Abstimmung vom 22. September ist zentral für die Kaufkraft
Darum ist die BVG-Revision ein Bschiss

Am 22. September ­stimmen wir über die BVG-Revision ab. Es geht darum, ob noch mehr Geld der Lohnabhängigen in die Taschen der Finanzindustrie fliesst – und es dafür noch tiefere Renten gibt. Fast alle ­sollen mehr bezahlen für noch weniger Rente. Besonders betroffen einmal mehr: die Frauen.

SO WIRKT SICH DIE BVG-REVISION AUS: Sechs Modellrechnungen mit Medianlöhnen. Lese­beispiel: Vom Bruttolohn eines 50jährigen Verkäufers werden 15 Jahre lang jeden Monat 100 Franken mehr an die Pensions­kasse überwiesen. Dafür erhält er ab 65 jeden Monat 127 Franken weniger Rente als mit dem heu­tigen System. Achtung: Auch dort, wo ein höherer Rentenbetrag steht, bedeutet das nicht zwingend mehr Rente im Alter. Gerade bei kleineren Löhnen wird das selbst bezahlte Plus mit den Ergänzungsleistungen verrechnet. (Foto: Keystone / Montage work)

Seit Jahren bröckelt das Schweizer Pensionskassensystem. Für immer höhere Abzüge erhalten die Versicherten immer niedrigere Renten. Banken und Versicherungen können die einst gemachten Versprechen längst nicht mehr einhalten. Das Einzige, was wächst, ist die Summe, die sich Abzocker-Manager, Maklerinnen und das Aktionariat von Banken und Versicherungen in die eigene Tasche stecken. Dieses enorme und praktisch risikolose Geschäft verteidigen sie mit Zähnen und Klauen. Konkret mit viel Geld für die bürgerlichen Parlamentarierinnen und Parlamentarier.

ABGELEHNTER KOMPROMISS

Das Pensionskassensystem ist zwar massiv angekränkelt, aber noch kein Scherbenhaufen. Die Probleme sind bekannt. Und sie wären zumindest zu verkleinern. Doch dem bürgerlich dominierten Parlament fielen in den vergangenen Jahren immer nur einseitige Abbauvorlagen ein, die dann beim Volk durchfielen.

Darum beauftrage der Bundesrat die Gewerkschaften und die Arbeitgeber, die Möglichkeiten für eine BVG-Revision mit Chancen im Volk auszuloten. Diese fanden sich im Sommer vor fünf Jahren. Der Kompromiss der Gewerkschaften und des Arbeitgeberverbandes war zwar keine Gewerkschaftsvorlage, aber immerhin halbwegs sozialverträglich. Er hätte das BVG modernisiert und die Renten stabilisiert, vor allem jene der Teilzeitarbeitenden und Geringverdienenden quasi sofort verbessert. Und auch eine soziale Umlage-Komponente beinhaltet. Dagegen lief zuerst der Gewerbeverband Sturm. Und danach – nachdem der Bundesrat den «Sozialpartner-Kompromiss» zu seiner Vorlage gemacht hatte – die Lobbyisten der Finanzindustrie. Mit Erfolg. Vor allem SVP, FDP und GLP ver­änderten den sogenannten Sozialpartner-Kompromiss während der parlamentarischen Behandlung bis zur Unkenntlichkeit. Am Schluss stand statt einer halbwegs sozialverträglichen Revision eine drei Milliarden Franken teure Abbauvorlage.

TEURE PFUSCH-VORLAGE

Sarkastisch könnte man sagen: ganz normale bürgerliche Rentenpolitik. Doch etwas ist doch leicht anders: Denn die Parlamentarierinnen und Parlamentarier von SVP bis Mitte bemühten sich so ungestüm, die leicht un­terschiedlichen Wünsche der verschiedenen Akteure der Finanzindustrie und der Wirtschaftsverbände zu erfüllen, dass sie sich in der Summe heillos verhedderten. Am Ende warnten neben den Fachleuten vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auch Pensionskassenexperten vor der unausgegorenen Vorlage. Weil sie auch rein handwerklich Pfusch ist. Und Gewerbler und Bauern sind plötzlich nicht mehr so sicher, ob sie ­dafür sein sollen. Im Parlament drückte sich dies bei der Schlussabstimmung durch diverse Enthaltungen aus. Geschlossen Ja stimmten nur die Fraktionen der FDP und der GLP. Bei der SVP-Fraktion enthielt sich fast ein Fünftel.

