Fehlender Schutz vor missbräuchlicher Kündigung
Arbeitsplatzverlust hinterlässt tiefe Narben – Massnahmen müssen her!

KLARE FORDERUNGEN: Unia-Präsidentin Vania Alleva hat mit einer Gewerkschaftsdelegation den Bundesrat besucht. (Foto: Unia)

Die Arbeitgeber ­weigern sich stur, den Schutz vor ­missbräuchlichen ­Kündigungen zu ­verbessern, und das seit über 20 Jahren. Jetzt ­fordert eine Gewerkschafts-Delegation von ­Bundesrat ­Parmelin endlich abschreckende Massnahmen.

KLARE FORDERUNGEN: Unia-Präsidentin Vania Alleva hat mit einer Gewerkschaftsdelegation den Bundesrat besucht. (Foto: Unia)

Zum Jahresende 2023 gab’s vom Bundesrat für die Lohnabhängigen statt Neujahrswünschen eine Ohrfeige: In seiner letzten Sitzung vor der Weihnachtspause beschloss er, den Kündigungsschutz nicht an internationale Mindeststandards anzupassen (work berichtete). Seither hat Wirtschaftsminister Guy Parmelin (SVP) nichts gegen missbräuchliche Kündigungen unternommen. Der Internationale Gewerkschaftsbund hingegen schon: Im Juni hat er die Schweiz auf der Rangliste für Vereinigungsfreiheit und Schutz der Arbeitsrechte in die Kategorie «Regelmässige Rechtsverletzungen» herabgestuft. Wie peinlich für ein demokratisches Land! Deshalb fordern von missbräuchlicher Kündigung Betroffe­­ne, Unia-Präsidentin Vania Alleva und Luca Cirigliano vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund von Bundesrat Parmelin abschreckende Massnahmen gegen missbräuchliche Kündigungen: zum Beispiel Strafen von mindestens zwölf Monatslöhnen oder die Wiedereinstellung der Entlassenen. Zudem arbeitet die Unia an der Lancierung einer Initiative zur Verbesserung des Kün­digungsschutzes. Zum Treffen mit Parmelin sagte Unia-Präsidentin Alleva:

Es ist betrüblich, dass der Bundesrat den Stier nicht bei den Hörnern packt. Die Schweiz verfügt über einen absolut unzureichenden Schutz vor Entlassungen und muss dringend handeln.

FÜR MÜTTER UNHALTBAR

Seit über zwanzig Jahren weigern sich die Arbeitgeber stur, den fehlenden Schutz für gewerkschaftlich aktive ­Arbeitnehmende zu verbessern. So stur, dass der Schweizerische Gewerkschaftsbund 2003 eine Klage deponierte. Die Schweiz hat zwar die entsprechende Konvention Nr. 98 der ­Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ratifiziert, setzt sie aber nicht um. Der schwache Kündigungsschutz ist auch für Arbeitnehmende in verletzlichen Situationen unhaltbar: Personen, die krankheitsbedingt ausfallen, Mütter und ältere Arbeitnehmen­de sind besonders oft von unfairen und missbräuchlichen Kündigungen betroffen. Dabei kann eine missbräuchliche Kündigung ein traumatisches ­Erlebnis sein, wie ein Betroffener am Treffen mit Bundesrat Parmelin berichtete:

«Nach mehr als 32 Jahren, in denen ich mich Jahr für Jahr mit tadelloser Leistung für mein Unternehmen eingesetzt hatte, wurde ich brutal entlassen. Es war nicht einfach nur das Ende eines Arbeitsvertrags, sondern der Abschluss einer Ära. Mit mehr als 85 Dienstjahren, die mein Vater, mein Bruder und ich zusammen in diesem Unternehmen verbracht hatten, bedeutete dies weit mehr als nur einen Job, sondern eine gebrochene Familienära.

Als Mitglied des Personalausschusses habe ich über fünf Jahre lang daran gearbeitet, allen Kolleginnen und Kol­legen konkrete Vorteile zu bieten, um ihre Familienbudgets so gut wie möglich zu entlasten.

Ich war auch mehr als fünf Jahre im Stiftungsrat der Pensionskasse des Unternehmens und Mitglied mehrerer Branchenausschüsse der Gewerkschaft, wobei mein Engagement mit meiner Entlassung ein abruptes Ende fand. Darüber hinaus hielt sich das Unternehmen nicht an das in unserem GAV vorgesehene Verfahren bei der Entlassung von Personalvertretern.

Diese Entlassung hinterlässt tiefe Narben in allen Aspekten meines Lebens.

Sie zerbrach berufliche und per­sönliche Bindungen, die ich im Laufe der Jahre liebevoll geknüpft hatte, sie erschütterte meine Gewissheiten, brachte mein familiäres Gleichgewicht durcheinander und löschte die Flamme meines inneren Wesens aus. Ich fand mich ver­loren, ohne Kompass, gefangen in einem Strudel unbeantworteter Fragen, überwältigt von Schuldgefühlen, die mein Selbstvertrauen untergruben und meinen Sturz in eine endlose Dunkelheit beschleunigten.

Der Verlust meines Arbeitsplatzes bedeutete mehr als nur den Wegfall einer Einkommensquelle, es war auch der Verlust meiner Wurzeln und meiner täglichen Orientierungspunkte, meiner Iden­tität und meines wertvollen beruflichen Netzwerks, mit dem ich mich über die Jahre hinweg verbunden hatte.
»

Kündigungsschutz in der Schweiz: 20 Jahre Blockade

UNTÄTIG: Wirtschaftsminister Guy Parmelin (SVP). (Foto: Keystone)

2003 Der SGB reicht erstmals eine Klage beim Ausschuss für Vereinigungsfreiheit der IAO wegen Verletzung der IAO-Übereinkommen 87 und 98 ein.

2004–2006 Der IAO­Ausschuss for­ dert die Schweiz auf, ihren Kündi­gungsschutz zu verbessern. Insbeson­ dere werden eine Erhöhung der maxi­ malen Entschädigung und die Möglich­ keit der Wiedereinstellung bei miss­ bräuchlichen Kündigungen gefordert.

2009–2010 Der Bundesrat schlägt vor, den Kündigungsschutz zu erwei­tern, u. a. auch für Gewerkschaftsver­treter. Diese Vorschläge scheitern je­doch am Widerstand der Arbeitgeber.

2015 Gutachten, die im Auftrag des Seco erstellt wurden, zeigen auf, dass das schweizerische Kündigungs­ schutzrecht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstösst und im internationalen Vergleich un­terdurchschnittlich ist.

2016–2019 Weitere Berichte und Urteile, einschliesslich eines EGMR­ Urteils, betonen den unzureichenden Schutz in der Schweiz. Die IAO setzt die Schweiz auf eine Liste der bedenklichsten Fälle von Verletzungen ihrer Konventionen.

2019–2023 Mediation zwischen Ar­beitgebern und Gewerkschaften wird ge­startet, jedoch ohne Ergebnis sistiert.

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