Aus der Klimakrise nichts gelernt
Geld und Gülle gegen gesundes Land

Erdrutsche, Überschwemmungen, Tote und Verletzte: Die Folgen der Klimakrise treffen die Schweiz immer offensichtlicher und immer heftiger. Doch statt daraus zu lernen, bekämpfen Wirtschaftsverbände und Bauernfunktionäre jetzt auch noch den Schutz der Artenvielfalt. work erklärt die Biodiversitätsinitiative, über die wir am 22. September auch abstimmen.

Die verheerenden Unwetter der vergangenen Wochen brachten in den Kantonen Wallis, Tessin und Graubünden Tod und Zerstörung. Die enormen Niederschlagsmengen liessen Bäche zu reissenden Flüssen anschwellen und führten zu Schlamm- und Gerölllawinen, die alles unter sich begruben, was sich ihnen in den Weg stellte. Im Wallis wurden im Talboden grosse Industriegebiete geflutet und Fabriken lahmgelegt. Die Wetterlage bleibt instabil. Die Kosten gehen in die Milliarden. 

ALLES HALB SO WILD. Albert Rösti findet den Klimawandel nicht schlimm. (Foto: keystone)

Doch die Leugnerinnen und Verharmloser des menschengemachten Klimawandels machen weiter wie bisher. Bekanntlich findet SVP-Präsident Marcel Dettling die Klimaerhitzung noch eine ganz glatte Sache, weil die Erträge auf seinem Hof steigen. SVP-Bundesrat Albert Rösti meint seinerseits salopp: «Es gibt kein Leben ohne Risiko.» 

Regen, Rhone, Realität

Gehörig auf die Gummistiefel gefallen ist diese Halbstarken-Attitüde Röstis Parteikollegen Franz Ruppen. Der ist im Wallis Umweltminister und stoppte ein paar Wochen vor der neusten Flut das grösste Hochwasserschutzprojekt. Die dritte Rhonekorrektion wurde vom Volk längst abgesegnet. Die Umsetzung bis jetzt von den Bauern verhindert. Ruppen kämpfte bereits als Parlamentarier gegen den Hochwasserschutz: zu teuer! Als er 2021 in die Kantonsregierung gewählt wurde, schaffte er als eine der ersten Amtshandlungen die Dienststelle für Hochwasserschutz Rhone ab. Und Ende Mai verkündete er, dass die dritte Rhonekorrektion «überprüft» werde. Das Projekt sei «überdimensioniert» und gehe von einem viel zu grossen Schadenspotential aus. 

HOCHWASSERALARM! Die Rhone, rechts, und der Fluss Navizence, links, treten nach den Unwettern, die schwere Überschwemmungen verursacht haben, in Chippis, über die Ufer. (Foto: keystone)

Ein paar Wochen später kam dann der Regen. Und mit dem die Rhone. Und mit der die Realität: In Siders und Chippis wurden zwei Aluminiumfabriken geflutet. Die Aufräumarbeiten laufen. Die potentiellen Schäden eines Hochwassers in diesem Industriegebiet bezifferte eine kantonale Studie bereits im Jahr 2008 auf 850 Millionen bis 1 Milliarde Franken. Die nötigen Schutzmassnahmen hätten damals rund 70 Millionen Franken gekostet. 

Nichts gelernt

Klimaschutz kostet etwas. Der Schutz vor den Folgen des Klimawandels kostet. Nichtstun kostet enorm viel mehr. Im Extremfall auch Leben. Trotzdem bekämpfen Wirtschaftsverbände, Bauernfunktionäre und bürgerliche Parteien jetzt auch den Schutz der Artenvielfalt mit dem Schlachtruf «zu teuer». Sie haben sich in einer «Geld und Gülle»-Allianz Unterstützung bei der Durchsetzung der jeweiligen Ziele versprochen: Die Bauernfunktionäre weibeln für die Interessen der Finanzindustrie, die Finanzindustrie finanziert den Kampf des Bauernverbandes gegen Umweltschutzmassnahmen und die Koppelung der enormen staatlichen Zuschüsse an ökologische Vorschriften. Aktuell spielt die Allianz auch bei der Bekämpfung der politisch breit abgestützten Biodiversitätsinitiative, über die wir am 22. September abstimmen.  

work beantwortet die fünf wichtigsten Fragen zur Initiative:

