Als Hauswart löscht Lorenz Keller im Kulturbetrieb Feuerwehr Viktoria so manche Brände
«Ich will nicht Polizist spielen»

Er ist Schreiner, Elektriker, Sanitär, Sozialarbeiter, Putzmann und manchmal auch Polizist: Lorenz Keller arbeitet als Hauswart in der Genossenschaft Feuerwehr Viktoria in Bern. Die wichtigste Eigenschaft in dem Kulturbetrieb: «s Füüfi la graad sii». 

ER HAT DEN ÜBERBLICK. Lorenz Keller kennt das Gebäude der Genossenschaft Feuerwehr Viktoria in- und auswendig. (Foto: Matthias Luggen)

Der Arbeitsplatz von Lorenz Keller gleicht einem Labyrinth: unendlich lange Gänge über drei Stockwerke verteilt, viele kleine Zimmer, grössere Hallen, versteckte Toiletten. Und mittendrin: ein grüner Innenhof mit einem Wachturm mit Blick über das Breitenrain-Quartier. Hier an der Viktoriastrasse in Bern, wo früher die Feuerwehr stationiert war, hat sich seit einigen Jahren ein Quartierort mit Restaurant, Ateliers, Boxkeller, Tagesschule und Büros entwickelt. Als Abwart kennt Lorenz Keller jeden Winkel, jede Leitung – und grüsst die meisten Leute im Gebäude mit Vornamen. 

Der lebendige und soziale Ort passt zum 54jährigen: «Ich könnte es mir nicht vorstellen, in einer Schule oder einem grossen Bürogebäude zu arbeiten. Hier ist es persönlicher, improvisierter und auch etwas chaotischer.» Der geschichtsträchtige Bau stellt den gelernten Lehrer indes nicht selten vor Herausforderungen. «Das Gebäude stammt aus dem Jahr 1938. Einiges ist etwas in die Jahre gekommen», sagt Lorenz Keller. So finden sich beispielsweise beinahe antike Sicherungen mit 16-Ampère-Schmelzköpfen. «Ersatz dafür find ich manchmal nur noch im Internet.» 

Vor kurzem hat der Berner das Schliesssystem erneuert. Vom analogen Schlüssel hin zum digitalen Badge. Bis die Schlösser montiert und die Freigaben programmiert waren, brauchte Keller einiges an Hirnschmalz. «Es sind 280 Badges im Umlauf. Jeder einzelne muss die richtigen Türen öffnen. Meine Excel-Tabelle glich am Schluss einem komplizierten Strickmuster!» 

Alte Heizung

Ähnlich viel Zeit wie vor seiner Excel-Tabelle verbrachte Lorenz Keller im vergangenen Winter im Heizungsraum. Das Gebäude ist ans Fernwärmenetz angeschlossen. Der Abwart hat sich zum Ziel gesetzt, dass auch in der kälteren Jahreszeit niemand friert – aber auch niemand im T-Shirt an der Arbeit sitzt. «Ideal ist eine Temperatur von 22 Grad.» Diese hinzubekommen ist in der Genossenschaft gar nicht so einfach. Das erhitzte Wasser fliesst über zehn Leitungskreise in die 145 Räume. Diese zehn Anschlüsse kann Keller individuell regulieren. «Ich schraubte, probierte aus – um möglichst überall die Idealtemperatur zu erreichen», erzählt Keller. 

Die Beharrlichkeit hat mit seinem linken Herzen zu tun, das sich der Nachhaltigkeit verpflichtet, aber auch ganz handfest mit Geld. In kalten Monaten gibt die Genossenschaft bis zu 10 000 Franken für Heizkosten aus. «Wie alle spüren wir die gestiegenen Gaspreise. Da lohnt sich das Optimieren. Und es macht mir Spass!» 

Vielfältiges Leben

Bereits als kleiner Junge hat der Berner jedes Spielzeug, jedes Gerät, das ihm in die Finger kam, auseinandergeschraubt. Nach der Schule besuchte er das Lehrerseminar. Im Klassenzimmer stand er indes nie. Stattdessen jobbte er als Velokurier: bei der linken Tageszeitung «Tagwacht», wo er auch den Konkurs abwickelte; auf einem Anwaltsbüro; als Landschaftsgärtner. Er blieb selten länger an einem Ort. Immer in Teilzeit, um auch zu den Kindern zu schauen.

