Laura mal laut
Frauen und die Hürden

Auch dieses Jahr habe ich am feministischen Streik wieder ganz viele wertvolle Eindrücke mit nach Hause nehmen können. So wie 2019 und 2023. An jeder feministischen Demo fühle ich mich verstanden und mit hundert anderen Menschen verbunden. Auch in Gesprächen im kleineren Rahmen, wie zum Beispiel in der Unia- IG-Frauen-Gruppe. Da bin ich seit über einem halben Jahr mit dabei und bin von der Energie und dem Einsatz der Frauen überwältigt. Die Kraft ist bei den Treffs und in Gesprächen mit jeder einzelnen Frau spürbar. Aber auch die Wut. Die Wut über die viel zu kleinen Fortschritte, die enorm viel Kraft und Zeit beanspruchen. Grosse Un­sicherheit herrscht, ob unser Einsatz Früchte tragen wird. Tausend Fragen sind noch unbeantwortet.

SCHNECKENTEMPO

Wann werden wir Frauen endlich profitieren, geachtet, wertgeschätzt, überhaupt gesehen und gehört werden? Unzählige Kampagnen laufen, unzählige politische Baustellen stehen offen. Kaum ist eine Abstimmung zu Ende, läuft die nächste wichtige Kampagne. Aber spürbare Veränderungen lassen auf sich warten. Oder die Fortschritte bleiben verwehrt, wie bei der Abstimmung über die Prämienin­itia­tive, die Familien und alleinerziehende Müt­ter entlastet hätte. Das frustriert, und die Wut wird grösser. So ist unser System. Der Aufwand der Frauen für Veränderungen ist immens. Und das schon immer. Die Schweiz war eines der letzten Länder in ­Europa, die ihren Staatsbürgerinnen die vollen Bürgerrechte zugestanden. Das war 1971. Und der Gipfel: Als verheiratete Frau kam die vollständige rechtliche Gleichstellung erst mit dem neuen Eherecht im Jahr 1988. Da war ich vier Jahre alt! Und weiter: Erst 2004 wurde die Vergewaltigung in der Ehe ein Offizialdelikt. Und wir setzen noch eins obendrauf: Erst ab dem 1. Juli 2024 ist der Grundsatz beim Sex «Nein heisst Nein» rechtens. Wie viele haben sich dafür ein­gesetzt und gekämpft! Wie viele Hürden mussten die Frauen überwinden!

MARATHON

Die verbleibende feministische und gewerkschaftliche To-do-Liste bleibt lang und ist enorm wichtig: im September die grosse Lohndemo in Bern und die BVG-Abstimmung, die für uns Frauen ein absoluter Hohn ist. Und noch vieles mehr! Der Satz einer Kollegin blieb bei der letzten Sitzung wie ein violetter Nebelschleier in der Luft stehen: «Ich werde manche politischen Veränderungen, die wir jetzt anstreben, sehr wahrscheinlich nicht mehr erleben. Ich mache das für die Generationen, die kommen werden.» Ein Marathon ohne Ende. Umso wichtiger ist es, laut dranzubleiben. Uns von der Wut nicht ersticken zu lassen. Zämehebe, zämestah!

Laura Gonzalez Martinez ist Verkäuferin in Zürich und Gewerkschafterin.

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