70 000 Flics, algorithmische Drohnen, Flanieren nur mit QR-Code: Am 26. Juli beginnen in Frankreichs Hauptstadt Paris die Weltsportspiele.
PARIS IM ZEICHEN DER SPIELE: Um die Stadt herauszuputzen, macht die Polizei seit Monaten Jagd auf alle, die man vor der Welt verstecken möchte. (Foto: Getty Images)
Anne Hidalgo, die Pariser Bürgermeisterin, hatte versprochen, vor den Olympischen Spielen in der Seine zu baden. Das war mutig. Denn wer hier in den Fluss fällt, muss sofort ins Spital – zur Entgiftung. Nun wollte Hidalgo beweisen, dass das Wasser wieder sauber genug sei, um darin den olympischen Triathlon und diverse Schwimmwettbewerbe abzuhalten.
Den ersten Badetermin aber sagte die Bürgermeisterin ab. Zu viele Fäkalbakterien. Am 23. oder 30. Juni werde sie es gewiss wagen, liess Hidalgo wissen. Ihre Sorge war, Präsident Emmanuel Macron könnte ihr zuvorkommen.
Doch nun ist auch diese hoheitliche Planscherei gestrichen. Offiziell wegen der angesetzten Neuwahlen (work berichtete). Der lakonischer Kommentar der Stadtplanerin Marie Delaplace zur Lage in der Kanalisation: «Paris ist nun mal keine moderne Stadt.»
«SCHEITERN KOMMT NICHT IN FRAGE!»
Präsident Macron wollte die Olympischen Spiele grandios, historisch, unvergleichlich. Besser als Disney. Zum Glanze Frankreichs, vor allem aber zu eigenem Ruhm. Angefangen mit einer Schiffsparade auf der Seine, 10 000 Athletinnen und Athleten auf Hunderten von Kähnen vor 320 000 Zuschauenden (und Milliarden am TV). Wenn schon kein Brot, dann wenigstens Spiele. Macron machte jedes Detail zur Chefsache, beste Leistungen sind gefordert. Mindestens Rang 3 im Medaillenspiegel, «Scheitern kommt nicht in Frage!»
Bombastisch, das kann Frankreich gut: mit Reit-Wettkämpfen vor dem Schloss in Versailles, Bogenschiessen unterm Eiffelturm, Tischtennis im Grand Palais, Surfen auf Tahiti. Und allerlei in 41 Wettkampfstätten: Sport ist Politik, Sport ist Kommerz. Veranstaltet als Joint Venture mit dem Internationalen Olympischen Komitee in Lausanne, einem privaten «Verein» und Hauptsponsor Coca-Cola.
Und selbstverständlich alles umweltfreundlich, selbsttragend und volksnah. Wer’s glaubt, bezahlt bis 2700 Franken für einen Platz an der Eröffnungszeremonie und 900 Franken in den Stadien. Gut auch für die Tourismusindustrie, die Hotelpreise vervierfachten sich zeitweise, die Bistros planen Abzockermenus, und Airbnb wittert Rekordprofite (Pariserinnen und Pariser, die es können, werden ohnehin aus der Stadt fliehen). 3200 Studierende werden ihre Wohnheime räumen. Ein Métro-Billett soll nun bis 6 Euro kosten. Das haben Olympische Spiele so an sich.
SOZIALE SÄUBERUNG
Um die Stadt herauszuputzen, macht die Polizei seit 18 Monaten Jagd auf alle, die man vor der Welt verstecken möchte: Arme, Obdachlose, Clochards, Migrantinnen, Drogenkranke, streunende Kinder, Roma. Mehrere Notschlafstellen sind zu, per Dekret hat die Präfektur Lebensmittelverteilung und Armenküchen verboten.
Unweit der Métrostation Stalingrad haben die Polizisten ein Zeltlager aufgelöst. Bevor sie in den Bus stieg, der ihre Gruppe irgendwohin in die Provinz verfrachtete, sagte eine Geflüchtete aus Eritrea: «Sie wollen nicht, dass man uns sieht.» Paul Alauzy von «Ärzte für die Welt» (MdM), die ihr Not-Behandlungszentrum schliessen mussten, nennt es eine «soziale Säuberung».
Die ist gut dokumentiert: 80 Hilfsorganisationen haben unter dem treffenden Namen «Kehrseite der Medaille» die Abschiebung von weit mehr als 12 000 Personen belegt. Und Pikantes zutage gefördert: Migrantinnen und Migranten ohne Papiere, die auf einer Olympia-Baustelle schufteten, wurden nach einem Streik blitzschnell «legalisiert» (work berichtete). Dies aber gelte nur für diese eine Baustelle, teilte man ihnen mit.
Das olympische Dorf und das Mediendorf stehen im angrenzenden Département Seine-Saint-Denis, dem berühmten «neuf-trois», das besonders arm und jung und stramm links wählt. Während dort Lehrpersonen und Eltern gegen die Verlotterung und Schliessung von Schulen kämpfen, werden für die Olympischen Spiele ganze Bevölkerungsgruppen zwangsweise umgesiedelt. Bereits preisen Baukonzerne die künftigen Wohnungen des Athletendorfes teuer zum Kauf an. Das Projekt «Gross-Paris» frisst sich in die nahe Banlieue.
Dies allein den Olympischen Spielen anzulasten wäre unfair. Sie beschleunigen bloss laufende Entwicklungen. Die soziale Säuberung ist seit Jahren im Gang, über steigende Mietpreise, Verkehrsplanung, allgegenwärtige Polizei. Das schöne Pariser Brodeln ist nicht mehr. Dafür sorgt der reichste Mann der Welt, Bernard Arnault. Der Besitzer des Luxuskonzerns LVMH hat sich ganze Strassenzüge unter den Nagel gerissen, darunter 220 der bedeutendsten Liegenschaften. Paris ist seine private Spielwiese. 150 Millionen hat er in die Olympischen Spiele investiert.
TOTALÜBERWACHUNG
«Paris 2024» treibt auch die Überwachung voran. Macron fürchtet, Terroristen, Russen, Gelbwesten oder Streiks könnten seine Show trüben. 30 000 Polizisten, 15 000 Militärs und 22 000 Mann von privaten Sicherheitsdiensten sollen dies verhindern. Paris ist nun in drei Zonen aufgeteilt: in den Zonen grau und rot wird man sich ab dem 18. Juli nur noch mit QR-Code bewegen können (und bitte ohne heftige Bewegungen). 200 000 Personen wurden in einem neuen XXL-Register erfasst. Per Sondergesetze hat die Regierung die algorithmische Überwachung durch Kameras und Drohnen organisiert. Schnellgerichte bekamen mehr Richter und Personal.
Vielleicht reicht dies alles nicht, dachte sich Macron im April. Und redete über einen «Plan B». Die Eröffnungsfeier könnte statt auf der Seine im Stade de France steigen. Dort bliebe man unter sich.
Eine Frage bleibt: Was ist, wenn die Rechtsextremen die Wahlen am 30. Juni und 7. Juli gewinnen? Vor den Augen der ganzen Welt müsste der Präsident dann die Ehrentribüne mit der Neofaschistin Marine Le Pen teilen.