Lagebesprechung bei Pizza und Bier
Zürcher Baupoliere: Im Sandwich zwischen Chef und Equipe

BINDEGLIED: Poliere stehen zwischen den Büezerinnen und Büezern und den Chefs. (Foto: Keystone)

Polierinnen und Poliere sind die Capos der Baustellen. Doch ihre Position zwischen Chefbüro und Bauequipen wird immer anspruchsvoller. Pulsfühlung an einer Zürcher Polierversammlung.

BINDEGLIED: Poliere stehen zwischen den Büezerinnen und Büezern und den Chefs. (Foto: Keystone)

Sommer, Sonne, Bier und Pizza: Fast kommt Feierlaune auf an diesem Freitagabend auf der Dachterrasse an der Zürcher Strassburgstrasse 11. Doch es ist keine Rooftop-Party, die hier tobt, sondern der gemütliche Schluss einer gewerkschaftlichen Polierversammlung. Eingeladen hatte die Unia Zürich-Schaffhausen, gekommen sind Poliere (und eine Polierin!) aus dem ganzen Kanton und von fast allen grossen Baufirmen. Und nein, es war nicht die Pizza, die die Baukader gelockt hatte, sondern der Ernst der Lage. Polier Christian Rüfenacht* (39) sagt:

Landesweit wird gebaut, als gäbe es kein Morgen mehr. Doch überall fehlt es an Personal, erst recht an erfahrenen und gut ausgebildeten Fachkräften.

Das spürten zwar alle auf dem Bau, doch am stärksten die Polierinnen und Poliere. Rüfenacht erklärt: «Wir stehen naturgemäss in einer Art Sandwichposition zwischen dem Chefbüro und den Bauequipen, die wir anführen und deren Arbeit wir verantworten müssen.» Der Druck komme von oben, aber auch von unten. Das sei aber nichts Neues, meint Polier João dos Santos* (51), neu sei bloss die Intensität.

Fehlt Jungen der Team-Spirit?

«Der Druck auf uns wird immer grösser», sagt dos Santos. Über die Gründe herrscht auf der Dachterrasse Einigkeit: zunehmender Termindruck und zu wenig Personal. Immer öfter würden die Firmen auf wenig erfahrene Temporäre ausweichen, was das Arbeiten abermals erschwere. Und dann ist da noch das Problem mit dem mangelnden Nachwuchs. «Wir finden ja kaum noch Lehrlinge!» meint dazu Polier Rüdiger Siebold* (43), «und die, die wir haben, starren in der Pause nur auf ihr Handy. Den Jungen fehlt irgendwie der Team-Spirit, aber ohne diesen geht es einfach nicht!» Siebold sagt es, beisst in seine Margherita und erntet allseitige Zustimmung. Fast zumindest.

Denn Kollege Rüfenacht betont, er wolle hier «kein Generationen-Bashing» betreiben. Die Jugend von heute sei nun mal nicht mehr dieselbe wie einst. Das müsse man akzeptieren, ändern lasse es sich jedenfalls nicht. «Was es braucht», sagt Rüfenacht, «sind attraktive Arbeitsbedingungen.» Daher gehöre auch jeder Kollege und jede Kollegin in die Gewerkschaft. Auch hier widerspricht keiner. Und tatsächlich; organisatorisch ist bei den Polierinnen und Polieren Schwung in der Sache – und zwar nicht erst seit gestern.

Mehr Poliere in der Unia

Chris Kelley von der Unia-Sektorleitung Bau erinnert sich genau: «2019 haben wir eine grosse Bauumfrage zum Termindruck gemacht. Und zu unserem Erstaunen kam heraus, dass die Unzufriedenheit bei den Polieren grösser war als bei den Bauarbeitern insgesamt.» Früher sei immer das Gegenteil der Fall gewesen. Treibt der zunehmende Termindruck hier gerade die Poliere in die Gewerkschaft? Auf jeden Fall verändere sich etwas, meint Kelley:

Weil die Poliere immer mehr unter Druck geraten, organisieren sie sich auch immer öfter in der Unia.

Unia-Bauchef Chris Kelley. (Foto: Unia)

Und das sei auch begrüssenswert. «Wenn wir die Baubranche zum Besseren verändern wollen, braucht es das Engagement der Poliere.» Die Dynamik scheint allerdings gegenseitig. Denn nicht nur die Poliere kommen vermehrt in die Gewerkschaft, auch die Gewerkschaft geht vermehrt auf die Poliere zu.

Sheqir Berisha, Teamleiter Bau bei der Unia Zürich-Schaffhausen, bestätigt: «Seit dem letzten Jahr machen wir wieder spezifische Poliertreffen. Auch gezielt auf Poliere zugeschnittene Umfragen haben wir lanciert.» Berisha hat allen Grund dazu: Für das «normale» Baustellenpersonal gilt nämlich der Landesmantelvertrag (LMV), für die Poliere dagegen der sogenannte Baukadervertrag. Zwar dient der LMV traditionell als Grundlage für den Kadervertrag, doch verhandelt werden sie immer noch separat. Und was das bedeuten kann, zeigte sich exemplarisch Anfang 2023.

Unia-Mann Sheqir Berisha. (Foto: Unia)

2023: Der Separatangriff auf die Poliere

Der neue LMV war bereits unter Dach und Fach. Den Gewerkschaften war es gelungen, sämtliche Radikalforderungen des Schweizerischen Baumeisterverbands (SBV) abzuwehren. Doch bei den Polieren versuchten es die Meister erneut – und zwar mit denselben Abbauforderungen. Mehr noch verlangte der SBV Verschlechterungen, die einzig die Poliere betroffen hätten. Konkret: deutlich mehr Minus- und Überstunden für Poliere als im LMV festgeschrieben, keine Auszahlung mehr der alten Überstunden mit 25 Prozent Zuschlag, keine konkrete Erfassung der Arbeitszeit ab einem bestimmten Lohn. Doch der SBV freute sich zu früh. Die Gewerkschaften wehrten auch diese Angriffe ab. Aber schon in gut einem Jahr geht es wieder los. Denn der LMV läuft Ende 2025 aus. Das bringt Chancen, aber auch Risiken – gerade für die Polierinnen und Poliere.

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