überlebt Chavez.
Marielle Francos Tod traf Brasilien mitten ins Herz, ihre Ermordung sorgte weltweit für einen Aufschrei. Der Anschlag auf Marielle war ein Anschlag auf alle Frauen (work berichtete).
HOFFNUNGSTRÄGERIN
Aufgewachsen in einem Armenviertel von Rio, schaffte es die alleinerziehende, homosexuelle Afrobrasilianerin in den Stadtrat von Rio. Dort leitete sie die städtische Frauenkommission. Sie forderte die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, kämpfte gegen Rassismus und den offenen Drogenkrieg, in den auch immer wieder gewalttätige Polizisten und korrupte Militärs verwickelt sind.
Jetzt, sechs Jahre später, wurden die mutmasslichen Drahtzieher hinter dem Mord gefasst. Es sind dies der damalige Polizeichef von Rio, Rivaldo Barbosa, sowie Chiquinho Brazão, Abgeordneter des Nationalkongresses, und sein Bruder Domingos, Mitglied des Rechnungshofes des Bundesstaates Rio de Janeiro.
ÜBERFÜHRT: Der Abgeordnete Chiquinho Brazão ist einer der Drahtzieher hinter dem Mord an Marielle Franco. (Foto: Keystone)
Marielle Franco stand ihnen im Weg. Denn sie war besonders im Westen der Stadt aktiv, der Einflusssphäre der Brazão-Brüder und ihrer zwielichtigen Organisationen. Franco wollte dort die soziale Nutzung von Wohngebieten durchsetzen, entgegen den Interessen der Brazãos. Und sie stimmte im Stadtrat gegen die Legalisierung von illegalen Bauten.
SCHOCK FÜR DIE WITWE
Die Brüder Brazão stehen an der Spitze eines einflussreichen Politiker-Clans. Sie wurden mehrmals wegen Korruption verurteilt, sassen auch schon im Gefängnis. Und sie haben enge Verbindungen zu den Milizen – einer Form der organisierten Kriminalität, die vom Inneren des Staates aus organisiert ist. Korrupte Polizeibeamte arbeiten dabei Hand in Hand mit der Politik, so wie Rios Ex-Polizeichef Rivaldo Barbosa. Für Marielle Francos Angehörige und für ganz Brasilien ist das ein Schock. Hatte er doch kurz nach der Ermordung den Angehörigen blumig versprochen, die Aufklärung dieses Verbrechens sei für ihn «Ehrensache». Am Tag vor Francos Ermordung war er in den Chefsessel befördert worden und beteuerte in seiner Eröffnungsrede, die Korruption bekämpfen zu wollen. Jetzt wurde bekannt, dass Barbosa schon Jahre zuvor an der Planung des Mordes beteiligt gewesen war. Er soll den Brazão-Brüdern garantiert haben, dass sie nicht verurteilt würden. Vom ersten Tag an behinderte er die Ermittlungen, sorgte zum Beispiel dafür, dass Videoaufnahmen vom Tatort verschwanden.
IKONE: Dieses Wandbild in Rio erinnert an die ermordete Politikerin. (Foto: Keystone)
Francos Witwe, Monica Benicio, sagte kurz nach den Festnahmen in den brasilianischen Medien: «Wir verstehen nun, dass die Polizei nicht nur fahrlässig gehandelt hat. Es lag nicht nur an einem ‹Misserfolg›, dass wir sechs Jahre lang Schmerzen hatten. Die ganze Zeit, während sie den Fall lösen wollten, waren sie als Komplizen mitschuldig.» Das sei nicht nur ein Betrug, sondern auch ein Angriff auf die Demokratie und sage viel aus über den Zustand von Rios Politik.
KILLER UND BOLSONARO-FREUND
Der Anschlag auf die linke Politikerin war von langer Hand geplant. Die Brazão-Brüder hatten einen Spitzel in ihrer Partei für Sozialismus und Freiheit (PSOL) eingesetzt und den Auftragskiller Ronnie Lessa samt Chauffeur engagiert. Die beiden wurden bereits kurz nach dem Auftragsmord gefasst, und Lessa hat den Anschlag gestanden, über die Hintergründe jedoch fünf Jahre lang geschwiegen. Jetzt hat er ausgepackt, mit Aussicht auf eine kürzere Haftstrafe und andere Begünstigungen.
Pikant: Lessa und Brasiliens Ex-Präsident Jair Bolsonaro kannten sich gut. Der Auftragskiller und der rechtsextreme Politiker waren befreundet und lebten in derselben geschlossenen Wohnanlage. Das berichtet die britische Zeitung «Guardian» und beruft sich dabei auf den über 400 Seiten umfassenden Polizeirapport.
GESICHT EINER BEWEGUNG: Diese Demonstrantin in Rio de Janeiro fordert Gerechtigkeit für Marielle Franco. (Keystone)
Marielle Francos Ermordung geschah zwar noch unter Bolsonaros Vorgänger, doch er selbst tat nichts, um die Aufklärung voranzubringen. So wurde «Quem mandou matar Marielle?» (Wer hat den Mord an Marielle befohlen?) zum Schlachtruf der Frauen und der afrobrasilianischen Bevölkerung. Erst als der linke Lula da Silva 2022 erneut Präsident wurde, kam Bewegung in die Sache. Er versprach, Marielles Ermordung endlich aufzuklären und ernannte in einem symbolischen Akt Marielles Schwester zur Ministerin für ethnische Gleichberechtigung.