Statt in seinem Traumberuf landete Eset Jashari (60) als Handlanger auf Schweizer Baustellen
«Die Gewerkschaft war wie eine Mutter»

Ein Bett in einer Baracke, und das im Winter. Dass solche Zustände noch gar nicht so lange her sind, zeigt die Geschichte von Eset Jashari.

EIN BÜEZER. Eset Jashari hat hart für seine Ziele gearbeitet. (Foto: Matthias Luggen)

In der Nacht war es einfach immer kalt in der Baracke. Kein Wunder: Es war Dezember. Morgens um zwei stellte die Heizung automatisch ab, die dünne Aussenwand aus Holz war ohnehin ständig kalt. Einer der Bewohner war damals der Saisonnier Eset Jashari. Er sagt: 

Egal, wie du im Bett gelegen bist, auf einer Seite hast du immer gefroren.

Hinzugekommen sei miserables Wetter, es habe ständig geschneit oder geregnet. Die nassen Kleider seien oft am Morgen noch feucht gewesen. Jashari kaufte massenhaft Socken, um wenigstens ein trockenes Paar zu haben. «Aber ein zweites Paar Schuhe war mir zu teuer.»

Röntgen an der Grenze

Eine behelfsmässige Baracke für «Gastarbeiter»: Das hat sich nicht in grauer Vorzeit zugetragen. Sondern 1985. Da war Eset Jashari 21 Jahre alt. Aus Kumanovo im damaligen Jugoslawien (heute Nordmazedonien) hatte er Arbeit in der Schweiz gefunden. Zuerst nur drei Monate pro Jahr, um sein Studium zu finanzieren. 1989 begann er als Saisonnier.

Immerhin: In der Baracke leben musste Jashari nur fünf Wochen. Doch auch die medizinische Kontrolle, die er bis in die neunziger Jahre bei der Einreise erlebte, mutet an wie aus längst vergangenen Tagen: Die Arbeiter kamen in Sonderzügen. In Buchs SG mussten sie aussteigen und erst einmal warten. «Ein bis zwei Stunden, wenn du Glück hattest», sagt Jashari. Es konnten auch sechs Stunden sein. Dann musste jeder mit nacktem Oberkörper zum Röntgen antreten. Wenn etwas nicht in Ordnung war, bekam der Chef Bescheid, und der Arbeiter musste die Schweiz verlassen

Wer defekt ist, wird ausgewechselt

Unmenschlich sei das gewesen. «Die Chefs sahen uns als Maschine, mit der sie Geld verdienten.» Und defekte Maschinen ersetzt man. Das sei heute ja nicht anders, fügt Jashari hinzu. «Aber als Saisonnier hattest du null soziale Absicherung.»

Das sei halt so, habe er sich damals gesagt. Heute ist ihm klar: Die Arbeiter aus Jugoslawien wurden fast von allen Seiten diskriminiert. Von den Chefs, die sie nur zum Handlangerlohn anstellten, obschon sie die gleiche oder mehr Arbeit geleistet hätten als die anderen. Und auch vom Staat, der für die Saisonniers strenge Regeln aufstellte. Etwa diese: Zwar hatte ein Saisonnier nach vier Jahren Anrecht auf eine Jahresbewilligung. Aber nur, wenn er immer die vollen neun Monate gearbeitet hatte.

Im Gespräch wird klar, wie dieses System die Saisonniers disziplinierte: Bei einem Jobverlust wäre auch die Saisonnierbewilligung verfallen. Und damit die Chance auf eine Jahresbewilligung.

Am Bahnhof der Gewerkschaft beigetreten

Die Gewerkschaft sei in dieser Situation für die Saisonniers enorm wichtig gewesen, sagt Jashari. Das Datum seines Beitritts zur Gewerkschaft Bau und Holz, einer Vorgängerin der Unia, weiss er noch heute, 9. März 1989. Und zwar gleich im Bahnhof Buchs, als er zum ersten Mal als Saisonnier einreiste. Die Gewerkschaft habe bei allen Problemen geholfen, sagt er und lacht.

Sie war wie eine Mutter! Hattest du Zahnschmerzen, schaute die Gewerkschaft, dass du zum Zahnarzt kannst.

1993 bekommt Jashari endlich die ersehnte Aufenthaltsbewilligung. Das habe viel verändert, sagt er. Auch in ihm drin: «Wenn einer reklamierte, konnte ich mich jetzt wehren. Ich konnte wieder ein vollwertiger Mensch sein. Als Saisonnier war ich das nicht.» Jetzt darf auch seine Frau einreisen, die er in der Zwischenzeit in Kumanovo geheiratet hat.

Die Familienfotos haben einen besonderen Platz im Haus von Eset Jashari. (Foto: Matthias Luggen)

Mit dem Geld, das Jashari verdient, baut er in der alten Heimat ein Haus. Im Hinterkopf immer den Plan, zurückzukehren und in seinem «Traumberuf» zu arbeiten, wie er sagt. Er ist ausgebildeter Lehrer für Mathematik und Physik. «Aber dann kam der Krieg in Jugoslawien.» Die Kinder wurden grösser, Eset Jashari begrub seine Pläne und blieb hier. Aufgeben musste er auch die Arbeit auf dem Bau. Seit er 2001 einen Herzschrittmacher bekam, arbeitet er als Logistiker und Disponent. War es ein Glücksfall, dass er mit 37 Jahren in eine Branche wechseln konnte, die den Körper weniger belastet? «Auf keinen Fall», widerspricht er:

Auf dem Bau war es viel interessanter! All die Maschinen – und ich weiss heute noch, wie sie funktionieren!

Und überhaupt: Vor einem Monat sei er sechzig Jahre alt geworden, auf dem Bau wäre er jetzt bereits pensioniert. 

«Immer an zweiter Stelle»

Seit mehr als zwanzig Jahren haben Eset Jashari, seine Frau und die drei mittlerweile erwachsenen Kinder den Schweizer Pass. Der ehemalige Saisonnier empfängt work im grosszügigen Einfamilienhaus mit Blick über Biel, diesen Herbst kandidiert er bereits zum dritten Mal für das Bieler Stadtparlament. Im Multikultiquartier Madretsch sitzt er seit bald fünfzehn Jahren im Vorstand der SP.

Alles bestens also? Materiell, sagt er, habe er sein Ziel erreicht. Für die Familie sorgen zu können. Biel sei sein Zuhause, man kennt ihn hier. Und doch: «Wenn ich spreche, merken die Leute: Aha, Ausländer. Und schieben dich ab, automatisch. Du kommst immer an zweiter Stelle, nie an erster.» Er zuckt die Schultern, lächelt wieder und sagt: «Das muss ich wohl akzeptieren.»

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