Immer mehr Lohnmillionäre (Anzahl Beitragszahlende, zu Preisen von 2021)
Neu über 4000 Lohnmillionäre – aber für untere und mittlere ­Einkommen gibt’s kaum etwas

Die unteren und mittleren Reallöhne sind heute real nicht wesentlich ­höher als im Jahr 2016. Profiteure der letzten Jahre waren die Topverdienenden. Die Gehälter des bestbezahlten Prozents stiegen seit 2014 real um fast einen Viertel. Hauptgrund ist, dass zahlreiche Arbeitgeber ihrer Kundschaft zwar höhere Preise verrechneten, aber nicht bereit waren, ­ihren Angestellten den generellen Teuerungsausgleich zu gewähren. Ein weiterer wichtiger Treiber der sich öffnenden Lohnschere ist die Indivi­dualisierung der Lohnpolitik über Bonuszahlungen. Davon profitiert das bestverdienende eine Prozent überproportional. Das oberste Prozent der Lohnbeziehenden hat heute 3000 Franken pro Monat zusätzlich auf dem Konto. Und: Erstmals haben in der Schweiz über 4000 Menschen teuerungsbereinigt ein Jahresgehalt von einer Million Franken und mehr. Das sind doppelt so viele wie vor 20 Jahren.

Seit 2005 untersuchen Expertinnen und Experten der Unia die Lohnschere in grossen Schweizer Unternehmen. Für die Ausgabe 2023 waren es 37 Firmen, 34 davon an der Schweizer Börse Six ­kotiert. Das entspricht rund einem Sechstel aller börsenkotierten ­Unternehmen in der Schweiz. Die Ergebnisse sind repräsentativ. Und erschreckend. Im Durchschnitt betrug die Lohnschere 1 : 139. Das heisst, die Mitarbeiterin mit dem tiefsten Lohn müsste 139 Jahre ­arbeiten, um so viel zu verdienen, wie ihr Chef in einem Jahr einsackt. Die Rangliste der Schande führten Roche (Lohnschere 1 : 307), UBS (243), ABB (216), Nestlé (202) und Logitech (198) an.

Der Schweizer Medianlohn (die Hälfte verdient mehr, die andere weniger) liegt bei jährlich 81 456 Franken. Ein Lohn von weniger als zwei Dritteln davon gilt als Tieflohn. Das sind rund 54 300 Franken beziehungsweise 13 Monatslöhne à 4177 Franken.

UNFAIR

Die Lohnschere hat sich in den letzten Jahren wieder geöffnet. Für das bestbezahlte Prozent ging’s nach oben. Die Reallöhne der bestverdienenden 55 000 Berufstätigen stiegen seit 2014 um 23,2 Prozent. Die unteren und mittleren Löhne um gerade mal 2,5 Prozent. Das heisst: Die oberen Fünfzigtausend kassieren kräftig, die Lohnabhän­gigen mit unteren und mittleren Einkommen rotieren mächtig. Oder, wie es SGB-Chefökonom Daniel Lampart sagt: «Die Menschen arbeiten viel, und sie arbeiten hart. Aber dabei schaut für sie zu wenig heraus!


Das Kapital langt zu

Ausschüttung (Dividenden, u. a.) im Verhältnis zur Lohnsumme (in Prozent)

Während die unteren und mittleren Löhne stagnieren, schütten die Firmen immer mehr an ihre Aktionäre und Aktionärinnen aus. Dividenden sind im Grundsatz nichts anderes als vorenthaltene Löhne. Wachsende Dividendenausschüttungen zeigen also, dass sich Kapitalbesitzerinnen und -besitzer einen wachsenden Anteil des von den Lohnabhängigen erarbeiteten Mehrwerts in die eigene Tasche stecken.
Dividenden sind von Sozialabgaben – etwa für die AHV – befreit, und ab einem Anteil von 10 Prozent an einem Unternehmen profitieren Aktienbesitzerinnen und -besitzer von grosszügigen Steuerrabatten. So etwa der Blocher-Clan. Magdalena Martullo-Blocher bezahlt sich als Ems-Chefin ein «bescheidenes» Gehalt von rund einer Million Franken aus. Kassiert aber zusammen mit ihren Schwestern mehr an steuerbegünstigten Dividenden, als alle knapp 2700 Ems-Mitarbeitenden zusammen an Löhnen erhalten.


Firmen bezahlen immer weniger

Gewinnsteuereinnahmen Kantone/Gemeinden (in 1000 Fr.)

Neben den Topverdienenden wurden auch die Firmen steuerlich stark entlastet. Die Umsetzung der neuen OECD-Mindeststeuer (15 Prozent) belastet zwar einige grosse Multis ein bisschen mehr als bisher. Doch viele Kantone und Gemeinden haben das Ja des Volkes zur Vorlage «Steuerreform und AHV-Finanzierung» (STAF) dazu ausgenutzt, die Gewinnsteuersätze für Firmen weiter zu senken und neue Steuerprivilegien einzuführen. Das führt dazu, dass Firmen dank der STAF heute rund 2 Mil­liarden Franken weniger Steuern an Kantone und Gemeinden bezahlen. Das entspricht einer Steuersenkung von fast 20 Prozent. Insgesamt ist die durchschnittliche Gesamtsteuerbelastung der Firmen in den letzten 20 Jahren stark gesunken: von rund 19,5 Prozent im Jahr 2003 auf noch rund 13,5 Prozent im Jahr 2023.


Lohnmillionäre jubeln, Mittelschicht ächzt

Ungleiche Steuerbelastung seit 1984

Seit den 1980er Jahren senkten die Kantone die Steuern für Topverdienende massiv. In den Jahren nach der Finanzkrise von 2008 legten sie eine Pause in diesem sogenannten «Steuerwettbewerb» ein, um jetzt wieder weiterzu­machen. Auf Bundesebene konnten die Gewerkschaften und fortschrittliche Parteien weitere Steuergeschenke an Reiche und Konzerne teilweise mit Referenden stoppen. Leider fanden Projekte, die Lohn- und Vermögensscheren hätten verkleinern wollen, keine Mehrheiten. So etwa eine nationale Erbschaftssteuer oder eine Bonussteuer. Die Gegnerinnen und Gegner argumentierten dabei immer mit dem «Mittelstand». Tatsache ist, dass die bürgerliche Steuer- und Abgabepolitik sich zunehmend auch gegen die Mittelschicht richtete. Haushalte mit mittleren Einkommen bezahlen in 9 Kantonen heute mehr Steuern als vor 20 Jahren, während Topverdienende massiv entlastet wurden.


So viel vom Lohn geht an die Krankenkasse

Standardprämie nach Prämienverbilligung in Prozent des Nettolohnes

Das verfügbare Einkommen der Haushalte mit unteren und mittleren Ein­kommen sinkt nicht nur, weil die Arbeitgeber beim Teuerungsausgleich ­kneifen. Am heftigsten schlagen die explodierenden Krankenkassenprämien aufs Budget. Und zwar ganz weit in die Mittelschicht hinein. Denn während sich die Standardprämie seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelte, nahmen die Prämienverbilligungen (ohne Sozialhilfe und Ergänzungsleistungen) pro ­versicherte Person kaum zu. Der Grund dafür liegt bei den Kantonen, die bei den Prämien­verbilligungen sparen, während sie die Steuern für Reiche und Firmen ­senken. Das hat üble Folgen für immer mehr Menschen. Der Anteil des Nettolohns, der für die Krankenkassenprämien ausgegeben werden muss, nimmt rasant zu. Für untere und mittlere Löhne steigt sie in kaum mehr stemmbare Höhen.

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.