work Sommerkrimi – Teil 2
Zurück beim Toten – in Begleitung der Kripo

Illustration: Ninotchka.ch

Das hat mir gerade noch gefehlt. Mein Feierabend ist dahin. In diesem Moment sehe ich den Mann, der ermordet wurde, als blosses Hindernis. Ich laufe durch den oberen Stock, rufe, schaue, ob noch irgendwer da ist, fahre nach unten, auch hier ist alles still. Das ist gemein. Zum ersten Mal wäre ich froh, wenn jemand da wäre. Am liebsten würde ich einfach verschwinden. Aber das würde auffallen. Warum sind die Büros nicht gereinigt worden? Soll ich einfach um ihn herum putzen? Das wäre nicht schlau, wegen der Spuren und so. Am Schluss heisst es noch, ich hätte etwas mit seinem Tod zu tun.

Es bleibt mir nichts anderes übrig, als die Polizei zu rufen und zu warten. Zehn Minuten, zwanzig Minuten. Mit dem Lift fahre ich ganz nach unten, um sie in Empfang zu nehmen. Ich würde gerne eine Zigarette rauchen, aber ich habe schon vor Jahren damit aufgehört. Ich müsste umparkieren, die Parkzeit ist abgelaufen, und man muss bis 22.00 bezahlen.

Auftritt Kripo

Eigentlich habe ich einen Streifenwagen und Uniformierte erwartet, aber nun steigen eine junge Frau und ein mittelalterlicher Mann in Zivil aus einem blauen Toyota und kommen auf mich zu.

Sie sind von der Kripo, die Frau heisst Brandstetter, den Namen des Mannes habe ich nicht recht verstanden. Stadler, Stettler, Mettler, irgend so etwas hat er gebrummt. Wir fahren zusammen mit dem Lift in den oberen Stock.

«Sie arbeiten hier?»

«Nein, ich komme nur zum Putzen.»

«Sie haben den Toten gefunden?»

Ich nicke. Beim Gedanken, noch einmal in das Büro zu gehen, wird mir übel, aber ich reisse mich zusammen.

«Sind Sie sicher, dass er tot ist?» fragt die Polizistin.

«Er bewegt sich nicht, und der Boden ist voller Blut. Ich glaube, ihm wurde die Kehle durchgeschnitten.»

«Dann lebt er jetzt sicher nicht mehr», meint der Mann trocken. «Bei so einer Verletzung wird man rasch bewusstlos, der Tod tritt nach etwa zehn Minuten ein.» In dem Fall muss zwischen der Tat und dem Abgang der Person, die ich gesehen habe, etwas Zeit vergangen sein.

«Ein sauberer Schnitt»

Oben angekommen, führe ich die beiden durch den dunklen Gang, das Licht geht an, und ich deute auf die offene Bürotür, dort ist es inzwischen dunkel. Brandstetter betritt den Raum, die Lampe schaltet sich ein. Alles automatisch hier, das soll Strom sparen. Der Polizist weist mich mit dem Arm an, ebenfalls einzutreten.

«Haben Sie etwas angefasst?» fragt er.

«Ihn», sage ich, «an der Schulter. Aber nur ganz kurz.»

Ich beuge mich ein wenig vor, um zu zeigen, wie ich ihn berührt habe.

Brandstetter geht in die Knie, die Füsse so platziert, dass sie nicht in die Blutlache tritt. Ich bin nicht sicher, ob sie sich weiter ausgebreitet hat. Mit einer kleinen, hellen Lampe leuchtet die Polizistin den Toten von unten an. «Sieht nach einem sauberen Schnitt aus.» Sie kommt wieder hoch. «Haben Sie ein Messer oder so etwas gefunden?»

Ich schüttle den Kopf. Erst jetzt wird mir richtig bewusst, was hier geschehen ist.

«Wir werden eine Weile hier sein. Ihre Aussage können wir erst später aufnehmen. Dazu müssen Sie auf den Posten kommen», meint sie.

«Kann ich unten anfangen zu putzen?»

«Nicht, bevor die Spurensicherung da war.»

«Meine Parkzeit ist abgelaufen, ich muss umparkieren.»

«Sie können auch nach Hause gehen, bis wir fertig sind. Max, nimmst du ihre Personalien auf? Wir melden uns dann wegen Ihrer Aussage.»

Ich gebe dem Polizisten meine Adresse und die Handynummer, lade meine Sachen ein und fahre nach Hause.

Zurück zum Tatort

Morgens um halb zwei klingelt mein Handy. «Wir sind jetzt fertig.»

«Frau Brandstetter?»

«Der Tatort ist freigegeben. Wir haben mit der Verwaltung telefoniert. Wenn die Leute am Montag zur Arbeit kommen, muss alles sauber sein.»

«Aber … ich … was?»

«Danke, wir melden uns noch wegen Ihrer Aussage.»

So ein Mist. Ich stehe auf, ziehe mich an, mache mir einen Kaffee. Ich überlege kurz, ob ich den Verlobten meiner Cousine anrufen soll. Wer zahlt mir die Überzeit? Weil ich die Antwort ahne, lasse ich es bleiben. Wenn ich ihn mitten in der Nacht aufwecke, hat er auch keine bessere Laune. Ich will die Sache so schnell wie möglich hinter mich bringen, und um diese Zeit finde ich wenigstens einen Parkplatz.

Der nächste Schock

Ich beginne im unteren Stock und überlege dabei, wer wohl die Belegschaft darüber informiert, dass ihr Chef ermordet wurde. Nicht mein Problem. Mein Problem sind die Abfälle. In der Küche gibt es diese verschiedenfarbigen Behälter für Papier, Karton, PET, Glas, Metall, Kompost und Restmüll. Es hängen überall Plakate und Sticker, die daran erinnern, dass sich die Firma um den Klimaschutz sorgt und Recycling einen wichtigen Beitrag dazu leistet. Die Botschaft kommt nicht wirklich an. Vieles landet im falschen Behälter, und ich soll es dann sortieren. Wenn ich zu wenig Zeit habe, landet alles im Betriebskehricht. Also öfter. Ich staune immer wieder, wie viel Abfall die Verpflegung im Büro generiert. All die Verpackungen, das Einweggeschirr, die Dosen und Flaschen. In der Abwaschmaschine tauchen hin und wieder Mehrwegbehälter auf, die ich in den Küchenschrank stelle, wo sie sich stapeln, bis sie dann irgendwann wieder verschwunden sind.

Ich atme tief durch und nehme den Lift in den oberen Stock. Als Erstes nehme ich mir die Büros vor. Ich bin wahrscheinlich genauer als sonst, weil ich die Arbeit im Eckbüro herauszögern will. Als ich es endlich betrete, erschrecke ich zum zweiten Mal in dieser Nacht.

Stephan Pörtner (58) lebt als Schriftsteller und Übersetzer in ­Zürich. Seine bisher sechs Kriminal­romane um ­Jakob «Köbi» Robert erschienen im Krösus- und im Bilger-Verlag. Als Meister der kurzen Form schreibt Pörtner auch ­Kolumnen und Fortsetzungsromane.

Wie geht es weiter?

Mit diesem Fortsetzungskrimi begleitet work Sie durch den Sommer. Den ersten Teil haben wir am 24. Juni publiziert. Die weiteren Folgen erscheinen wöchentlich am Montag (8., 15. und 22. Juli) auf unserer Website.

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