Als eine Berner Gruppe sich den Nahrungsgiganten Nestlé vorknöpfte
50 Jahre «Nestlé tötet Babys»

Das Heftchen schlug ein wie eine Bombe. Der ­Titel: «Nestlé tötet ­Babys». Damit kamen erstmals die skrupellosen Marketing-Methoden des Nahrungsmittel­giganten ans Licht.

KLEINES HEFTCHEN, GROSSE WIRKUNG: Diese Publikation sorgte vor 50 Jahren für viel Aufsehen. (Foto: ZVG)

Im Mai 1974 erschien die Broschüre «Nestlé tötet Babys». Die «Arbeitsgruppe Dritte Welt Bern» hatte in dieser Publikation die Anklageschrift der englischen Hilfsorganisation «War on Want» übersetzt. Die Autoren warfen dem ­Konzern vor, er ignoriere beim Verkauf des Milchpulvers für ­Babys die oft pre­kären hygienischen Verhältnisse in den Entwicklungsländern. Die Verschmutzung des Wassers, das für die Pulvermilch verwendet wird, führte zu Erkrankungen oder gar zum Tod der Kleinkinder. Die englische Organisation kritisierte auch die hohen Preise der Produkte und die fragwürdigen Werbemethoden von Nestlé, die junge Mütter vom Stillen abhalten würden.

NESTLÉ KLAGTE

Nestlé hielt diese Anschuldigungen für völlig haltlos und klagte wegen übler Nachrede und Verleumdung gegen die Arbeitsgruppe. Die Aktivisten sollten sich «in aller Form gegenüber Nestlé entschuldigen», die Ehrverletzung bedauern und die Verfahrenskosten übernehmen.

Der Zürcher Anwalt und spätere Bundesrat Moritz Leuenberger vertrat die Gruppe vor dem Berner Obergericht. Der Gerichtsfall endete mit einer symbolischen Verurteilung der Angeklagten, wobei Nestlé im Vorfeld drei der vier Anklagepunkte fallenliess. Die Autoren der Broschüre wurden einzig für den Titel «Nestlé tötet Babys» zu einer Busse von je 300 Franken verurteilt.

RICHTER TADELTE NESTLÉ

Obwohl Nestlé den Prozess gewann, stellte der Richter in der Urteilsbegründung fest, dass Nestlé mit seinem unethischen Verhalten verantwortlich für den Tod von Tausenden von Kindern sei. Er erteilte dem Konzern die Empfehlung, «seine Werbemethoden in den Entwicklungsländern von Grund auf zu ändern». Mütter würden durch als Krankenschwestern getarnte Verkäuferinnen getäuscht, und dem Babymilchgeschäft werde ein trügerisch wissenschaftlicher Anstrich gegeben.

URTEIL MIT LANGZEITFOLGEN

Der Gerichtsfall war wegen der richterlichen Ermahnung an den Konzern einzigartig und führte zu einer neuen Art von Öffentlichkeit und Kritik an Konzernen.

In der Folge erarbeitete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Verhaltenskodex, der ab 1981 nur noch eine sehr restriktive Vermarktung von Babynahrung erlaubte. So müssen die Babynahrungsprodukte mit dem Hinweis versehen sein, dass Stillen in den ersten sechs Lebensmonaten immer besser sei als die Ernährung mit Baby-Milchpulver. Dennoch zielt das Marketing von Nestlé weiterhin darauf ab, das Vertrauen der Mütter für seine Babynahrung zu gewinnen und die Kleinkinder mit Zucker zu ködern

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