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Gerüstbauer Gentian Aliaj: «Niemand sagt: Hei, schönes Gerüst!»

Er baut, damit andere glänzen können: Gentian Aliajs Gerüste stehen an Häusern, hängen unter Brücken oder türmen sich in Form von Tribünen unterhalb des Matterhorns. Bestand hat keines von ihnen. Unersetzlich und manchmal auch überlebenswichtig sind sie trotzdem.

GERÜSTBAUER GENTIAN ALIAJ (46): Er hat als Schwarzarbeiter in Italien angefangen. Heute ist er Objektleiter im Wallis.(Foto: Isabelle Haklar)

Bahnhof Brig, um 17 Uhr 10. In Kürze fährt auf Gleis 9 der Zug nach Domodossola. Die Menschen scharen sich auf dem Perron. Die allermeisten sind Büezer mit Arbeiterhosen, rauen Händen und müden Gesichtern. Einige ziehen an Kippen, andere nippen an Bierdosen. Ein «Ciao» da, ein freundschaftliches Schulterklopfen dort. Man kennt sich. Man schätzt sich. Man teilt den gleichen Weg, die gleichen Sorgen, manchmal sogar den gleichen Arbeitgeber. Einer der Büezer ist Gentian Aliaj. Seit fast acht Jahren pendelt der Gerüstbauer zwischen Italien und der Schweiz hin und her .

Für die Firma AS Gerüste ist er im ganzen Wallis auf unterschiedlichsten Baustellen unterwegs. «Wir machen alles: von Häuserfassaden über Brückensanierungen bis hin zu Tribünen für Events oder Festivals auf 3000 Metern über Meer», erzählt der 46jährige. Am liebsten mag der gebürtige Albaner Hängegerüste, darauf hat er sich spezialisiert. Er zieht sein Handy aus der Tasche, scrollt auf dem Bildschirm nach einem Foto und streckt es entgegen. Darauf zu sehen ist ein Fluss, darüber eine riesige Brücke. Das Bild ist von unten aufgenommen, Aliaj zeigt auf einen kleinen Punkt, hoch oben auf dem Gerüst. Das sei er. Mulmig wird es ihm bei der Arbeit nicht. «Angst kenne ich nicht. Das ist alles Kopfsache», sagt er und klopft sich auf sein Käppi.

SCHWERE LAST

Auf dem Foto sind Gentian Aliaj und sein Team daran, die Belvédère-Brücke im Oberwallis einzurüsten. Die Rohre unterhalb der Fahrbahn mussten saniert werden. Während Monaten befestigten die Handwerker Stahlplatten, Geländer, Stellrahmen. Meter für Meter arbeiteten sie sich vor, legten Patten, verkeilten sie ineinander, befestigten und sicherten den Weg. Meist arbeiten sie in kleinen Teams, drei bis vier Leute.

Gentian Aliaj beschreibt das Handwerk des Gerüstbauers als eine Art Lego für Erwachsene. (Foto: Isabelle Haklar)

Die eingekleidete Brücke erinnert an einen in tausend Folien eingewickelten Koffer am Flughafen. Bis zur Unkenntlichkeit verhüllt. Gentian Aliaj sieht sich indes nicht als Verpackungskünstler, sondern als Spieler: «Gerüstbau ist wie Lego – einfach für Erwachsene», sagt er lachend. Im Gegensatz zu Legosteinen sind die Elemente im Gerüstbau ungleich schwerer. Eine einzige Platte wiegt gut 20 Kilo. Oft legen und stellen die Gerüstbauer tonnenweise Material. «Ich schleppe täglich sicher bis zu zwei Tonnen», sagt der Familienvater. Und zwar bei Wind und Wetter. Ob es stürmt, regnet, schneit oder die Sonne scheint. Im Sommer bei 40 Grad verbrenne man sich die Hände am Metall. Im Winter blieben sie daran kleben, vor lauter Frost. Oft heisst es am Morgen erst einmal: Schnee schaufeln, damit die Platten begehbar sind.

Das Schlimmste ist aber der Wind. Erneut sucht er auf seinem Handy: Auf einem Video lösen sich bei einem Gerüst die Platten und wirbeln durch die Luft, als wären sie Federn. «Catastrophique!» nennt es Gentian Aliaj. Und lebensgefährlich.

KEINE PERSPEKTIVEN

Das Rattern des einfahrenden Zuges unterbricht das Gespräch. Die Männer drängen sich in die Wagons. Auch Gentian Aliaj findet mit seinem Kumpel einen Sitzplatz. Zum Gerüstbau kam der 46jährige aus der Not heraus. Aufgewachsen ist er in Albanien. In den 90er Jahren lag das Land am Boden. Die Banken waren pleite. Das Ersparte der Bevölkerung futsch. Perspektiven? Fehlanzeige! Mit 16 Jahren floh der Teenager nach Italien. Dort arbeitete er zuerst schwarz, ohne Papiere und ohne Rechte. Mit einer Festanstellung kam die offizielle Arbeitserlaubnis.

Ein Freund vermittelte ihm vor acht Jahren den Job als Hilfsarbeiter bei AS Gerüste. Heute arbeitet er als Objektleiter; er misst die Baustellen aus, schaut sich allfällige Hindernisse wie Balkone oder unebenes Gelände an. Er stellt das passende Material zusammen, organisiert das Personal, springt ein, wenn es Manneskraft braucht. Die Arbeit gefällt ihm: «Gerüstbauer legen die Grundlage, damit andere Arbeiter sicher arbeiten können. Das ist eine wichtige Büez.»

Die Anerkennung ist indes klein. «Niemand sagt: Hei, schönes Gerüst!» Während andere Handwerker für eine schöne Fassade oder ein robustes Dach gelobt werden, bleibt der Gerüstbauer im Hintergrund. Mehr noch: Sobald eine Baustelle beendet ist, wird seine Arbeit wieder abgebaut. «Unsere Arbeit ist vergänglich», sagt Gentian Aliaj und schaut aus dem Fenster, wo das Ortsschild von Domodossola vorbeizieht. Wenn er nicht pendelt oder arbeitet, träumt er vom Meer. Sein Traum wäre ein Boot, im Mittelmeer, in der Nähe seiner Heimatstadt in Albanien. Dort würde er in Ruhe fischen. «Vielleicht im nächsten Leben», sagt er, grinst verschmitzt und steigt aus dem Zug.

Frontalieri, Familie und Fernweh

Als Grenzgänger ist es für Gentian Aliaj Ehrensache, bei der Unia dabei zu sein: «Das ist jeder, den ich kenne!» Er ist Vertrauensperson der Unia Wallis und nimmt die Stimmung im Betrieb wahr, gibt die Sorgen der Büezer an die Gewerkschaft weiter und unterstützt die Sektion bei Kampagnen. Besonders gefreut hat ihn der Erfolg bei der BLS. Seit 2017 setzt sich die Unia für längere Züge und mehr Verbindungen ein. Nun endlich fahren am Feierabend längere Kompositionen. «Früher standen wir wie Sardinen gequetscht. Heute müssen wir immer noch oft stehen – aber immerhin hat’s Luft», erzählt Aliaj. Nebst dem gewerkschaftlichen Engagement nimmt die Familie viel Zeit in Anspruch. Drei Kinder hat er: einen 19jährigen Sohn, eine 16jährige und eine 5jährige Tochter. Vor allem die Jüngste ist voller Energie. «Ein richtiger Wildfang.» Drei Mal im Jahr reist er zu seinen Eltern nach Albanien. Mit etwas Wehmut und der Sehnsucht nach dem Meer kehrt er jeweils nach Domodossola zurück.

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