Einst hatte jede Region ihre Steinmetz-Gewerkschaft. Heute ist der Steinhauerfachverein Bern und Umgebung ein nationales Unikat. Doch Präsident Daniel Reber (29) hat Zukunftspläne!
IN DIE ÖFFENTLICHKEIT: Im Jubiläumsjahr wollen die Steinhauerinnen und Steinhauer raus zu den Leuten, wie hier am 1. Mai in Bern. (Foto: Yoshiko Kusano)
Es ist laut im Freiburger Burgquartier an diesem Montagmorgen. Ein Bagger braust um die Kathedrale St. Niklaus und kratzt die letzten Reste der Teerstrasse vom Grund, Elektromonteure verbohren Kabelhalterungen, ein Tiefbauer hantiert mit dem Vibrationsstampfer, und die Pflästerer schwingen ihre Hämmer. Fast schon geräuschlos ist da die aktuelle Arbeit von Steinmetz Daniel Reber. Vor dem Portal der Kathedrale versetzt er mit zwei Kollegen eine neue Sitzbank aus Naturstein. Statt scharfer Fräsen und spitzer Meissel sind hierfür präzise Schläge mit dem Gummi-Klöpfel gefragt. Noch leiser ist da nur der Archäologe, der am Fuss des Stadtwahrzeichens an einer Skelettrippe pinselt. Wer da wohl liegt? Eingeweiht wurde das Münster jedenfalls schon im Hochmittelalter – nach einer Bauzeit von 147 Jahren.
Derart geschichtsträchtige Arbeitsumgebungen ist Steinmetz Reber gewohnt. Er sagt: «Restaurationen sind unser tägliches Brot. Das führt mich oft an geniale Bauplätze bei Burgen, Schlössern und ähnlichem.» Bei einem Neubau hingegen sei er erst einmal dabei gewesen. Es handelte sich um eine Villa, die der vermögende Kunde mit Steinsäulen verziert haben wollte. Eine Seltenheit. Schliesslich haben schon vor über hundert Jahren günstigere Kunstbaustoffe den Naturstein verdrängt.
STEINHAUER Daniel Reber
«TÜCHTIG» GEGEN «ÜBELSTÄNDE»
Trotzdem hält sich der uralte Beruf des Steinhauers wacker. «Solange es die Denkmalpflege gibt, werden wir Arbeit haben», schmunzelt Reber. Und er ist sich sogar sicher: «Das Potential ist noch lange nicht ausgeschöpft!» Viele Patrons suchten nämlich händeringend nach Lernenden – ein Problem, das auch Büezer Reber beschäftigt. Denn der gebürtige Murtner ist Präsident des Steinhauerfachvereins Bern und Umgebung, der heute einzigen Arbeitnehmendenvereinigung von «Steinigen» in der Schweiz. Dass unter den einst vielen Fachvereinen nur der bernische überlebt hat, ist kein Zufall. Die Sandsteinstadt Bern galt neben Wien und Strassburg lange als eines der wichtigsten Zentren der europäischen Steinhauerei. Und noch immer liefern die historischen Mauern der Zähringerstadt viel Arbeit. Wobei Reber relativiert: «In Freiburg gibt es fast noch mehr zu tun, denn Bern war immer reicher und konnte seine Gebäude besser instand halten.» Langweilig werde es aber auch in der Hauptstadt nicht. Zumal in diesem Jahr das grosse Vereinsjubiläum begangen wird.
Stolze 150 Jahre hat Rebers Verein bereits auf dem Buckel! 1874 protokollierten die Gründer als Ziel: «Regulierung der Arbeits- und Lohnbedingungen zwischen den Meistern und Arbeitern, ferner Erziehung, Ordnung und Tüchtigkeit, Abschaffung der Übelstände im Berufswesen und gegenseitige Unterstützung». Im Grundsatz sei dieser Zweck noch heute gültig, sagt Präsi Reber. Aber im Jubiläumsjahr gehe es nicht nur darum, sich selbst zu feiern: «Wir wollen raus an die Öffentlichkeit für unseren Beruf!» Deshalb haben die 35 Vereinsmitglieder (darunter 3 Frauen) ein sportliches Programm beschlossen.
FAHNE GEHT INS ARCHIV
Im Juni laden sie zum überregionalen Steinhauertreffen mit Grillfest, im September folgt die Organisation und Betreuung eines Infostands an der Berufsmesse, und im Herbst gibt es eine grosse Ausstellung samt Symposium im Kulturcasino Bern.
Bereits gelaufen ist eine Präsentation an der Messe für Denkmalpflege und die gemeinsame Teilnahme an der Berner 1.-Mai-Kundgebung. Letzteres zum letzten Mal unter der originalen Vereinsfahne mit dem Spruch «Ehre dem Handwerk mit Meissel und Stein». Ihr genaues Alter kennt Reber nicht, doch sei sie in einem Archiv jedenfalls besser aufgehoben als beim Vereinsfähnrich im Estrich. Eine Replika stehe aber schon bereit. Denn der letzte Mai-Aufmarsch sei es sicher nicht gewesen, garantiert der Präsi.
ÜBERZEUGTE GEWERKSCHAFTER
Wie die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen ist Reber ein überzeugter Gewerkschafter. Sein Fachverein ist kollektiv der Unia angeschlossen, aber als Verein autonom – auch das eine fast einmalige Organisationsform. Nur die Berner Kaminfegergesellen sind gleich organisiert. Für Reber ist jedenfalls klar: «Unser Handwerk ist zwar sehr schön und befriedigend, doch die Arbeitsbedingungen sind noch nicht dort, wo sie sein sollten.» Handlungsbedarf sieht Reber bei den nicht komplett bezahlten Reisezeiten, den langen Arbeitstagen und den mässigen Karrieremöglichkeiten. Auch der Lohn sei für manche mit Familienpflichten zu knapp. Reber selbst verdient brutto 6200 Franken, wobei er davon profitiert, dass die Firma seines Chefs dem Landesmantelvertrag fürs Bauhauptgewerbe (LMV) unterstellt ist. Mehr industriell orientierte Steinhauerbetriebe dagegen unterstehen teils dem GAV des Natursteinverbands. Und dessen Löhne liegen deutlich unter jenen des LMV. Noch tiefer sind die Löhne im GAV für reine Bildhauerbetriebe.
Schlechtreden will Daniel Reber seinen Beruf aber nicht. Im Gegenteil, es handle sich um eine kunstvolle und auch vielfältige Tätigkeit. Reber etwa hat sich in Denkmalpflege fortgebildet und fungiert in seinem Betrieb auch noch als Werkzeugschmied. Und wenn er von den Eigenschaften des Berner Sandsteins oder des Muschelkalks aus Estavayer-le-Lac schwärmt, tönt er fast wie ein gelehrter Geologe. Doch dann fallen wieder Worte wie «glatter Affe» – kein Fluch, sondern althergebrachter Fachjargon für einen unbehauenen Quader –, und man ist sich wieder sicher: Hier spricht ein stolzer Steiniger!
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