Eine offene Steuerrechnung von 63 Franken, das Nicht-Kennen einer Bergspitze: im Kanton Schwyz scheitert die Einbürgerung oft an Lappalien. Auf der Plattform einbürgerungsgeschichte.ch sprechen Betroffene über Härte und Willkür im Einbürgerungsprozess.
SCHWEIZER PASS: Im Kanton Schwyz werden Einbürgerungsgesuche überdurchschnittlich oft abgelehnt, teils aus willkürlichen Gründen. (Foto: Keystone)
Sonia Casadei ist in Zug geboren und aufgewachsen. Ihre Einbürgerung hat sie bis vors Bundesgericht gebracht. Im Frühling 2015 reichte die dreiköpfige Familie Casadei in der Gemeinde Arth SZ ihren Antrag zur Einbürgerung ein. Sämtliche Bürokratie war bereits abgeschlossen, doch dann fing die Willkür bei der persönlichen Anhörung an. Die Gemeinde warf der Familie vor, ihr Haus in Italien der Steuergemeinde nicht richtig deklariert zu haben und illegale Personen zu beschäftigen. Weitere haltlose Anschuldigungen kamen dazu. Obwohl die kantonale Steuerbehörde sowie die Staatsanwaltschaft diese Vorwürfe als unbegründet einstuften, blieb der Familie die Einbürgerung verwehrt. Dazu kam, dass die Gemeinde Arth Casadeis Mann als nicht integriert einstufte, weil er eine Bergspitze in der Region nicht kannte oder den Namen eines Altersheimes.
Die Familie Casadei liess sich das nicht bieten und klagte bis vor Bundesgericht. Dieses stellte klar: Die Gemeinde darf eine Einbürgerung nicht aufgrund eines vermeintlich unerfüllten Kriteriums ablehnen, sondern muss eine Gesamtbeurteilung der Personen vornehmen. Sonia Casadei sagt: «Zusätzlich stellte das Bundesgericht klar, dass die Fragen und die Bewertung der Antworten durch die Arther Behörde sehr spitzfindig waren.» Die Familie wartete über fünf Jahre auf den Schweizer Pass. Einschliesslich Anwaltskosten musste sie bisher über 17’000 Franken bezahlen. Doch viel schwerer wiegt die Demütigung, die sie erleben musste.
Ein solches Vorgehen bei der Einbürgerung ist in Schwyz kein Einzelfall. Um die Missstände im Kanton sichtbarer zu machen, schlossen sich Sonia Casadei, Elias Studer und Philipp von Euw zusammen und gründeten die Plattform einbürgerungsgeschichten.ch.
GEMEINDE LEHNT JEDES ZWEITE GESUCH AB
Von Euw sagt zu work: «Die Idee dieser Plattform ist, die Geschichte unserer Mitmenschen zu erzählen, aufzuklären und politisch etwas zu bewegen.» Von Euw und sein Team wollen aufzeigen, dass der Einbürgerungsprozess im Kanton Schwyz besonders restriktiv ist. Dafür haben sie in grösseren Gemeinden die Einbürgerungs- und Ablehnungsquoten unter die Lupe genommen. Die Gemeinde Arth hat in den Jahren 2016 bis 2018 jedes zweite Gesuch abgelehnt. Im Kanton Schwyz liegt die Ablehnungsquote für denselben Zeitraum bei fast 19 Prozent. Im Gegensatz dazu lag die Ablehnungsquote im Schweizer Durchschnitt bei etwa 4 Prozent. Die Datenerhebung rund um die Einbürgerungsgesuche und Ablehnungen erhebt jede Gemeinde anders. Umso schwieriger ist es, sich da eine Übersicht zu verschaffen.
Von Euw: «Unsere Geschichten zeigen, dass viele Einbürgerungsgesuche in unserem Kanton aus nicht nachvollziehbaren Gründen abgelehnt werden.» Deshalb zeigten sie auf ihrer Website in Text- und in Videoform persönliche Geschichten. So auch jene von Liridona Krasniqi. Mit ihrer Volljährigkeit beantragte sie sofort die Einbürgerung in der Gemeinde Arth. Denn Krasniqi fühlt sich als Schweizerin: Ihre Familie und ihre Freunde sind hier, sie hat ihre Schulzeit und die Ausbildungen in der Schweiz absolviert und arbeitet heute als diplomierte Pflegefachfrau sowie als Ausbilderin. Obwohl alle Einbürgerungskriterien der Gemeinde erfüllt sind, hat Arth das Gesuch abgelehnt. Der Grund: eine offene Steuerrechnung von 63 Franken, für die sie noch keine Mahnung erhalten hat. «Einen zweiten Anlauf für die Einbürgerung konnte ich mir nicht leisten. Ich war frische Lehrabgängerin und musste für das abgelehnte Gesuch mehrere Tausend Franken hinblättern», erzählt sie.
WEITER DRUCK AUSÜBEN
Damit sich am restriktiven Einbürgerungsverfahren im Kanton Schwyz etwas ändert, reichte das Team von einbürgerungsgeschichten.ch eine Petition beim Kantonsrat ein. Sie fordert: eine Kürzung der kommunalen Wohnsitzfrist auf zwei Jahre, abgelehnte Entscheide müssen durch eine unabhängige Stelle überprüft werden, Sozialhilfe darf kein Negativkriterium sein, die Einbürgerung darf pro Person höchstens 500 Franken und pro Familie 1000 Franken kosten. Der Regierungsrat hat zur Petition Stellung bezogen. Aus seiner Sicht erfüllt der Kanton das geltende Recht, am Einbürgerungsverfahren muss sich nichts ändern. Die Antwort sei leider sehr ernüchternd, aber in diesem Sinne nicht überraschend, sagt von Euw: «Die Regierung sieht nicht ein, dass das Verfahren unfair ist. Wir müssen sicherlich noch weiter Druck ausüben.»
DIE DEMOKRATIE-INITIATIVE
Zurzeit werden Unterschriften für die Demokratie-Initiative gesammelt. Diese möchte den Einbürgerungsprozess erleichtern. Nach fünf Jahren rechtmässigem Aufenthalt in der Schweiz soll eine Einbürgerung möglich sein, unabhängig von der Niederlassungsbewilligung. Zudem soll es einheitliche Kriterien für ein faires Verfahren geben. Hier können Sie unterschreiben.