Frauen erhalten in der Schweiz mindestens einen Drittel weniger Rente als Männer. Hauptverantwortlich für diesen Gender-Pension-Gap sind die Pensionskassen. Sie schreiben die Lohndiskriminierung ins Rentenalter fort. Einerseits weil Frauen für gleichwertige Lohnarbeit immer noch weniger Geld bekommen als Männer. Andererseits leisten Frauen den grössten Teil der unbezahlten Care-Arbeit. Sie müssen deshalb häu­figer ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen oder Teilzeit arbeiten, um die Haus- und Familienarbeit übernehmen zu können. Das berücksichtigen die Pensionskassen im Unterschied zur AHV nicht. Noch immer erhalten deswegen fast ein Drittel der Frauen gar keine Rente aus der zweiten Säule. Und bei den ausbezahlten Pensionskassenrenten ist die mittlere Frauenrente nur etwa halb so hoch wie jene der ­Männer. Die Hälfte der Frauen, die 2018 pensioniert wurden, erhalten eine Pensionskas­senrente unter 1165 Franken pro Monat. In ­typischen Frauenbranchen sind Pensionskassenrenten zwischen 500 und 800 Franken pro Monat üblich.

DARUM IST’S BSCHISS

Doch genau dieses Problem löst die BVG-­Revision nicht. Sie ist ein lupenreiner Bschiss, bei dem faktisch alle mehr bezahlen für weniger Rente. Eines von vielen Beispielen: Einer 50jährigen Frau mit einem Monatslohn von 5400 Franken würden bei einem Ja zur BVG-­Revision jeden Monat 100 Franken mehr vom Lohn für die Pensionskasse abgezogen – und sie würde im Alter trotzdem monatlich rund 130 Franken weniger Rente erhalten.

Am 22. September ist die Frage, wer mehr Geld erhalten soll: die Rentnerinnen und Renter – oder die Abzocker-Manager der Banken und Versicherungen und deren Aktionärinnen und Aktionäre.


Prämiendeckel-Nein Jetzt braucht’s erst recht höhere Löhne

Das Nein zum Prämiendeckel ­verschärft die Kaufkraftkrise der Mehrheit in diesem Land. Die ­Gewerkschaften setzen sich mit volle­r Kraft für die Kaufkraft ein.

VÉRONIQUE POLITO: Die Unia-Vizepräsidentin kämpft für höhere Löhne. (Foto: Unia)

Die Mehrheit der Deutschschweizer Stimmenden hat sich gegen die Deckelung der Krankenkassenprämien entschieden – und darum die ganze Schweiz. Damit bleibt die Prämienlast für Haushalte mit kleineren und mittleren Einkommen hoch. Und das gute Schweizer Gesundheitswesen so unsozial finanziert wie kaum in einem Industrieland. Aber mit 45,5 Prozent Ja-Anteil und 8 zustimmenden Kantonen hat der Prämiendeckel das beste Resultat einer fortschrittlichen Initiative im Krankenkassenwesen erzielt.

NEUE PROJEKTE

Die SP bereitet jetzt eine Initiative für eine ­öffentliche Krankenkasse vor. Diese öffentliche Krankenkasse hätte zwar eine gesamtschweizerische Struktur, sie würde aber re­gional oder kantonal verwaltet. So gäbe es in den Kantonen nur noch eine Krankenkasse für die Grundversicherung. Der Pseudowettbewerb unter den Krankenkassen würde so nicht weiter Mil­liarden an Prämiengeldern vernichten. Fortschrittliche Kreise diskutieren eine Initiative für einkommensabhängige Prämien. Denn erst solche würden aus der Krankenkasse eine echte Sozialversicherung machen. Hängig ist bereits eine entsprechende Motion der grünen Zuger Nationalrätin Manuela Weigelt.

RECHTE RAUCHPETARDEN

Von rechts kommen – wenig überraschend – Vorschläge, das Gesundheitswesen noch unsozialer zu finanzieren. Oder Nebelpetarden zum Thema Leistungskatalog. Insbesondere die sogenannte Alternativmedizin muss dafür immer wieder hinhalten. Die Wirkung von Homöopathie und traditioneller chinesischer Medizin mag umstritten sein. Nicht zu bestreiten ist dagegen, dass die Kosten dafür ein Globulus sind im Verhältnis zu den Verwaltungskosten der privaten Krankenkassen. In Zahlen: Für komplementärmedizinische Behandlungen gaben die Krankenkassen 2023 brutto gerade mal 17 Millionen Franken aus. In den Verwaltungs- und Propaganda­apparaten der Krankenkassen versickerten im gleichen Zeitraum 1,7 Milliarden Franken. Das sind 35 Prozent mehr als vor zehn Jahren. Die Ausgaben für Komplementär­medizin sanken dagegen seit 2012, als die Kostenübernahme (wieder)eingeführt wurde, um 26 Prozent.

KAUFKRAFT-DEMO

Die Gewerkschaften setzen sich mit voller Kraft für die Kaufkraft ein: in den Betrieben, auf der Strasse und an der Urne. Unia-Vizepräsidentin Véronique Polito sagt: «Die Kaufkraft der Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen ist seit Jahren massiv unter Druck. Ein Prämiendeckel hätte für sie Entlastung gebracht. Jetzt müssen umso dringender die Löhne erhöht werden. 5000 Franken pro Monat für Menschen mit einem Lehrabschluss sind das Minimum.» Am 22. September werden die Lohnabhängigen den Kampf um ihre Kaufkraft auch vors Bundeshaus tragen: an der nationalen Kaufkraft-Demo.

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