Der Thurgau macht Druck
Kampf gegen fragwürdige Spitex-Firmen: Entschädigung ja – Profit nein

Private Profite mit pflegenden Angehörigen – dem wollen Kanton und Gemeinden im Thurgau jetzt einen Riegel schieben. Und der Druck wirkt bereits.

PROFITGIER STOPPEN: Die Pflege von Angehörigen soll zwar finanziell unterstützt werden, jedoch nicht findigen Firmen dazu dienen, sich zu bereichern. (Foto: Keystone)

Gut 34 Franken Stundenlohn bekommt Sandra Bähler* (61) dafür, dass sie ihren kranken Mann pflegt. Dieser leidet an Parkinson und sitzt im Rollstuhl. Wer kranke Angehörige pflegt, hat Anrecht auf eine solche Entschädigung durch die Grundversicherung. Den Lohn gibt’s aber nicht direkt von der Krankenkasse, sondern von einer Spitex-Organisation. Bei Bähler ist es die Firma Asfam. Diese hat sich auf pflegende Angehörige spezialisiert und zahlt schweizweit gut 600 Menschen eine solche Entschädigung aus.

Und das ist lukrativ. Denn die Asfam stellt der Krankenkasse den Spitex-Tarif in Rechnung. Bei Sandra Bähler waren es bis vor kurzem satte 82 Franken pro Stunde. Die fünf Personen, denen die Aktiengesellschaft Asfam gehört, erhalten aus dem Gewinn der Firma jeweils eine Dividende (work berichtete). Das findet nicht nur Bähler daneben, sondern auch ihre Wohnortsgemeinde Frauenfeld. Denn die Krankenkassen zahlen nur einen Teil der Spitex-Kosten, für den Rest kommen die Gemeinden auf. Im Fall von Frauenfeld sind es gut 30 Franken pro Stunde.

DIE GROSSE ASFAM-EXPANSION

Urban Kaiser leitet das städtische Amt für Alter und Gesundheit. Der Eintritt der Firma habe die Kosten steil ansteigen lassen, sagt er: «Die erste Rechnung der Asfam haben wir Mitte 2022 bekommen. Ein Jahr später ging schon ein Drittel aller Restkosten, die Frauenfeld an Spitex-Organisationen ohne Leistungsauftrag auszahlt, auf das Konto der Asfam.» Bald zeigte sich: Auch die umliegenden Gemeinden hatten wegen der Expansion der Asfam mit stark steigenden Spitex-Ausgaben zu kämpfen. In einem ersten Schritt hätten sich die Gemeinden deshalb abgesprochen, so Kaiser, und etwa bei hohen Rechnungen konsequent einen Nachweis der Krankenkasse verlangt.

Frauenfeld ging noch weiter und verlangte bei der Asfam Einblick in die Zahlen. Dort sah Kaiser den Verdacht bestätigt: «Die Firma wies einen Gewinn aus, und zwar nicht zu knapp.» Einen Gewinn, ausschliesslich finanziert aus Steuer- und Prämiengeldern.

WARNUNG VOR ÜBERENTSCHÄDIGUNG

Auch der Kanton Thurgau wurde auf das Problem aufmerksam: Er wies alle Gemeinden darauf hin, dass bei Firmen wie der Asfam weniger Aufwand anfalle als bei einer regulären Spitex, da es weder Wegzeiten noch Planungskosten gebe. Im Brief, unterzeichnet vom zuständigen Regierungsrat, heisst es wörtlich: Wenn die Gemeinden diesen Firmen die üblichen Spitex-Tarife bezahlten, «kann von einer Überentschädigung ausgegangen werden». Der Kanton empfiehlt deshalb, für solche Anbieter einen tieferen Tarif festzulegen.

