Die Lesetipps aus der work-Redaktion
Strandlektüren, Badikrimi und Balkonromane 

«DAS MUSST DU LESEN!» Hier kommen unsere Lesetipps. (Foto: work)

Alter Ego: Leopard 

Buchtipp von Darija Knežević

Eigentlich führt Kleo ein stinknormales Leben. Sie ist 25 Jahre alt und Primarlehrerin in Zürich. Doch dieser apokalyptisch-heisse Sommer in ihrer Stadt, wo die toten Fische auf der Limmat schwimmen, scheint ihr Leben für immer zu ändern. Alles beginnt mit einem grausamen Sonnenbrand, der ihre Haut in ein Leopardenmuster hüllt. Plötzlich werden Kleos Eckzähne spitziger, sie frisst rohes Fleisch und verlässt die Wohnung nur nachts, um durch dunkle Gassen zu schleichen. Als Raubkatze sucht sie Menschen aus ihrer Vergangenheit auf und rächt sich bei ihnen – sei es der Ex-Freund oder nervige Schüler. Eine abgefahrene Dystopie, in der sich eine junge Frau in ihr Alter Ego verwandelt: eine flinke, wütende und schlaue Leoparden-Dame. 

Anja Schmitter, Leoparda. Lenos-Verlag, Basel 2022, 226 Seiten, etwa 37 Franken. 

Untertan 

«Menschen können auf drei Arten überleben: sie können sich anpassen, sich wehren – und alles dazwischen.» Das schreibt die Journalistin und Autorin Solmaz Khorsand auf den Rücken ihres neuen Sachbuchs «Untertan». Khorsand schaut dorthin, wo es wehtut. Zum Beispiel auf unsere Erlebnisse in der Schule, wenn wir mitgelacht statt uns mit dem Opfer solidarisiert haben. Sie betrachtet den Opportunismus in all seinen Facetten und zeigt, wie menschliches Verhalten einerseits die Grundlage von Genoziden, aber auch von Rebellion sein kann. Auf eine packende Weise erzählt Khorsand die Geschichten eines Zürchers, der Sklave sein will, einer kurdischen Künstlerin, die als Supermarktkassierin in Österreich arbeitet, oder eines französischen Jungen aus der Arbeiterklasse, der sich über Klassengrenzen hinweg verwandelt und seine Ängste und Begehren zu erkennen beginnt. 

Solmaz Khorsand, Untertan, von braven und rebellischen Lemmingen. Leykam-Verlag, Wien 2024, 160 Seiten, Fr. 34.90. 

Buchtipp von Iwan Schauwecker

Irving kann auch kurz 

Buchtipp von Clemens Studer

Bekannt ist John Irving für Romane dick wie Ringer-Oberschenkel. Doch parallel zu «Garp und wie er die Welt sah», «Gottes Werk und Teufels Beitrag», «Das Hotel New Hampshire» und elf weiteren Lang- und Längstwerken schrieb Irving auch Erzählungen. Unter dem Titel «Rettungsversuch für Piggy Sneed» sind sechs davon versammelt, ergänzt um einen Essay über Charles Dickens. Jenen englischen Grossschriftsteller aus dem 19. Jahrhundert, den Irving als literarisches und moralisches Vorbild sieht. Irving interessieren die Aussenseiterinnen und Aussenseiter, exakt beobachtet er die US-Mittelklasse und schreibt girlandenlos präzis und mit robuster Komik über die sexuelle Revolution in streng geführten Mädcheninternaten, ebenso grausame wie lächerliche Dorf-Jugendliche und die Aufbrüche frisch Geschiedener. Beste Reiselektüre, in- und outdoor geeignet. 

John Irving, Rettungsversuch für Piggy Sneed. Diogenes-Verlag, etwa 12 Franken. 

Der neue de Roulet: «Die rote Mütze» 

Der Genfer Alt-68er Daniel de Roulet ist ein Meister des historischen Kurzromans. Und seine Werke baut er immer wieder auf persönlichen Bezügen auf. So auch in «Die rote Mütze». Darin geht es um den jungen Buben Samuel, dessen Vater an der Genfer Revolution von 1782 teilnimmt. Doch den Patriziern gelingt es, ihre Herrschaft gegen das republikanisch gesinnte Volk zu verteidigen – mit Hilfe von Deutschschweizer Truppen. Die Aufständischen und ihre Familien werden verbannt. Im Exil findet Samuel seine erste Liebe, aber auch einen Nebenbuhler. Blut fliesst. Samuel ergreift die Flucht und landet in der Privatarmee von Jacques-André Lullin de Châteauvieux, einem Vorfahren des Autors. Als Söldner geht es nach Frankreich, wo die Schweizer für den König die Revolution ersticken sollen. Doch wie immer bei de Roulet kommt es noch ärger. Hinrichtungen, Folter, Lagerhaft und immer wieder Liebeskummer und Sehnsucht nach der Heimat. Stellenweise ist so viel Schmerz kaum auszuhalten. Und doch ist «Die rote Mütze» ein unbedingter Lesetipp! Weil wir so schnell vergessen, woher wir eigentlich kommen. Und ganz besonders für alle, die sich schon immer wunderten, warum Genf so anders tickt als die Restschweiz. Ein literarischer Hochgenuss und Bildungslückenfüller, der sich in einem einzigen Vormittag verschlingen lässt. 

Daniel de Roulet, Die rote Mütze. Limmat-Verlag, Zürich 2024, 168 Seiten, etwa 30 Franken. 

Buchtipp von Jonas Komposch

Limitarismus – warum Reichtum begrenzt werden muss  

Buchtipp von Julia Neukomm

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer grösser. Während die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung ein Prozent des globalen Vermögens besitzt, entfallen über vier Fünftel auf die oberen zehn Prozent. Ökonomin und Philosophin Ingrid Robeyns verdeutlicht in ihrem neuen Buch «Limitarismus», dass dieser übermässige Reichtum einiger weniger nicht nur ungerecht ist, sondern auch eine vertane Chance darstellt. Denn anstatt in Superjachten, Luxusimmobilien oder Privatflüge ins All zu investieren, könnte dieses Geld viel sinnvoller verwendet werden. Es könnte zur Lösung einiger der drängendsten Probleme unserer Zeit beitragen: den Klimawandel bekämpfen, extreme Armut lindern oder soziale Ungleichheit verringern. Im Buch wird das Konzept des Limitarismus vorgestellt, der eine Begrenzung von Reichtum als moralisch notwendig und gesellschaftlich vorteilhaft sieht. Ingrid Robeyns zeigt auf, wie dies gelingen kann und warum es uns allen zugute kommen würde.

Ingrid Robeyns, Limitarismus – warum Reichtum begrenzt werden muss. S.-Fischer-Verlag, 367 Seiten, etwa 40 Franken.  

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