work Sommerkrimi – Teil 5
Die Verhaftung des Mörders

Illustration: Ninotchka.ch

Ich muss fast zwei Stunden warten, bis Brandstetter mich empfängt. Es ist schon nach 22 Uhr, als ich endlich ihr Büro betreten darf. 

«Ich weiss, wer an dem Abend, an dem der Mord geschah, noch im Büro war», platze ich heraus, «und ich bin sicher, dass er der Mörder ist.» Brandstetter lächelt, sagt aber nichts. «Sie haben keine Spur, habe ich recht?» frage ich.  Sie seufzt. «Wir sind dabei, die Firma unter die Lupe zu nehmen. So wie es aussieht, steckt sie in einer Krise. Das Geld fehlt an allen Ecken und Enden.» 

Ich ziehe die Dose aus meiner Handtasche, ohne sie zu berühren, mit einem Bleistift, das habe ich in einem Film gesehen. «Da sind die Fingerabdrücke des Mörders drauf.»

«Selbst wenn es so wäre, würde es mir nichts nützen. Ich kann diese Dose nicht als Beweismittel verwenden. Sie können sie irgendwoher haben.»

«Ich bin sicher, Sie werden etwas finden, wenn Sie den Mann unter die Lupe nehmen. Vielleicht hat es mit dem fehlenden Geld zu tun. Laden Sie ihn vor, verhören Sie ihn.»

Brandstetter atmet tief durch. «Entschuldigung, was ist noch mal ihr Beruf?»

«Ich bin … Reinigungskraft.»

Sie schüttelt ganz langsam den Kopf.  «Erkläre ich Ihnen, wie Sie ein Büro reinigen müssen?»

«Nein», muss ich zugeben. 

«Dann erklären Sie mir auch nicht, wie ich meine Arbeit zu machen habe!» Sie sagt es so laut, dass ich zusammenzucke. «Heutzutage wollen alle Detektiv spielen und glauben, sie könnten Fälle lösen, nur weil sie gerne True Crime Podcasts hören.»

«Ich weiss nicht, was das ist, und ich will doch nur helfen.»

Brandstetter seufzt und mustert mich, wahrscheinlich überlegt sie, ob sie mich rausschmeissen soll, entscheidet sich dann aber anders. «Nun gut, wenn Sie schon mal hier sind, nehme ich Ihre Aussage auf, eine Pendenz weniger.»

Ich mache meine Aussage und beharre darauf, dass die Sache mit der Dose und meine Beobachtung von heute Abend drinstehen. Kaum habe ich unterschrieben, schmeisst sie mich raus. Am Wochenende finde ich heraus, was True Crime Podcasts sind. Gar nicht mein Ding. 

Der Chefbuchhalter

Am Montagabend beginne ich meine Runde wieder in diesem Büro. Als ich ankomme, ist die ganze Belegschaft im unteren Stock versammelt. Die strenge Frau aus dem Büro 312 kommt auf mich zu. «Es geht jetzt nicht, Sie müssen später noch einmal kommen. Ich habe vor einer Stunde erfahren, dass unser CFO verhaftet wurde. Er steht in dringendem Verdacht, Bruno umgebracht zu haben. Mit einem Cutter, der wurde in einem Gebüsch in dem kleinen Park da drüben gefunden.» Sie weist mit dem Arm Richtung Fenster. «Die Leute sind durcheinander, sie stehen unter Schock. Er war sehr beliebt», sprudelt es aus ihr heraus, und es ist nicht klar, ob sie den Täter oder das Opfer meint. Die strenge Fassade hat sich völlig aufgelöst. 

«Das tut mir leid, natürlich», nicke ich und verlasse das Gebäude. 

