Ihr Job ist intensiv, anstrengend und mitunter schlecht bezahlt: Dennoch sei es der schönste Beruf der Welt, sagt Lena Beéry. Die St. Gallerin ist Lernende Fachfrau Betreuung und arbeitet in einem Wohnheim für Menschen mit geistiger, körperlicher sowie psychischer Beeinträchtigung.
EINFÜHLSAM: Lena Beéry betreut in ihrem Beruf Menschen mit geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen. (Foto: Stephan Bösch)
«Was du machst, könnte ich nie!» Diesen Satz hört Lena Beéry ständig. Und mittlerweile nervt er sie auch. «Leute, die das sagen, reduzieren meinen Beruf auf Intimpflege oder Extremsituationen. Dabei beinhaltet er so viel mehr als das.» Die 22-Jährige befindet sich im 3. Lehrjahr der Ausbildung als Fachfrau Betreuung. Nach dem Abschluss wird sie im Wohnheim der Stiftung Waldheim weiterarbeiten, wo sie auch ihre Ausbildung absolviert. Das Wohnheim liegt idyllisch im appenzellischen Teufen. Es bietet in fünf Wohngruppen Heimat für Erwachsene mit geistiger, körperlicher sowie psychischer Beeinträchtigung oder Autismus-Spektrum-Störungen. In der Wohngruppe «Linde», in der Lena Beéry zum 9-köpfigen Team gehört, leben 7 Männer und eine Frau zwischen 25 und 75 Jahren.
Es ist 15 Uhr und die St. Gallerin kommt gerade von der Frühschicht, die um 6.30 Uhr begonnen hat. Seit 5.20 Uhr ist sie auf den Beinen. Lena Beéry liebt ihre Arbeit, das ist sofort spürbar. Dabei habe sie lange nicht gewusst, was sie beruflich machen wollte, erzählt sie. «Nach der Sekundarschule hat mich nichts wirklich interessiert. Die Fachmittelschule mit Fachrichtung Gesundheit habe ich abgebrochen, richtig Feuer gefangen habe ich dort nie.» Bei einem Praktikum in einer heilpädagogischen Schule kam Beéry erstmals mit Menschen in Kontakt, die nur mithilfe von Piktogrammen und Gebärden kommunizieren können. «Da habe ich zum ersten Mal gespürt: Das will ich machen. Mit solchen Menschen will ich arbeiten. Meine Mutter kannte die Stiftung Waldheim vom jährlichen Weihnachtsmarkt und hat mir den Tipp gegeben, mich hier zu bewerben.» Als sie die Bewohnerinnen und Bewohner der Wohngruppe «Linde» im Rahmen des Bewerbungsprozesses kennengelernt habe, sei schnell eine Verbindung dagewesen. «Diese Menschen haben mich sofort gecatcht. Das sind nicht einfach Personen mit Beeinträchtigungen, das sind Persönlichkeiten mit Charakter, mit Launen, mit guten und schlechten Tagen.»
BELASTEND UND BERÜHREND
Die «Linde» ist eine Wohngruppe mit geschlossener Eingangstüre. Wer hier lebt, ist verhaltensauffällig und muss manchmal vor sich selbst geschützt werden. «Einige neigen dazu, sich selbst zu verletzen oder können Gefahren nicht richtig einschätzen und würden zum Beispiel Putzmittel trinken, wenn der Putzschrank nicht abgeschlossen wäre. Die Türe bleibt zu, damit sich niemand unbemerkt entfernt.» Die meisten Klientinnen und Klienten in der «Linde» sind nicht in der Lage, sich verbal mitzuteilen. Manche kommunizieren schreibend, andere nur über Blicke, Laute oder über ihre Emotionen. Bei einem «emotionalen Durchbruch» können auch mal der Putzwagen oder das morgendliche Konfibrot geflogen kommen. Auch kann es vorkommen, dass jemand mit Fäkalien die Zimmerwand bestreicht oder handgreiflich wird. Angst verspüre sie aber nicht, sie habe gelernt auszuweichen wie ein Ninja, sagt Lena Beéry und lacht. Und wenn sie so seelenruhig erzählt, wird deutlich, dass sie bei all den Situationen, die oft belastend, manchmal gefährlich und bestimmt gelegentlich nervig sein können, nie das Verständnis für die Menschen verliert. «Wer seine Bedürfnisse nicht mit Worten ausdrücken kann, muss es eben auf eine andere Art tun.» Und es gebe immer wieder berührende Momente. Zum Beispiel, wenn es gelinge, eine Person im Ausnahmezustand zu beruhigen. Oder wenn jemand, der oft mit Selbstverletzung reagiere und nicht viel spreche, es plötzlich schaffe, seine Bedürfnisse zu äussern. Das mache ihr eine Riesenfreude. Was man in ihrem Beruf vor allem mitbringen müsse, seien Empathie, Gelassenheit und Geduld. «Alles dauert länger. Auch bei jenen, die sprechen können, ist ein Satz manchmal erst nach Minuten zu Ende gesprochen. Wenn ich den Essenswagen im Erdgeschoss alleine holen würde, wäre er in 2 Minuten oben. Wenn mich eine Bewohnerin oder ein Bewohner begleitet, dauert es zehn Mal so lang.»
