Ana Maria Pica kämpft täglich für die Reinigerinnen
«Viele Gruppen-Chefs sind Möchtegern-Diktatoren»

Ana Maria Pica betreut seit 2011 Reinigerinnen und Reiniger in der Zentralschweiz. Foto: Roman Beer

Seit 20 Jahren hat die Deutschschweizer Reinigungsbranche einen Gesamtarbeitsvertrag. Dieser habe vieles verbessert, sagt die Luzerner Unia-Sekretärin Ana Maria Pica (60). Im Interview erklärt sie, warum sie trotzdem noch häufig Brutalität und Tränen sieht.

Ana Maria Pica betreut seit 2011 Reinigerinnen und Reiniger in der Zentralschweiz. (Foto: Roman Beer)

work: Frau Pica, als Gewerkschaftssekretärin beraten Sie seit 2011 fast täglich Reinigerinnen und Reiniger. Wer sind die Leute, die Ihren Rat suchen?

Ana Maria Pica: Meistens sind es Ausländerinnen, die noch nicht sehr lange in der Schweiz sind. Sie sprechen kein Deutsch, haben noch kein wirkliches Netzwerk und kenne ihre Rechte nicht. Viele kommen aus Portugal, Spanien, Italien, aber auch aus Brasilien, der Dominikanischen Republik, Peru oder Ecuador. Auch Frauen aus Afrika gibt es in der Branche immer mehr.

Was ist mit Männern und Schweizerinnen und Schweizern?

Auch die gibt es natürlich. Etwa 30 Prozent des Reinigungspersonals, das zu mir kommt, sind Männer. Schweizer sind aber selten darunter, denn sie sind in den Betrieben meistens in einer privilegierten Führungsposition.

Oft hört man die Reinigung sei eine typische Einstiegsbranche, um im Schweizer Berufsalltag Fuss zu fassen. Wie sehen Sie das?

Tatsächlich ist die Reinigung für viele aus dem Ausland eine Einstiegstüre. Wenn Sie einmal angekommen sind und sich etwas orientieren konnten, wechseln ziemlich viele wieder zurück in ihren Beruf, den sie einst gelernt haben. Es gibt auch Reinigungsarbeiterinnen, die von einer eigenen Firma träumen.

Ein realistischer Traum?

Und wie!

Es gibt ja etliche Putzfirmen, in denen praktisch nur portugiesisch gesprochen wird.

Andere Frauen eröffnen eigene Coiffeursalons, Nagelstudios, Gastrobetriebe und so weiter. In der Frauengruppe der Unia Luzern haben wir jetzt 122 aktive Mitglieder. 44 davon sind heute nicht mehr in einem Angestelltenverhältnis, sondern sind Selbständige. Doch sie bleiben solidarisch und kämpfen mit den Arbeiterinnen, motivieren und ermutigen sie, da sie das gleiche durchmachen mussten.

Aber es gibt doch auch sehr viele Reinigungskräfte, die lange Jahre im Beruf bleiben?

Klar, auch die sind aktiv bei uns! Es gibt die Zufriedenen, die das Glück haben, in einem guten Betrieb zu arbeiten. Und dann gibt es jene, die den Wechsel in eine andere Branche nicht schaffen.

Welches sind denn die häufigsten Probleme, mit denen die Reinigungsleute zu Ihnen kommen?

Die Klassiker sind: Unbezahlte Reisezeiten, unterschlagene Mittagsspesen und Mobbing. Hier haben wir ein enormes Problem. Was die Frauen sich alles anhören müssen! Nicht nur unter den Firmenchefinnen und -chefs, sondern gerade auch bei den Gruppen-Chefs gibt es viele Möchtegern-Diktatoren. Sie schreien die Frauen an, beleidigen sie aufs Primitivste oder bedrohen sie sogar. Oft sagen sie: «Wenn es dir nicht passt, schicken wir dich zurück, wo du herkommst!» Ich habe schon sehr viele Reinigerinnen betreut, die in Tränen ausgebrochen sind.

Oft sagen sie: «Wenn es dir nicht passt, schicken wir dich zurück, wo du herkommst!»

Woher kommt diese Brutalität?

Manchmal ist es purer Geiz und Niedertracht. Eine Chefin zum Beispiel hat ihren Leuten nie die 16 Franken Mittagsspesen bezahlt. Wir haben interveniert. Dann hat sie den Leuten einfach Billig-Sandwiches gekauft. Sie ist extra kurz vor Ladenschluss in die Migros und hat jene Sandwiches aus dem Kühlregal gefischt, die einen 50-Prozent-Kleber draufhatten und also am nächsten Tag abgelaufen waren. Das haben wir dann schnell abgestellt. Meistens ist es aber der Zeitdruck, der hinter den Schikanen steht. Gerade in der Hotelreinigung wird den Frauen oft ein Zeitlimit pro Zimmer aufgedrückt. In zwanzig Minuten oder noch weniger muss dann ein ganzes Zimmer gereinigt werden, egal wie dreckig es ist. Aber wenn die Reinigungskraft mehr Zeit braucht, als vorgegeben, wird ihr das nicht bezahlt. Das ist zwar verboten, kommt aber sehr häufig vor.