Im Auto schaue ich auf dem Handy die Homepage der Firma an und suche nach dem CFO, was, wie ich herausfinde, Chief Financial Officer heisst. Also der Chefbuchhalter. Das passt irgendwie gar nicht zu dem jungen Mann mit dem Schnauz. Das mit dem Buchhalter fällt mir fast schwerer zu glauben als das mit dem Mörder. Dass er ein Mörder ist, weiss ich schon seit Freitag.

Die wahre Heldin

Das muss Brandstetter auch bewusst geworden sein, sonst hätte sie mich am Mittwoch nicht auf einen Kaffee eingeladen. Eines dieser hübschen Cafés ganz in der Nähe der Firma. Das ein bisschen aussieht wie ein gemütliches Wohnzimmer, in dem der Kaffee für meine Verhältnisse aber viel zu teuer ist. Ich nehme ein Croissant dazu, das himmlisch ist. So etwas gibt es an der Tankstelle nicht. 

«Der CFO hat in den letzten zwei Jahren grössere Beträge unterschlagen. Offenbar hat er ein Problem mit Online Gambling.»

«Wie haben Sie das so schnell herausgefunden?» 

«Wir haben das gesamte Accounting von forensischen Analysten durchforsten lassen. Mit den Beweisen konfrontiert, hat er gestanden.»

Ich lächle. Brandstetter rührt in ihrer leeren Cappuccino-Tasse. «Also gut, ich gebe es zu. Aufgrund Ihres Hinweises habe ich mich auf den Mann fokussiert. Zudem liess ich die ganze Gegend noch einmal absuchen. So haben wir den Cutter gefunden, und ja, da war ausser dem Blut vom Opfer die gleiche DNA wie auf dieser Dose drauf. Auch die habe ich untersuchen lassen.»

«Wollen Sie damit sagen, dass ich den Fall gelöst habe?» 

Brandstetter schüttelt heftig den Kopf. «Nein, wir wären ihm so oder so auf die Spur gekommen. Aber ohne ein handfestes Beweismittel hätte es wohl länger gedauert, bis wir an die Daten herangekommen wären, wegen der Datenschutzgesetze. Vielleicht wäre es ihm in der Zeit gelungen, seine Spuren zu verwischen, die Abflüsse zu kaschieren. Ich bin allerdings überzeugt, dass er irgendwann einen Fehler gemacht und sich verraten hätte.»

«Der Fehler war, das Recycling nicht ernst zu nehmen. Hätte er die Dose richtig entsorgt und den Cutter zweihundert Meter weiter an der Recyclingstation ins Altmetall geworfen, wäre der längst eingeschmolzen, und es gäbe keinen Beweis.»

Brandstetter grinst und winkt der Bedienung. «Ich sage es gerne nochmals: Sie haben eine blühende Phantasie.» 

work Sommerkrimi – Teil 4
Die Woche nach dem Mord

Am Montagabend nach der Tat nehme ich es überall ein bisschen genauer, damit ich so spät wie möglich in der besagten Firma ankomme. Heute will ich wirklich niemandem begegnen. Es  funktioniert. Alle sind schon weg.

Mehr

work Sommerkrimi – Teil 3
Das Blut ist weg, der Cutter auch

Die Polizei hat ein Chaos hinterlassen. Abdeckband klebt am Boden, Schränke und Schubladen stehen offen, der Boden ist verdreckt. Nur der Papierkorb wurde geleert.

Mehr

work Sommerkrimi – Teil 2
Zurück beim Toten – in Begleitung der Kripo

Das hat mir gerade noch gefehlt. Mein Feierabend ist dahin. In diesem Moment sehe ich den Mann, der ermordet wurde, als blosses Hindernis.

Mehr

work Sommerkrimi – Teil 1
Das ist keine Cola, das ist Blut. Viel Blut!

Soll ich zu Beginn meiner Route in dieses Büro oder erst am Ende? Im ersten Fall habe ich das Mühsamste hinter mir, im zweiten ist die Chance grösser, dort niemanden anzutreffen.

Mehr

Schlagworte

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.