Hilfswerk Caritas stellt neues Positionspapier vor und schlägt Alarm
Hohe Mieten machen arm und krank

Die Mieten steigen, die bezahlbaren Wohnungen sind knapp. Das spüren die ärmeren und armen Haushalte schon länger heftig. Jetzt trifft es zunehmend auch Menschen mit Einkommen oberhalb der Armutsgrenze. Die Caritas schlägt Alarm – und rasche Massnahmen vor.

ÜBERRISSEN: Die Mieten sind für viele Haushalte in der Schweiz ein zu hoher Kostenfaktor. (Foto: Pexels)

Die Schweiz hat mit 36 Prozent die niedrigste Wohneigentumsquote Europas. Und einen schwachen Mietendenschutz. Dies macht sie zu einem Abzockerparadies für Immobilieninvestoren.

Wohnkosten sind oft der grösste Posten im Haushaltsbudget, besonders für Niedrig- und Mittelverdiener, die 25 bis 35 Prozent ihres Einkommens dafür aufwenden müssen. Steigende Zinsen und Nebenkosten verschärfen die Lage. Ab 40 Prozent spricht die Wissenschaft von Überbelastung – ein Wert, den immer mehr Haushalte bald erreicht haben werden.

Denn trotz langer Niedrigzinsphase stiegen die Mieten entgegen dem Gesetz. Eine Studie des Büros für arbeits- und sozialpolitische Studien, BASS, zeigt: Seit 2006 kassierten Vermieter 78 Milliarden Franken zu viel. Allein 2021 waren es 10 Milliarden – durchschnittlich 370 Franken pro Monat und Wohnung (nachzulesen hier)!

Die Maximalrendite für Hausbesitzer sollte bei 3,25 Prozent liegen. Tatsächlich lag sie im Schnitt bei 6,2 Prozent, oft sogar höher. Grosse Immobiliengesellschaften erzielen sogar zweistellige Renditen.

Bei Durchsetzung des geltenden Rechts würde die Kaufkraft der Mieter jährlich um mindestens 10 Milliarden Franken gestärkt. Stattdessen landen diese Milliarden in den Taschen der Immobilienkonzerne und ihrer Aktionärinnen und Aktionäre. Die überhöhten Renditen verschärfen soziale Ungleichheiten und belasten insbesondere einkommensschwache Haushalte unverhältnismässig stark.

Mehr als ein Drittel

Doch längst bringen steigenden Mieten nicht nur Haushalte mit kleinen Einkommen an ihre finanziellen Grenzen, sondern zunehmend auch Menschen mit mittleren Löhnen. Die Belastung in Prozent des Einkommens steigt kontinuierlich:

  • Jene 20 Prozent der Haushalte mit den untersten Einkommen müssen im Schnitt über 33 Prozent ihres Bruttoeinkommens für Wohnen und Energie ausgeben.
  • Haushalte mit niedrigen Einkommen (definiert als das unterste Einkommensdrittel, die zum Teil weit über der Armutsgefährdungsgrenze liegen) müssen 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete ausgeben.
  • Ein Durchschnittshaushalt wendet etwa 16,5 Prozent des Einkommens dafür auf.

Illusion Wohnungswechsel

Besonders tückisch: Gerade für Menschen, die höhere Wohnkosten nicht einfach mit höheren Einkommen oder Vermögensverbrauch auffangen können, liegt Sparen mit Wohnungswechsel gar nicht mehr drin. Auch diese Situation betrifft zunehmend Haushalte bis tief in die Mittelschicht hinein. Die Mitarbeitenden der Caritas sind in ihrer täglichen Beratungstätigkeit regelmässig mit Personen konfrontiert, die ihre Miete nicht mehr bezahlen können und dadurch in existentielle Nöte geraten. Besonders betroffen sind dabei Alleinerziehende und Familien mit tiefen Einkommen, die oft vor der schwierigen Entscheidung stehen, entweder die Miete zu bezahlen oder andere grundlegende Bedürfnisse zu decken.

Aline Masé leitet die Fachstelle Sozialpolitik bei der Caritas Schweiz. Sie bringt die Situation so auf den Punkt:

Erstens gibt es kaum mehr bezahlbare Wohnungen für Menschen mit tiefen Einkommen. Bei neu abgeschlossenen Mietverträgen steigen die Mieten noch viel stärker an als diejenigen von Bestandsmieten. Zweitens bringt ein Wohnungswechsel weitere finanzielle Belastungen mit sich. Ein Mietzinsdepot von bis zu drei Monatsmieten und überlappende Mietverhältnisse sind auch für den Mittelstand eine grosse Belastung. Jede fünfte Person in der Schweiz ist gemäss Bundesamt für Statistik nicht in der Lage, eine unvorhergesehene Ausgabe in der Höhe von 2500 Franken zu stemmen. Und drittens gibt es für Menschen, die von Armut betroffen oder bedroht sind, auch strukturelle Hürden bei der Wohnungssuche: Ihnen fehlen das Netzwerk oder die nötigen Sprach- und IT-Kenntnisse. Oder sie werden aufgrund von Herkunft, Sozialhilfebezug oder Betreibungen diskriminiert.

Nicht «nur» Räume

Wie und wo wir wohnen, hat auch einen Einfluss auf zahlreiche andere Lebensbereiche (zum Artikel). Zum Beispiel auf die Arbeit, auf die Aus- und Weiterbildung, Freizeitgestaltung und soziale Kontakte. Bezahlbare Wohnungen liegen oft an Lagen, die lärmbelastet sind. Oder ungenügend isoliert, was dann die Nebenkosten in die Höhe treibt. Oder sie sind schlicht zu klein. Laut dem Nationalen Gesundheitsbericht 2020 waren bereits damals gut 83 Prozent der armutsbetroffenen Haushalte und 57 Prozent der Haushalte mit prekären Lebenslagen nicht angemessen wohnversorgt. Eine solche Wohnsituation wirkt sich negativ aus auf die physische und psychische Gesundheit aus, führt zu Stress und erschwert die soziale und wirtschaftliche Integration.

Caritas-Forderungen

«Tagtäglich sind wir bei der Caritas mit der Lebensrealität von Menschen konfrontiert, die nicht mehr wissen, wie sie ihre Miete bezahlen sollen», sagte Peter Lack, Direktor von Caritas Schweiz. Das Hilfswerk hat deshalb ein neues Positionspapier zum Thema Wohnen ausgearbeitet. Es wurde diese Woche vorgestellt und kann unter diesem Link heruntergeladen werden. Das Papier zeigt erschreckend deutlich, wie sich die Wohnsituation für immer grössere Kreise im Land verschärft und wie verbreite prekäre Wohnungsbedingungen bereits sind.

Peter Lack, Direktor von Caritas Schweiz.

Die Caritas fordert deshalb Politik und Wirtschaft auf, rasch Massnahmen zu ergreifen. Dies in Form von einkommensabhängigen Mietzinsbeiträgen, wie sie die Kantone Basel-Stadt, Basel-Landschaft und Genf sowie Gemeinden in den Kantonen Waadt und Tessin bereits kennen. Alle staatlichen Ebenen müssten zudem echte Investitionen in die Förderung von bezahlbarem Wohnraum tätigen. Über die notwendigen Kompetenzen verfügen die Kantone und Gemeinden bereits, etwa mit der Anpassung bei planerischen Vorgaben für Sanierungen und Neubauten oder der Förderung von gemeinnützigen Wohnbauträgern. Caritas-Direktor Peter Lack sagt es so: «Wohnpolitik ist auch Armutspolitik, und diese braucht es dringender denn je.»

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