Ohne Geduld geht im Berufsalltag von Lena Berry nichts. (Foto: Stephan Bösch)
Zu einem normalen Arbeitstag gehören neben medizinischer Betreuung auch Körperpflege, Haushaltsarbeiten und Alltagsbegleitung. Doch oft liegt wegen Personalmangels nur die Deckung der Grundbedürfnisse drin, ohne Ausflüge, ohne Extrazeit. Das zehrt an den Kräften. «So sehr ich diesen Job liebe, brauche ich zwischendurch auch ein bisschen Abstand. Ich könnte nicht mehrere Jahre lang Vollzeit arbeiten, ohne in ein Burnout zu rutschen», ist Lena Beéry überzeugt, weshalb sie nach der Ausbildung «nur» 80 Prozent weiterarbeiten wird.
VIEL VERANTWORTUNG, WENIG LOHN
Die Ausbildung zur Fachperson Betreuung dauert 3 Jahre. Im dritten Jahr verfügen die Auszubildenden praktisch über dieselben Kompetenzen und Verantwortlichkeiten wie jemand mit abgeschlossener Ausbildung. «Ich darf zum Beispiel Medikamente richten und alleine den Spätdienst übernehmen», erzählt Lena Beéry. Das ist viel Verantwortung bei einem Gehalt von 1360 Franken brutto im dritten Lehrjahr. Mit abgeschlossener Ausbildung wird Beéry 3876 Franken brutto bei 80 Prozent verdienen. Auch mit einer Wochenendzulage von 3.50 pro Stunde am Samstag und 7 Franken pro Stunde am Sonntag wiegt dieser Lohn nicht auf, was Menschen wie sie täglich leisten. «Dabei zahlt die Stiftung Waldheim überdurchschnittlich, wir haben hier sehr gute Arbeitsbedingungen und 6 Wochen Ferien pro Jahr», betont Beéry. Das Problem seien auch nicht in erster Linie die Arbeitgebenden, sondern das System selbst, ist sie überzeugt. Deshalb engagiert sie sich in mehreren linken Kollektiven und kämpft dafür, dass die Politik mehr gegen den drohenden Pflegenotstand unternimmt. «Wir üben einen systemrelevanten Job aus und haben mehr Wertschätzung und bessere Arbeitsbedingungen verdient.» Zum Beispiel würde eine 4-Tage-Woche die chronische Überbelastung in der Gesundheitsbranche massiv reduzieren, glaubt Beéry. Die Hoffnung auf Verbesserung gibt sie nicht auf. Damit irgendwann wieder mehr Leute sagen: «Was du machst, will ich auch!»
Politik und Freundschaften
Was an Lena Beéry sofort auffällt, sind ihre leuchtend roten Haare. Sie erzählt und lacht gern, ihre Begeisterung für den Beruf ist ansteckend, auch wenn sie vieles am Gesundheitssystem kritisch sieht. Unter den unregelmässigen Arbeitszeiten leide ihr Sozialleben manchmal schon, gesteht sie. Zum Beispiel, wenn sie nach einer anstrengenden Schicht in ihre WG in St. Gallen komme, sich auf Ruhe freue und die Mitbewohnerin nur darauf warte, endlich mit ihr zu plaudern. In ihrer Freizeit engagiert sich Beéry politisch und arbeitet auch mal an Aktionen der Unia mit. Seit ihrem Engagement für die Pflegeinitiative 2021 ist sie Unia-Mitglied. Abends trifft sie sich oft mit Freundinnen und Freunden in ihrer St. Galler Stammbar, dem Schwarzen Engel, diskutiert und feiert gerne.
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