Jean Ziegler ‒ la suisse existe
Die Plünderung der Krankenkassen-Mogule

Jean Ziegler

Wir gehen düsteren Zeiten entgegen: Im kommenden Jahr werden die Krankenkassenprämien wiederum steigen. Und zwar massiv. Der Vergleichsdienst Comparis rechnet mit einem Aufschlag von mindestens 6 Prozent. Eine Hiobsbotschaft für die meisten Prämienzahlerinnen und -zahler, die nach der desaströsen Volksabstimmung vom 9. Juni der Steigerung völlig schutzlos ausgeliefert sind.

PERVERS

Das Krankenkassensystem der Schweiz ist pervers. Einerseits besteht seit dem Bundesgesetz von 1996 ein allgemeines Ver­sicherungsobligatorium. Andererseits wird dieses Obligatorium von privaten Unternehmen verwaltet. Ihre Praxis entzieht sich jeder öffentlichen Kontrolle. Die Unternehmen beanspruchen für sich die in der Verfassung garantierte Wirtschaftsfreiheit.

Die Krankenkassen-Moguln plündern ihre Unternehmen mit horrenden Salären und Spesen­vergütungen. Dasselbe tun die Direktoren der öffentlichen und privaten Spitäler. Wer bezahlt diese Pascha-Löhne und die ­riesige PR-Maschinerie, welche die Moguln organisieren, um ihre Privilegien zu schützen? Wir, die Prämienzahler und -zahlerinnen.

PLÜNDERUNG

Ein Beispiel: Sanitas-CEO An­dreas Schönenberger kassierte im vergangenen Jahr 955 176 Franken, nebst luxuriösen Spesenvergütungen. Die Summe beinhaltet auch einen steuerfreien Betrag von 179 000 Franken als Zahlung in die zweite Säule, das stand im «Tages-Anzeiger». Derselbe Artikel nennt sieben weitere ­Kassenmoguln, die ein höheres Einkommen als eine Bundesrätin oder ein Bundesrat (472 958 Franken) beziehen. Im Vergleich zu 2017 haben die Saläre gar um gut 20 Prozent zugelegt. Die Kommunikationsfritzinnen und -fritze der Kassen begründen diese Plünderung mit dem stereotypen Argument: «Die Löhne, Vergütungen, Pensionskassenbeiträge und Spesen sind marktkonform.» Was «marktkonform» ist, bestimmen die Moguln selbst.

Ständerätin Flavia Wasserfallen und Ständerat Baptiste Hurni, beide SP, wollten der Plünderung ein Ende setzen. Ihre Motion verlangte für die Kassen-CEO eine Salärbegrenzung von maximal 250 000 Franken pro Jahr und jene der Ver­waltungsräte auf 5000 Franken pro Jahr. In der Gesundheitskommission des Ständerates kassieren vier Fünftel der Mitglieder fürstliche Honorare als Kassen-Verwaltungsräte. Sie blockieren die Vorstösse erfolgreich.

Der Skandal betrifft auch die Spitäler. Ein Beispiel unter vielen: Die mächtige Insel-Gruppe in Bern fuhr 2023 einen Verlust von 113 Millionen Franken ein. Im selben Jahr zahlten sich sämt­liche Mitglieder der Spitaldirektion einen jähr­lichen Durchschnittslohn von 477 000 Franken aus.

WO IST DIE HOFFNUNG?

Das hybride System gehört abgeschafft. Und zwar sofort. Eine bundesweite, öffentliche Krankenkasse muss eingeführt werden. Sie wird die ­Plünderung verhindern, die Kosten massiv senken und Prämien für Familien erträglich machen.

Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden ­Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein 2020 im ­Verlag Bertelsmann (München) erschienenes Buch Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten kam im Frühling 2022 als Taschenbuch mit einem neuen, stark erweiterten Vorwort heraus.

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