Besuch im Unia-Archiv: Geheimnisse, Gemälde, Gold und Silber
Die wahre Schatzkammer der Unia

Nicht nur Staub aufwirbeln: Als Archivarin wachte Rita Lanz ­viele Jahre über das ­Gedächtnis der Unia. Vor ihrer ­Pensionierung hat sie work einen exklusiven Einblick gewährt.

UNIA-ARCHIVARIN: Rita Lanz hat jahrelang das Archiv der Gewerkschaften geführt. Dabei hat die Historikerin darauf geachtet, dass nebst wichtigen Dokumenten auch «die Kultur der Organisation» erhalten bleibt. Dazu gehört Aktions­material wie dieses Abstimmungsplakat aus dem Jahr 2014.

Rita Lanz (63) war lange Zeit Hüterin der Unia-Schatzkammer: Die Historikerin hat während 16 Jahren das Archiv der Unia im Zentralsekretariat aufgebaut und betreut. Dazu gehört auch die Unia-Schatzkammer: eine Sammlung von Kunstwerken, Fahnen und Objekten aller Art. Für work hat sie kurz vor ihrer Pensionierung einige Perlen hervorgeholt: Silberlöffel, T-Shirts, Plakate, Foulards, ein rosa Transpi, ein sorgfältig verpacktes Gemälde – und was ist dieser golden glänzende Apparat? Den Verwendungszweck dieser alten Maschine kennt auch Lanz nicht genau: «Vielleicht wurde das Gerät zum Stanzen der Fotos in die Mitgliederausweise verwendet.» Das rätselhafte Objekt stammt wahrscheinlich aus den 1950er oder 1960er Jahren und gehörte dem Zentralsekretariat der Gewerkschaft Smuv, einer der Unia-Vorgängerinnen.

DAS HERZ DER GEWERKSCHAFT: Sitzungsunterlagen der Delegiertenversammlungen und Kongresse.

AUF DER JAGD

Als Archivarin stellte Lanz sicher, dass nicht nur wichtige Dokumente – und davon gibt es mittlerweile aneinandergereiht an die 100 Meter – aufbewahrt werden, sondern auch Objekte. Sie sagt: «Es war mir immer wichtig, die Kultur der Organisation zu erhalten.» Häufig war sie mit Räumungsarbeiten beauftragt und wurde so zur auch zur Logistikerin – wie sie lachend erklärt. Zur Bewältigung der oft grossen Massen an Dokumenten und Objekten, die sie sortieren und dann abtransportieren musste, war sie auf die Hilfe ihrer Kolleginnen und Kollegen der Logistik angewiesen. Da gibt es Pflichtdokumente, wie zum Beispiel Verträge und Protokolle, oder Kür-Objekte wie das goldene Gerät. Aber was kommt ins Archiv, was in den Abfall? «Wir archivieren nur, was einen hohen ideellen oder materiellen Wert hat und eng mit der Geschichte der Gewerkschaft verbunden ist», sagt Lanz. Der Erhalt von Originaldokumenten wie GAV-Verträgen, Verhandlungen oder Protokollen hat jedoch Priorität. Sie erlauben es auf lange Sicht, die Geschichte der Unia zu erforschen und zu schreiben.

BEDEUTEND: «Bauarbeiter-Triptychon», 1955, von Mario Comensoli (ein Flügel ist nicht abgebildet). Die Gewerkschaften GBH und GBI Zürich kauften dieses dreiteilige Gemälde vom Künstler selbst.