KEIN DURCHKOMMEN: Die streikenden Arbeiterinnen lassen sich nicht vertreiben und lassen die Streikbrecher nicht in den Betrieb. (Foto: Fabian Biasio)
KEIN DURCHKOMMEN: Ana Maria Pica an einer Betriebsblockade während des Frauenstreiks 2019 in Luzern. (Foto: Fabian Biasio)

Sind das eher Kleinbetriebe, die solche Rüpel-Methoden einsetzen?

Achtung, die grossen Reinigungsfirmen sind überhaupt nicht zwingend besser! Wir sind gerade aktuell an einem Fall von Hotelreinigerinnen dran, die kurz vor dem Zusammenbruch stehen. Ihnen wurde ein extrem knappes Zeitlimit für die Zimmerreinigung gegeben, sie werden psychisch fertiggemacht, es ist die reinste Tortur – und das zum tiefst möglichen Stundenlohn von 20.80 Franken. Der Arbeitgeber ist einer der grössten Player auf dem Schweizer Markt.

Die grossen Reinigungsfirmen sind überhaupt nicht zwingend besser!

Aber die Grossfirmen wie ISS, Vebego, Honegger oder Enzler haben doch einen Ruf zu verlieren!

Sicher, und viele geben sich tatsächlich auch Mühe. Doch gerade bei grossen Firmen sehen wir immer wieder, dass den Arbeiterinnen Verträge mit extra kleinem Pensum ausgestellt werden.

Wozu Verträge mit Mini-Pensen?

Damit die Firma keine Beiträge an die 2. Säule abliefern muss. Obligatorisch BVG-versichert ist ja nur, wer bei einem Arbeitgeber ein Jahresgehalt von mindestens 22050 Franken erzielt. Reinigerinnen mit kleinem Pensum, liegen oft unter dieser Eintrittsschwelle. Ihnen fehlt die berufliche Vorsorge schlichtweg. Auch dann, wenn sie für verschiedene Firmen arbeiten und zusammen locker über der 22050 Franken kommen. Die Eintrittsschwelle muss nämlich bei einem Arbeitgeber erreicht werden. Kleinstpensen haben für Arbeitgeber aber noch einen anderen Vorteil.

Nämlich?

Sie können sich so auch die Beiträge an die Krankentaggeldversicherung sparen. Anspruch auf eine Krankentaggeldversicherung haben nämlich nur Reinigerinnen und Reiniger, die regelmässig wöchentlich mindestens 12,5 Stunden arbeiten. Ich hatte einen Fall von einem Arbeiter, der während vier Jahren nur temporär und befristet angestellt wurde. Dann hatte er eine schwere Thrombose, wurde arbeitslos und musste vier Monat lang ohne einen Rappen über die Runden kommen. Jetzt ist er zwar wieder gesund und ich konnte mit der Versicherung eine faire Lösung finden. Doch wegen seiner Arbeitslosigkeit wurde ihm die Aufenthaltsbewilligung entzogen. Er muss jetzt zurück nach Portugal.

WUT UND MUT: Mit einem fulminanten Streik wehrten sich Reinigerinnen und 2023 gegen Dumpinglöhne und Schwarzarbeit. (Foto: Unia)

Die Krankentaggeldversicherung ist so im Gesamtarbeitsvertrag geregelt, der seit ziemlich genau 20 Jahren existiert. Die Gewerkschaften und der Arbeitgeberverband Allpura ziehen grundsätzlich eine positive Bilanz. Zurecht?

Über alles gesehen auf jeden Fall! Es hat sich ungemein viel verbessert.

So gelten heute die gleichen Spielregeln für alle Firmen und diese werden auch kontrolliert. Und in den zwanzig Jahren sind die Löhne um bis zu 35 Prozent gestiegen. Oder beim Mutterschaftsurlaub gibt es immerhin zwei Wochen mehr als vom Gesetz vorgeschrieben. Der Vertrag wurde auch immer weiterentwickelt. Einen vollen 13. Monatslohn gibt es etwa erst seit 2012. Und um das Lohndumping besser bekämpfen zu können, sind Lohnzahlungen in bar seit 2022 verboten.

Zufrieden sind Sie aber nicht?

Nein, die Löhne sind immer noch deutlich zu tief. Reinigung ist eine sehr harte und wichtige Arbeit und muss entsprechend honoriert werden. Ohne die Reinigungskräfte ginge bald nichts mehr in unsere Gesellschaft.

Sie haben in der Region Luzern in den letzten Jahren immer wieder mit spektakulären Aktionen für Aufsehen gesorgt. Worum ging es da jeweils?

Das waren Aktionen, Streiks und Blockaden gegen besonders ruchlose Reinigungs-Chefinnen und -Chefs. Sie haben den GAV und die Gesetze teils massiv verletzt, die Arbeitenden sehr schlecht behandelt und waren nicht bereit, mit uns zu verhandeln. Unsere Aktionen haben sie dann halt dazu gezwungen. Und die Arbeitenden kamen zu ihrem Recht und Geld. Einige dieser Chefs haben sich übrigens durchaus gebessert, andere sind leider hoffnungslose Fälle.

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