work Sommerkrimi – Teil 3
Das Blut ist weg, der Cutter auch

Illustration: Ninotchka.ch

Die Polizei hat ein Chaos hinterlassen. Abdeckband klebt am Boden, Schränke und Schubladen stehen offen, der Boden ist verdreckt. Nur der Papierkorb wurde geleert. Ich mache mich ans Aufräumen und putze den Boden mit einem scharfen Mittel. Der Blutfleck geht aus. Zum Glück haben sie hier keine Teppiche, sondern einen versiegelten Betonboden. Soll wohl an die Industrie erinnern, die es in diesem Viertel früher gegeben hat.

Auffällige hellblaue Dose

Die obere Küche mache ich ganz zum Schluss. Auch hier gibt es die farbigen Boxen, aber im Gegensatz zum unteren Stock ist hier immer alles am richtigen Ort. Dem Chef war das wichtig. Ich habe einmal gehört, wie er jemandem geduldig, aber bestimmt erklärt hat, dass Pizzakartons nicht in die Kartonsammlung gehören, weil sie dazu sauber sein müssten. Fettige Pizzakartons sind Restmüll. Er hat sogar gezeigt, wie man sie im Wasser aufweicht und dann zu einem Klumpen formt, damit sie im Kehrichtsack nicht viel Platz brauchen.

Um beim Recycling alles richtig zu machen, braucht es fast eine Spezialausbildung, aber die Leute im oberen Stock haben es drauf. Darum fällt mir das Alu im Restabfall sofort auf. Eine schmale hellblaue Dose, die Light-Version eines beliebten Energy-Drinks. Ich fische sie heraus, bei der Arbeit trage ich immer Gummihandschuhe. Anstatt sie ins Alu zu schmeissen, lege ich sie auf meinen Putzwagen.

Der Cutter fehlt

Mir fällt nämlich noch etwas auf: An dem Gestell, unter dem die Recyclingboxen stehen, hängt eine Schnur. Daran ist normalerweise ein Cutter angebracht, mit dem grosse Kartons zerteilt werden können. Der fehlt.

Einen Moment überlege ich, ob ich die Polizistin Brandstetter anrufen soll. Weil ich aber vermute, dass sie, im Gegensatz zu mir, schon Feierabend hat, lasse ich es bleiben. Ich mache mit dem Handy ein Bild von der Schnur, an der der Cutter gehangen hat.

Und zack …

Das ganze Wochenende warte ich auf den Anruf der Polizistin, aber sie meldet sich nicht. Das verstehe ich nicht. Immerhin habe ich den Toten gefunden. Meine Aussage ist doch wichtig! Am Montagmorgen halte ich es nicht mehr aus und rufe sie an.

«Ach ja, Ihre Aussage. Das hat Zeit, die Ermittlungen laufen auf Hochtouren.»

«Wissen Sie schon, wer es war?»

«Nein.»

«Haben Sie eine Spur?»

«Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben.»

«Haben Sie die Tatwaffe gefunden?»

«Auch das kann ich nicht sagen.»

«Es ist der Cutter, nicht wahr? Der Kartoncutter von der Recyclingstation im oberen Stock. Der fehlt nämlich.»

Sie sagt nichts, aber immerhin hört sie mir jetzt zu. Hoffe ich. «Da war eine Dose im Abfall statt in der Alusammlung. Ich habe sie sichergestellt. Ich kann sie Ihnen vorbeibringen.»

«Eine was?»

Ich erkläre ihr das Abfalltrennsystem und dass der Täter oder der Täterin die Dose vermutlich in der Aufregung in den Abfall geschmissen hat. «Ich stelle mir das so vor: Die Person stärkt sich mit diesem Energy-Drink. Irgendetwas ist vorgefallen. Sie greift zum Cutter, schneidet damit die Schnur durch, schleicht damit ins Eckbüro, nähert sich dem Mann von hinten, und zack!»

Brandstetter lacht. «Sie haben eine blühende Phantasie.» Als würde sie das wundern bei jemandem, der putzt. Glaubt sie, wir seien eine Art Roboter? Vielleicht werden wir schon bald durch solche ersetzt. Vielen Leuten wäre das recht. Es ist ihnen sichtlich unangenehm, Reinigerinnen zu begegnen. Sie hocken an ihren Tischen und starren auf Bildschirme, haben Kopfhörer auf und nehmen mich gar nicht wahr. Ob das Geflimmer auf ihren Bildschirmen Arbeit oder Ablenkung ist, geht mich nichts an. Manche rücken kurz zur Seite, damit ich mit dem Staubsauger durchkomme, manche auch nicht.

«Im unteren Stock wäre mir das gar nicht aufgefallen, aber oben funktioniert das System. Da landet praktisch nie etwas im falschen Container. Bei einer Aludose besteht kein Zweifel, wohin sie gehört.»

«Bei uns wird das auch immer mehr ein Thema. Wir sammeln Papier, PET-Flaschen und Kaffeekapseln», sinniert Polizistin Brandstetter.

«Ich kann die Dose mitbringen, wenn ich meine Aussage machen komme.»

«Ich glaube nicht, dass das nötig ist. Ich kann Ihnen auch noch keinen Termin geben. Es ist grad viel los hier. Wir melden uns.

Wer hat aus der Dose getrunken?

Wahrscheinlich stimmt es wirklich, dass sie Stress hat. Alle haben Stress heutzutage. Doch ich werde den Verdacht nicht los, dass sie mich nicht ernst nimmt. Sie glaubt wohl, ich wolle mich wichtig machen. Wer bin ich denn? Eine Person, die putzt und irgendwas von Recycling schwafelt.

Ich bin aber überzeugt, dass die Dose zumindest einen Hinweis darauf geben kann, wer zuletzt noch im oberen Stock war. Der Mann vom Eckbüro hat keine Energy-Drinks getrunken, das würde überhaupt nicht zu ihm passen. Auf seinem Schreibtisch stand hin und wieder eine leere Espressotasse, zudem hatte er eine grüne Trinkflasche aus Metall, die auf dem Tisch stehen blieb, wenn er kurz rausging. Er war darauf bedacht, Abfall zu vermeiden. Falls er doch einmal eine Ausnahme gemacht und nach einer Aludose gegriffen hätte, hätte er sie ordentlich entsorgt. Aber die Dose stammt nicht von ihm. Da bin ich sicher.

Stephan Pörtner (58) lebt als Schriftsteller und Übersetzer in ­Zürich. Seine bisher sechs Kriminal­romane um ­Jakob «Köbi» Robert erschienen im Krösus- und im Bilger-Verlag. Als Meister der kurzen Form schreibt Pörtner auch ­Kolumnen und Fortsetzungsromane.

Wie geht es weiter?

Mit dem Fortsetzungskrimi begleitet work Sie durch den Sommer. Den ersten Teil haben wir am 24. Juni publiziert, den zweiten Teil am 1. Juli. Die weiteren Folgen erscheinen wöchentlich am Montag (15. und 22. Juli) auf unserer Website.

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