Zuerst hat sie eine Prekären-Gewerkschaft gegründet und war Wortführerin beim Sturz des slowenischen Präsidenten. Jetzt will Tea Jarc die Gewerk- schaften modernisieren.
TEA JARC: «Auch rechte Regentinnen und Regenten erkennen irgendwann, dass Lohn- und Sozialdumping den Staat und die Gesellschaft sehr teuer zu stehen kommt.» (Foto: STA)
work: Frau Jarc, Sie arbeiten in Brüssel beim Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) und verkehren öfter im EU-Parlament. Wie ist die Stimmung dort nach dem jüngsten Rechtsrutsch?
Tea Jarc: Für uns Gewerkschaften wird es jedenfalls nicht leichter. Unsere Message an Ursula von der Leyen ist jedoch klar: Sie darf auf keinen Fall ein Bündnis mit den Rechtsextremen eingehen! Sie bekommt auch ohne sie eine Parlamentsmehrheit hin. Wir vom EGB haben uns stark engagiert im Wahlprozess, etwa mit einem Manifest, das unsere wichtigsten Forderungen enthält. Viele Parteien von links bis zu den Konservativen haben zumindest Teile daraus übernommen. Das ist die Lobbyarbeit, die ich hier in Brüssel leisten kann. Viel wichtiger ist es aber, dass sich die Leute draussen an der Basis mobilisieren.
Sie kommen aus Slowenien und waren dort eine der Wortführerinnen jener Massenproteste, die 2022 das Ende der rechtsautoritären Regierung von Janez Janša herbeiführten. Wie lautet Ihr Erfolgsrezept?
Wer etwas erreichen will, braucht Mut, Biss und Ausdauer. In Slowenien sind wir jeden Freitag auf die Strasse gegangen, 105 Wochen am Stück. Anfangs war es überschaubar, aber am Schluss waren wir die grösste soziale Bewegung, die Slowenien je gesehen hat. Es gab Neuwahlen, und Janša, der aus unserer Demokratie ein zweites Ungarn machen wollte, konnte einpacken. Entscheidend war auch unsere Offenheit. Über 100 zivilgesellschaftliche Organisationen machten mit. Doch all das hätte wohl nicht gereicht, wenn wir «nur dagegen» gewesen wären. Unseren Widerstand gegen Janša haben wir von Beginn an mit einer klaren Zukunftsvision verknüpft. Wir haben Lösungen präsentiert für Bildung, Umwelt, Arbeit, Gesundheit, Justiz, Menschenrechte und mehr. Das resultierte in eine Rekordwahlbeteiligung von 70 Prozent – und in Janšas Ende.
EU-Tagung in Biel
Tea Jarc spricht an der Europa-Tagung der Unia am 29. Juni im Kongresshaus an der Zentralstrasse 60 in Biel. Infos hier.
Sie werden am 29. Juni an der Europa-Tagung der Unia in Biel ein Referat halten über Lohn- und Sozialdumping als gesamteuropäisches Problem. Wo drückt der Schuh am meisten?
Das innereuropäische Dumping-Unwesen wird mit den aktuellen politischen Mehrheiten noch zunehmen. Grundsätzlich ist Dumping nur möglich, weil die Lohnkosten in den verschiedenen Ländern so verschieden sind. Deshalb muss man die Lebensstandards überall verbessern, aber auch angleichen. Dafür braucht es eine soziale Kohäsion, also Zusammenhalt innerhalb der EU. Die Menschen haben ja nicht nur das Recht, zu migrieren, sondern auch das Recht, zu bleiben. Das ist aber nur realistisch, wenn sie vor Ort Aussicht auf eine lebenswerte Zukunft haben.
Klingt utopisch bei den jetzigen Machtverhältnissen!
Auch rechte Regentinnen und Regenten erkennen irgendwann, dass Dumping den Staat und die Gesellschaft sehr teuer zu stehen kommt. Aber klar, verlassen können wir uns nur auf uns selbst. Deshalb müssen wir uns bewegen, und zwar dort, wo wir arbeiten. Ob im einzelnen Betrieb oder auf Branchenebene: Im Konkreten sind Fortschritte möglich, selbst wenn die Regierungen gegen uns arbeiten!
Sie fordern eine «gewerkschaftliche Erneuerung». Konkret?
In sehr vielen Gewerkschaften brechen die Mitgliedschaften ein. Daher ist klar: Wer überleben will, muss sich ändern. Das Potenzial ist riesig! Es liegt bei den Jungen, bei Frauen, Migranten und bei Plattform-Arbeitenden. Sie müssen wir viel besser ansprechen. Dafür braucht es zwei Dinge: mehr Ressourcen und einen Kulturwandel. Junge zum Beispiel hören eher auf Gleichaltrige – und nicht auf alte, weisse Gewerkschaftsschnäuze. Zudem sollten Gewerkschaften ihre Berührungsängste zu Basisgruppen ablegen. Ich war Präsidentin des Sindikat Mladi plus, einer Gewerkschaft für junge Arbeitslose, prekär Beschäftigte, Studierende und Plattformarbeitende. Als wir 2011 anfingen, beäugten uns alle etablierten Verbände mit Skepsis. Jetzt sind sie heilfroh, dass es uns gibt.