  1. Was will die Biodiversitätsinitiative?
    Die Biodiversitätsinitiative fordert einen besseren Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in der Verfassung und will Bund und Kantone stärker in die Pflicht nehmen, endlich zu handeln.
  2. Wie ist die Lage der Biodiversität in der Schweiz?
    Die Situation der Biodiversität in der Schweiz ist alarmierend. Fast die Hälfte aller Lebensräume und über ein Drittel der Tier- und Pflanzenarten sind gefährdet. Von den bewerteten einheimischen Arten sind 35 Prozent gefährdet oder bereits ausgestorben. Besonders dramatisch ist die Lage bei Gewässern und Mooren. Im Kulturland sind etwa die Hälfte der Lebensräume bedroht, in den Wäldern rund ein Drittel. Hauptursachen für den Biodiversitätsverlust sind Bodenversiegelung, Landschaftszerschneidung, intensive Landwirtschaft und die Folgen der Klimaerhitzung.
  3. Wie hängen Biodiversität und Klimawandel zusammen?
    Intakte Ökosysteme spielen eine wichtige Rolle beim Klimaschutz und bei der Anpassung an den Klimawandel. Zum Beispiel:
    • Moore und Wälder speichern grosse Mengen CO2.
    • Bäume und Gewässer sorgen für Abkühlung in Siedlungsgebieten und mildern Hitzewellen.
    • Vielfältige Ökosysteme sind widerstandsfähiger gegen Klimaveränderungen.
    • Naturnahe Flüsse und Auen bieten Schutz vor Hochwasser und Überschwemmungen.
    • Artenreiche Wälder sind resistenter gegen Sturmschäden und Schädlingsbefall. Gleichzeitig bedroht die Klimaerhitzung viele Arten und Lebensräume, was den Schutz der Biodiversität noch dringlicher macht.
  4. Was kostet das?
    Die Umsetzung der Biodiversitätsinitiative würde laut Bundesrat jährliche Mehrkosten von 375 bis 443 Millionen Franken verursachen. Dies entspricht etwa 0,1 Prozent der gesamten Staatsausgaben der Schweiz. Das ist verschwindend wenig, wenn man die Kosten des Nichthandelns betrachtet: Der Bundesrat schätzt, dass ein unzureichender Schutz der Biodiversität ab 2050 jährliche Kosten von 14 bis 16 Milliarden Franken verursachen würde. Diese entstehen durch Ernteausfälle, Gesundheitskosten und Schäden durch Naturkatastrophen.
  5. Was bringt ein Ja den Lohnabhängigen? 
    Die Investitionen in den Biodiversitätsschutz haben positive wirtschaftliche Effekte:
    •  40% der Mittel gehen an regionale Bau- und Planungsfirmen, die mit Schutzmassnahmen beauftragt werden. Dies stärkt die lokale Wirtschaft und schafft gute und sinnvolle Jobs.

    Die Biodiversität zu schützen ist also nicht «nur» ökologisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll. Ein Ja zur Initiative trägt dazu bei, die natürlichen Lebensgrundlagen zu sichern, die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit zu stärken und die Lebensqualität in der Schweiz zu erhalten.

Ober-Bauer Ritter droht 

Das tönt alles höchst vernünftig. Und ist es auch. Doch das hindert die gleichen Parteien und Verbände, die sich schon gegen alle wirklich wirksamen Klimaschutzmassnahmen und gegen den ökosozialen Umbau der Gesellschaft sperren, nicht daran, auch den Schutz der Biodiversität zu verhindern. Ganz vorne mit dabei einmal mehr Bauernverbandspräsident Markus Ritter. Der sagte vor den jubelnden Delegierten des St. Galler Bauernverbandes: «Wenn wir dann in der ‹Arena› sind zu der Biodiversitätsinitiative, dann lasse ich zuerst die erneuerbaren Energien auf den Naturschutz los, und den Rest, der dann noch übrigbleibt, den räume ich ab.» Schauen wir mal!

ER IST GEGEN MEHR BIODIVERSITÄT. Bauernverband-Präsident Markus Ritter sieht kein Problem und nur Kosten. (Foto: keystone)

1 Kommentar

  1. Tamara Blach 22. Juli 2024 um 13:04 Uhr

    Wann wird das Gülleproblem endlich angepackt. Die logische Konsequenz ist die Reduktion des Viehbestandes und damit logischerweise die Subventionierung, die in die falsche Richtung lenkt. Es braucht niemand so viel Fleisch, so viel Butter, so viel Rahm. Es wäre auch gesellschaftlich gesünder und könnte die Krankenkassen entlasten. Diese Güllerei ist eklig. Nirgends in unseren direkt benachbarten Ländern stinkt so oft und so penetrant nach Gülle. Die Artenarmut sieht man den Wiesen schon von Weitem an. Die Wiesen sind einfach nur fettgrün mit Löwenzahn, langweilig einseitig. Aber hier ist man das gewohnt und hält es für schön.
    Dazu kommen ja noch die Pestizide, die in starkem Verdacht stehen, Krebs, besonders Hirntumore bei Kindern, zu verursachen. Und woher kommen die ganzen Allergien? Stehen sie nicht auch in Zusammenhang mit einem überlasteteten Immunsystem? Aber die Krankenkassen zahlen ja…

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