DER DRUCK WIRKT

Der gemeinsame Druck von Gemeinden und Kanton habe bereits Wirkung gezeigt, so Kaiser: «Ab März stellte die Asfam plötzlich weniger Restkosten in Rechnung. Statt gut 30 sind es jetzt nur noch rund 19 Franken pro Stunde.»
Allerdings: Ob dieser Tarif angemessen ist oder der Asfam immer noch Gewinne ermöglicht, ist unklar. Frauenfeld und die umliegenden Gemeinden lassen deshalb jetzt die Zahlen einer herkömmlichen Spitex genau analysieren. «Dann», so Kaiser, «sehen wir, welche dieser Kosten bei der Asfam nicht anfallen. Erst dann können wir einen korrekten Tarif festlegen.» Und dieser soll dann in allen Gemeinden der Region gelten.

Das Beispiel zeigt: Es muss nicht sein, dass findige Firmen abkassieren. Wenn Behörden genau hinschauen, können sie viel bewirken. Und zwar, ohne dass sie bei der Entschädigung der Angehörigen Abstriche machen.

* Name geändert

Der Bundesrat will mehr wissen… irgendwann

Staatlich subventionierte hohe Margen und wenig Transparenz: Die Entschädigung von Menschen, die ihre Angehörigen pflegen, hat Firmen auf den Plan gelockt, deren Geschäftsmodell Fragen aufwirft. Das findet auch der Bundesrat. Im vergangenen Mai kündigte er einen Bericht zum Thema an, «um die Praxis zu analysieren». Auslöser war eine Interpellation von Mitte-Nationalrat Benjamin Roduit gewesen. Er wollte wissen: Wie viele Menschen beziehen diese Entschädigung? Erhalten sie von der Firma eine geeignete Ausbildung, und welche Qualität hat die Pflege, die sie leisten? Und vor allem: Was passiert mit dem «Gewinn, der sich ergibt aus der Differenz zwischen dem Tarif und dem an die Angehörigen ausgezahlten Lohn»? Die Antwort des Bundesrates enthält ein paar Binsenwahrheiten, aber keine konkreten Angaben. Das zeigt: Diese Firmen operieren nicht nur von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt. Auch die Bundesbehörden hatten sie bisher kaum auf dem Radar. Ob und wann sich das ändert, steht in den Sternen. Die Frage von work, wann der vor einem Jahr versprochene Bericht fertig sei, konnte das zuständige Innendepartement nicht beantworten. (che)

1 Kommentare

  1. Dietmar Höhne 26. Juni 2024 um 15:35 Uhr

    Liebe Kolleg*innen
    Ich leite eine Private Spitex in Rapperswil-Jona. Mich würde interessieren, ob abgeklärt wurde, wie viel Personal eine Spitex, welche Angehörige anstellen kann, benötigt und ob es da Vorgaben gibt. Wurde das abgeklärt?
    Bei SFr. 32.- bis 34.- Lohn für die Angestellten wären meines Erachtens Beiträge von Krankenkassen (SFR. 52.60/h) und den Gemeinden (SFr. 19.-/h), in Ordnung. Sollte die Spitex allerdings verpflichtet sein, mehrere, vielleicht auch diplomierte Pflegende anzustellen, welche Abklärungen und Zwischenkontrollen machen müssen, würde es mit total SFr. 71.60 allerdings nicht (mehr) allzu lukrativ für die Firmen sein.
    Sehr unschön wäre es, wenn Firmen sich wegen zu kleinen Gewinnen wieder aus der Pflege zurückziehen würden und die pflegenden Angehörigen diese Möglichkeit (die endlich, endlich, endlich möglich ist, nachdem Staat, Kantone und Gemeinden diese Menschen seit Jahrzehnten!! im Stich gelassen haben) wieder verlieren würden.
    Im Allgemeinen finde ich sowieso, dass ALLE Aktiengesellschaften etwa 20% ihrer Gewinne obligatorisch in, teilweise von der öffentlichen Hand kontrollierte, Fonds für soziale, die Ökologie fördernde, nachhaltige, gerechtigkeitsfördernde etc. Institutionen einzahlen müssten.
    Mit kollegialen und herzlichen Grüssen von Dietmar Höhne-Bleisch

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