Zum 11. Mal ist der «Globale Rechtsindex» des Internationalen Gewerkschaftsbundes erschienen. Die gewerkschaftlichen Rechte werden rund um den Globus angegriffen. Peinlich: Die Schweiz ist neu in der Kategorie «Regelmässige Rechtsverletzungen» eingestuft.
KAMPF GEGEN UNRECHT: Die Unia protestierte vergangenen Dezember mit dieser Aktion vor dem Bundeshaus gegen den ungenügenden Kündigungsschutz in der Schweiz. (Foto: Keystone)
Seit elf Jahren veröffentlicht der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) seinen Rechtsindex. Er untersucht, wie die Arbeitnehmerrechte eingehalten werden. Die Expertinnen und Experten bewerten dafür 151 Länder nach 97 Kriterien. Diese orientieren sich an den Übereinkommen und der Rechtsprechung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Verstösse werden jeweils von April des Vorjahres bis März des Veröffentlichungsjahres erfasst. Die Länder bekommen ein Rating von 1 (hoch) bis 5+, wobei 1 die beste «Note» ist und 5+ Länder erhalten, in denen die Rechtsstaatlichkeit zusammengebrochen ist. Aktuell sind das: Afghanistan, Burundi, Haiti, Libyen, Myanmar, Palästina, Somalia, Sudan, Südsudan, Syrien, Jemen und Zentralafrikanische Republik.
Die zwölf zentralen Erkenntnisse …
Seit seinem ersten Erscheinen ist der Index keine leichte Lektüre. Und das ist auch die am 12. Juni in Genf vorgestellte neueste Ausgabe nicht (herunterzuladen hier). Ganz im Gegenteil. IGB-Generalsekretär Luc Triangle sagte dazu: «Trotz einigen bescheidenen Verbesserungen zeigt das Gesamtbild doch einen unerbittlichen Angriff auf die bürgerlichen Freiheiten, die Arbeitnehmerrechte und die Interessen arbeitender Menschen.»
work zählt zwölf der zentralen Erkenntnisse aus dem neuesten Index auf:
• Die zehn schlimmsten Länder für erwerbstätige Menschen sind im Jahr 2024 Ägypten, Bangladesch, Belarus, Ecuador, Eswatini, Guatemala, Myanmar, die Philippinen, Tunesien und die Türkei.
• In sechs Ländern wurden insgesamt 22 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter ermordet: Bangladesch, Kolumbien, Guatemala, Honduras, Philippinen und Republik Korea.
• Nur zwei Länder konnten ihr Rating im Jahr 2024 verbessern: Rumänien hat sich von 4 auf 3 verbessert und Brasilien von 5 im letzten Jahr auf 4.
• 87 Prozent der Länder haben das Streikrecht verletzt.
• 79 Prozent der Länder haben das Tarifverhandlungsrecht verletzt.
• 75 Prozent der Länder haben Beschäftigte vom Recht auf die Gründung von und den Beitritt zu Gewerkschaften ausgeschlossen.
• 74 Prozent der Länder haben die Zulassung von Gewerkschaften behindert.
• In 65 Prozent der Länder hatten Beschäftigte keinen oder eingeschränkten Zugang zur Justiz.
• 43 Prozent der Länder haben die Rede- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt.
• In 74 Ländern wurden Beschäftigte festgenommen und inhaftiert.
• In 44 Ländern waren Beschäftigte Gewalt ausgesetzt.
• Die schlimmste Region der Welt für arbeitende Menschen ist Nahost/Nordafrika. Das Recht auf Tarifverhandlungen, auf einen Gewerkschaftsbeitritt und auf die Zulassung von Gewerkschaften wurde in allen Ländern der Region verletzt.
… und die zwei peinlichsten
- Europa hat sich in den letzten zehn Jahren von allen Regionen am meisten verschlechtert und ein durchschnittliches Rating von 2,73 gegenüber 2,56 im Vorjahr und 1,84 im Jahr 2014 erhalten.
- Die Schweiz wurde von der Kategorie 2 in die Kategorie 3 zurückgestuft. Das heisst, in der Schweiz werden Gewerkschaftsrechte «regelmässig verletzt». Im Bericht des IGB wird die Schweiz mehrfach erwähnt und ihr Abstieg besonders hervorgehoben. Hauptgrund für diesen Absturz ist der seit Jahren unzureichende Schutz vor missbräuchlichen antigewerkschaftlichen Kündigungen in der Schweiz. In der letzten Berichtsperiode wurden offiziell 21 Personen missbräuchlich entlassen, weil sie gewerkschaftlich aktiv waren und sich für kollektive Rechte, wie sie in Gesamtarbeitsverträgen (GAV) festgelegt sind, eingesetzt haben. Die wirkliche Zahl dürfte um einiges höher liegen. Denn im Unterschied etwa zum Ziegenbestand führt die Schweiz dazu keine Statistik.
Bundesrat als Bremsklotz
Verantwortlich für den Abstieg ist der Bundesrat. Dieser weigert sich, bei der Umsetzung der ILO-Empfehlung zum besseren Schutz vor gewerkschaftsfeindlichen Kündigungen vorwärtszumachen. Mehr noch: Besonders alarmierend ist, dass der Bundesrat ohne Erklärung die tripartite Mediation im Dezember 2023 ausgesetzt hat, die über einen besseren Schutz vor gewerkschaftsfeindlichen Entlassungen beraten sollte (work berichtete). Dieser Schritt hat zur Verschlechterung des Ratings beigetragen, wie der IGB ausdrücklich festhält.
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) fordert nach dem dramatischen Absturz der Schweiz im Ranking die unverzügliche Wiederaufnahme der Mediation sowie die umgehende Einführung eines wirksamen Schutzes vor missbräuchlichen und antigewerkschaftlichen Kündigungen.