Für uns war es selbstverständlich, die Care-Arbeit aufzuteilen.

Während seine Frau in einer Leitungsposition arbeitete und viele Jahre in der Politik aktiv war, hielt Keller ihr den Rücken frei. Im Gegenzug gab‘s – einen unromantischen Heiratsantrag. «Wir sind beide keine Heiratsfreunde. Aber aus pragmatischen Gründen habe ich Ja gesagt.» Vorderhand ging es um seine finanzielle Absicherung. «Mit meinen unterschiedlichsten Jobs ist meine Altersvorsorge grottenschlecht. Wie bei vielen – vor allem Frauen –, die für die Familie zurückstecken.» 

Heute schaut Lorenz Keller mit seiner Frau jede Woche einen Tag und eine Nacht zu ihren zwei Enkelkindern. Für sein 40%-Pensum in der Feuerwehr verdient er exakt 3110.80 Franken brutto. Zusätzlich arbeitet er anderthalb Tage in einer anderen Genossenschaft, macht Büro- und Unterhaltsarbeiten. Zu einem Stundenlohn von 28 Franken 50. Die Abwechslung passt ihm: «Das Leben besteht nicht nur aus Bügle!»

Perfekte Mischung

Doch wie wurde aus dem Tausendsassa ein Abwart? Per Zufall – und doch als logische Konsequenz aus all seinen Tätigkeiten: 

Hauswart ist die Quintessenz. Da bin ich Sanitär, Schreiner, Elektriker, Putzmann, Polizist und Sozialarbeiter in einem. Diese Vielfalt entspricht mir.

Die handwerklichen Fähigkeiten hat sich Keller seit 2010, als er den ersten Abwartsjob fasste, selbst beigebracht. Dabei konnte er auf die Unterstützung seines Netzwerkes zählen: «Mittlerweile kenne ich einige Handwerkerinnen und Handwerker. Die zeigen mir ihre Tricks und Kniffe.» Das Wichtigste als Abwart in einer Genossenschaft könne man eh nicht lernen: die Offenheit gegenüber unterschiedlichsten Leuten. «Ich bin ein Menschenfreund», sagt er.

Das zeigt sich im Gespräch mit den Anwohnenden, die sich wegen des Lärms beklagen, im Austausch mit den Mieterinnen oder in Diskussionen mit Jugendlichen, die sich im Innenhof treffen. Da drückt dann aber auch mal der Lehrer durch. Zigistummel und Chipspackungen in den Abfall, kein Spucken, keine Kritzeleien. «Ich will nicht Polizist spielen – aber wenn wir nicht etwas Ordnung halten, artet es rasch aus.» Mit seiner ruhigen Art kann Keller fast jeden Konflikt lösen. Zudem hilft ihm, dass er die Dinge auch mal stehenlassen kann. Lorenz Keller sagt lachend: «S Füüfi la graad sii. Das kann ich gut.» 

Auf zwei Rädern 

Aufgewachsen ist Lorenz Keller an einem Waldrand in Neuenegg BE, an der Grenze zum Kanton Freiburg. Früh zog es ihn aber nach Bern ins lebendige Kulturleben. Mit dem Töffli brauste er als Jugendlicher in die rund 20 Kilometer entfernte Hauptstadt. Und wieder zurück. Ein Kollege wies ihn mit dem Spruch «So trägst du zum Waldsterben bei!» auf seine Umweltschleuder hin. Deshalb sattelte Lorenz Keller mit 16 Jahren aufs Fahrrad um. 

Nach Unfall

Noch heute begleiten ihn seine zwei Räder. Sei es vor dem Fernseher bei der Tour-de-France oder, seit einem Unfall, auf seinem Hometrainer. «Als ich mir eine Sehne in der Schulter riss, kaufte ich mir eine Indoor-Ausrüstung.» Dort radelt er vom Wohnzimmer aus um die Welt. Die Vorteile liegen für ihn auf der Hand: «Da kann ich bei jedem Hudelwetter und zu jeder Tages- und Nachtzeit draufsitzen; wenn es sein muss, auch einarmig!» 

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