HERVORHOLEN, NICHT VERGRABEN

«Es war sehr spannend, mit dem Archivieren die Geschichte und das Funktionieren der Unia und ihrer Vorgängerinnen kennenzulernen», sagt Lanz. Denn all die Objekte und Dokumente erzählen eine Geschichte und zeichnen ein Bild der Vergangenheit der Gewerkschaftsbewegung. «Aber nur, wenn wir die Dokumente und Objekte hervorholen», ist Lanz überzeugt. Das gilt ganz besonders für die Kunstwerke. Viele Gemälde seien Schenkungen, welche die Unia immer wieder für Ausstellungen ausleiht, erklärt Lanz. Die Unia besitzt eine bedeutende Sammlung von Werken von Mario Comensoli (1922–1993), einem bekannten Schweizer Künstler. Für work hat Lanz das «Bauarbeiter-Triptychon» von 1955 hervorgeholt. Comensoli war der Sohn italienischer Migranten und malte oft seine Landsleute, die auf dem Bau und in Restaurants arbeiteten. Was dieses Gemälde wohl wert ist? Archivarin Lanz sagt lediglich: «Das ist eines der bedeutenderen Werke von Comensoli.» Das Unia-Archiv habe aber auch eine Reihe von Bildern, die keinen grossen materiellen Wert hätten, die aber von gewerkschaftsnahen Künstlerinnen und Künstlern stammten oder die Menschen abbildeten, die sonst in der Kunst nicht gezeigt würden, zum Beispiel Menschen bei der Arbeit oder Migrantinnen und Migranten.

Das Unia-Archiv ist für alle offen, die sich für die Geschichte der Gewerkschaft interessieren, erklärt Lanz. Aber nicht alle Informationen sind öffentlich zugänglich. Lanz erklärt: «Gewisse Protokolle und Dokumente dürfen erst nach gesetzlich festgelegten Fristen freigegeben werden.» Diese Geheimnisse zu bewahren gehörte auch zu den Aufgaben der Archivarin.

Gold, Geheimnisse, Gemälde und dort ein silberner Glanz! Was hat es mit den Silberlöffeln auf sich, Frau Lanz? «Die Gewerkschaften hatten eine Reihe von Hotels, die ursprünglich dafür gedacht waren, dass sich auch Arbeiterfamilien Ferien leisten konnten.» Die Löffel, die Lanz für work hervorgeholt hat, stammen aus dem Hotel FloraAlpina in Vitznau am Vierwaldstättersee, das bis 2011 der Unia gehörte. Jeder hat eine Gravur: «S. M. U. V. Ferienheime», wie die Betriebe zuerst hiessen. Von anderen Hotels hat Lanz eine Reihe von Speisekarten, aber auch wichtige Betriebsakten archiviert. Nach und nach hat die Unia fast alle Hotels verkauft, und Lanz war jedesmal zur Stelle: «Diese Hotelräumungen haben mich lange beschäftigt», erinnert sie sich.

DIGITALER DSCHUNGEL

Besonders am Herzen liegt Lanz das Aktionsmaterial der Unia, handfeste Zeugen vergangener Gewerkschaftskämpfe. Da sind Pins mit Bauhelmen, T-Shirts für die Rente mit 60 der Bauarbeiter, lila Foulards für den Frauenstreik, und natürlich das von der work-Redaktion 2017 gestrickte Transpi für «Meh AHV!» (work berichtete).

«Es war meine Aufgabe sicherzustellen, dass wir eine kontinuierliche Sammlung haben, dass es keine grossen Lücken gibt», sagt Archivarin Lanz. Aber in diesem Jahrhundert voller digitaler Daten musste sie die Arbeit ausdehnen. «Jetzt archivieren wir bald auch elektronische ­Daten. Aber das darf ich jetzt meiner Nachfolgerin überlassen.»

Archiv: Offen für Forschung

Das Unia-Archiv befindet sich im Zentralsekretariat in Bern. Es bewahrt und sichert geschäftsrelevante und historisch interessante Dossiers aus der vielfältigen Tätigkeit der Gewerkschaft. Die Akten vor der Fusion – von Smuv, GBI, VHTL und unia – sind im Schweizerischen Sozialarchiv in Zürich für die Forschung und andere Interessierte zugänglich. Das Archiv unterstützt auch die Unia-Regionen. Anfragen können an archiv1@unia.ch gestellt werden.

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