Am 9. Juni stimmt die Schweiz über die Prämienentlastungsinitiative ab. Es ist eine Chance, die drückende Prämienlast zu lindern und der Politik zu sagen: Ihr habt seit 20 Jahren nichts gemacht – jetzt ist Schluss damit!
IM STEIGFLUG: Die Krankenkassen-Prämien belasten das Budget von Büezerinnen und Büezern immer stärker. (Grafik: zvg)
Für mehr als die Hälfte der Familien reicht das Einkommen derzeit nur knapp oder gar nicht aus. Besonders betroffen sind Haushalte mit einem Jahreseinkommen bis 100 000 Franken. Heftig aufs Budget schlagen die Kosten fürs Wohnen. Und die Krankenkassenprämien. Das hat wenig mit «Überkonsum» von medizinischen Leistungen zu tun. Aber sehr viel mit der Art, wie und vom wem in der Schweiz das Gesundheitswesen finanziert wird.
NICHT ZU TEUER …
Wir werden gesünder älter. Immer mehr Krankheiten sind heilbar. Oder so zu lindern, dass ein gutes Leben trotzdem möglich ist. Kurz: der medizinische Fortschritt ist eine Errungenschaft. Das ist nicht gratis. Die Schweiz gibt rund zwischen 11 und 12 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts für die Gesundheit aus. Das ist ähnlich viel wie unsere Nachbarstaaten. Manche liegen ein bisschen höher, andere ein bisschen tiefer. Die medizinische Versorgung in der Schweiz ist im internationalen Vergleich bei allen Schwierigkeiten sehr gut. Wenn Krankenkassenprämien und übrige Gesundheitskosten besonders stark auf die Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen drücken, hat das wenig mit den steigenden Kosten zu tun. Und schon gar nicht mit zu wenig «Markt» und «Eigenverantwortung», wie bürgerliche Politikerinnen und Politiker behaupten. Im Gegenteil: In den USA ist das Gesundheitswesen faktisch privatisiert. Gut betreut wird in erster Linie, wer gut bezahlen kann. Millionen Menschen sind davon ausgeschlossen. Trotzdem liegt der BIP-Anteil der Gesundheitskosten 50 Prozent höher als in der Schweiz.
… FALSCH FINANZIERT
Die Schweizer Gesundheitsausgaben sind also nicht generell überrissen. Aber sie sind enorm unsozial finanziert. Statt, wie in anderen Ländern üblich, die Gesundheitskosten entweder aus Steuereinnahmen oder wenigstens aus Lohnprozenten zu finanzieren, drückten die Schweizer Bürgerlichen zur Einführung des Krankenkassenobligatoriums 1996 die Kopfprämien durch. Und Kopfprämien sind die unsozialsten «Steuern», die es gibt: Der Baubüezer mit 6000 Franken Monatslohn bezahlt gleich hohe Prämien wie etwa CSS-Krankenkassen-Chefin Philomena Colatrella mit 60 000 Franken Monatslohn.
Zusätzlich sind die Kosten, die von den Kranken direkt übernommen werden, in der Schweiz besonders hoch. Zu den explodierenden Prämien kommen noch Franchise, Selbstbehalt, rezeptfreie Medikamente und Zahnbehandlungen. Nirgendwo in der OECD bezahlen Versicherte und Kranke mehr ihrer Gesundheitskosten direkt aus dem eigenen Sack.
PRÄMIENVERBILLIGUNGEN…
Mit individuellen Verbilligungen sollen – so das Versprechen bei der KVG-Einführung 1996 – die Gesundheitskosten für alle erträglich gehalten werden. Prämienverbilligungen werden gemeinsam von Bund und Kantonen finanziert. Seit Jahren wissen wir, dass wirksame Prämienverbilligungen ein ebenso leeres Versprechen bleiben wie jenes der höchstens 8 Prozent Prämienkosten. Denn die Bundesbeiträge an die Verbilligungen sind zwar gesetzlich an die Ausgabenentwicklung gekoppelt und blieben darum stabil. Aber die Kantone drücken sich um ihre Verantwortung.
… ZUSAMMENGESTRICHEN
Wortreich verkünden bürgerliche Kantonsregierungen und Parlamente immer wieder, wie sie die Prämienverbilligungen «massiv erhöhen» würden. Doch die Realität ist eine andere: Wenn das Prämienwachstum und die Bevölkerungsentwicklung berücksichtigt werden – was eigentlich auf der Hand liegt –, haben 17 der 26 Kantone die Prämienverbilligungen im letzten Jahrzehnt zusammengestrichen. 10 Kantone haben die Beiträge sogar nominal gekürzt. Das heisst: Sie bezahlen heute selbst in Franken weniger an Prämienverbilligungen als vor 10 Jahren.
DAS WILL DIE INITIATIVE
Die Prämienentlastungsinitiative will die Krankenkassenprämien deckeln. Sie sollen nicht mehr als 10 Prozent des verfügbaren Einkommens ausmachen. Damit lägen sie immer noch über den 8 Prozent, die der Bundesrat und die bürgerlichen Parteien bei der Einführung versprochen haben. Aber sie wären wesentlich erträglicher für die Haushalte mit kleineren und mittleren Einkommen. Konkrete Beispiele: Eine vierköpfige Familie mit einem Haushaltseinkommen von 9000 Franken netto spart dank der Initiative monatlich im Schnitt mehrere Hundert Franken. Einzelpersonen mit einem Nettoeinkommen bis zu rund 5000 Franken profitieren von der Deckelung.
WIE SOLL DAS FINANZIERT WERDEN?
Da ist der Initiativtext ganz klar: Zwei Drittel der Gesamtausgaben soll der Bund übernehmen, einen Drittel die Kantone. Diese werden damit entlastet und beim Bezahlen der Prämienverbilligungen unterstützt. Erwünschter und dringend nötiger Nebeneffekt: den Versicherten, die die Verbilligung nötig haben, wird diese garantiert. Weil die Initiative verhindert, dass diese gestrichen werden, wenn die bürgerlichen Kantone wieder einmal eine Abbaurunde planen, weil sie lieber die Steuern für Reiche und Konzerne senken möchten.
SINKEN DIE GESUNDHEITSKOSTEN?
Im System kurzfristig nicht. Das ist aber auch nicht das dringendste Ziel. Dringend notwendig ist dagegen, dass die Prämienlast für die Mehrheit sinkt. Um die Kosten zu dämpfen, braucht es Massnahmen, die weder die Qualität der Gesundheitsversorgung gefährden noch das bereits sehr belastete Gesundheitspersonal stärker unter Druck setzen. Solche liegen vor. Aber die Lobbys der Pharmakonzerne und der Gesundheitsbranche verhindern sie seit Jahren, um ihre Profite zu schützen. Und um die falsche Idee am Leben zu halten, das Gesundheitswesen sei «ein Markt». Bei einem Ja der Prämiensenkungsinitiative verschiebt sich der Druck der steigenden Gesundheitskosten weg von den Prämienzahlenden hin zur Politik.
ZEICHEN SETZEN
Seit Jahrzehnten versprechen der Bundesrat und das Parlament Lösungen gegen die steigende Prämienlast. Und liefern nicht. Mit einem Ja am 9. Juni können die Stimmenden der Politik nachdrücklich klarmachen: Wir haben genug von über 20 Jahren Klientelpolitik zugunsten von Pharmakonzernen und Gesundheitsindustrie. Jetzt stoppen wir die Prämienexplosion!