Nein am 22. September zur BVG-Revision
Bschiss oder Pfusch? Beides!

Die BVG-Vorlage vom 22. September löst kein einziges Problem. Berufstätige bezahlen noch mehr für noch weniger Rente. Und die Pensionierten warten weiter vergeblich auf einen Teuerungsausgleich. Ärgern über ein Nein würden sich nur die Banken, Versicherungen und dubiose Makler.

DIE GEWERKSCHAFTEN GEGEN DEN BVG-BSCHISS: Unia-Präsidentin Vania Alleva und SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard traten zum Start der Abstimmungskampagne gegen die BVG-Reform in diesem Sommer gemeinsam vor die Medien. (Foto: Keystone)

Die bürgerliche Parlamentsmehrheit sagt oft Ja zu Dingen, die der Mehrheit im Land schaden. Manchmal pfuscht das Parlament auch. Ab und zu schaffen es SVP, FDP, GLP und Mitte sogar, im Gleichschritt eine Bschiss-Vorlage gleich auch noch handwerklich zu verpfuschen. Am 22. September stimmen wir über eine solche ab.

Kurzer Blick zurück

Das Schweizer Pensionskassensystem bröckelt seit Jahren. Die Versicherten erhalten für höhere Abzüge niedrigere Renten. Kaum eine laufende Rente wird der Teuerung angepasst. Die Banken und Versicherungen können ihre früheren vollmundigen Versprechen nicht mehr einhalten. Die Rentensituation für immer mehr Menschen wird immer schwieriger. Einzig für die Finanzindustrie läuft das BVG-Geschäft wie geschmiert. Die Manager und das Aktionariat von Banken und Versicherungen profitieren.

Gewerkschaften boten Hand

Das Pensionskassensystem ist zwar massiv angekränkelt, aber noch kein Scherbenhaufen. Der Bundesrat beauftragte darum die Gewerkschaften und die Arbeitgeber damit, einen Vorschlag auszuarbeiten, um die Probleme im BVG zu lösen. Die lieferten. Der sogenannte Sozialpartner-Kompromiss hätte die Renten für alle gesichert, das BVG modernisiert und dank einem solidarisch finanzierten Rentenzuschlag nicht nur die Renten jener Arbeitnehmenden gesichert, die in den letzten Jahren besonders gelitten haben, sondern auch die Renten der Frauen ohne hohe Zusatzkosten sofort verbessert. Kurzum: Der von den Gewerkschaften und den Arbeitgebern ausgearbeitete Kompromiss war zwar keine Gewerkschaftsvorlage, aber halbwegs sozialverträglich. Das sah auch der Bundesrat so und machte ihn zu seinem.

Rechte täubelen

Wohlgemerkt: nachdem in einer breiten Vernehmlassung keine überzeugenderen Vorschläge gekommen waren. Die von Banken, Baumeistern, Detailhändlern und Gewerbeverband vorgelegten «Sanierungsmodelle» unterschieden sich zwar in Nuancen, hatten aber alle eines gemeinsam: Sie waren gegen die Interessen der unteren und mittleren Einkommen. Und sie wollten nichts an der Benachteiligung der Frauen im BVG ändern. Ähnlich lief es in der Vernehmlassung; die rechten Parteien von SVP bis GLP bliesen in unterschiedlichen Tönen ins gleiche Horn. Der Bundesrat sah dieses rechte Täubelen nicht als zielführend an und schickte den Sozialpartner-Kompromiss in den parlamentarischen Prozess.

Parlament ausser Rand und Band

Die bürgerliche Parlamentsmehrheit machte daraus im Auftrag der Finanzindustrie und der ideologischen Gewerbler eine milliardenteure Abbau-Vorlage. Dabei überbordeten die bürgerlichen Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Bemühen, die leicht unterschiedlichen speziellen Wünsche alle gleichzeitig zu erfüllen. Am Schluss verabschiedeten die geschlossenen Fraktionen von GLP und FDP zusammen mit den Mehrheiten von SVP und Mitte eine völlig verpfuschte Vorlage, von der sogar Fachleute aus dem Bundesamt für Sozialversicherung warnten. Gewerbler und Bauern aus SVP und Mitte wurde es ebenfalls ein bisschen unheimlich, und sie enthielten sich der Stimme oder sagten gar Nein.

Die vier wichtigsten Nein-Gründe

Pensionskassen-Vorlagen sind oft komplex und verwirrend. Gegen die Vorlage vom 22. September sprechen folgende vier Hauptgründe: 

  • Noch mehr bezahlen für noch weniger Rente? Mit dem BVG-Bschiss drohen den Versicherten zusätzliche Rentenkürzungen von jährlich bis zu 3200 Franken pro Person. Und dafür sollen sie erst noch deutlich mehr bezahlen. Bis zu 200 Franken im Monat!
  • Geringverdienende sind besonders betroffen! Die geplante Senkung des Umwandlungssatzes schwächt die Rentengarantie für alle. Besonders betroffen sind Personen mit kleinen Einkommen und/oder Mehrfachpensen. Sie müssten viel höhere Lohnbeiträge in die Pensionskasse ein-zahlen ohne Garantie, dass sie später bessere Renten bekommen. Darunter leiden besonders viele Frauen.
  • Laufende Renten sind immer weniger wert! Der Teuerungsausgleich auf Renten rückt bei -einem Ja zur Revision in weite Ferne.
  • Nur Banken und Versicherungen profitieren! Die einzige Profiteurin der unsozialen BVG-Reform ist die Finanzindustrie. Banken und Versicherungen stecken sich jedes Jahr Milliarden von unserem Altersguthaben in die eigenen Taschen.

Was passiert bei einem Nein …

Zentral ist: Bei einem Nein zum BVG-Bschiss wird nichts schlechter als bisher. Aber vieles kann besser werden. Denn die meisten Probleme, die von den Befürwortern angeblich gelöst werden wollen, sind entweder nicht mehr relevant oder werden durch die Beschiss-Vorlage nicht entschärft. Zum Beispiel ist die Umverteilung von Jung zu Alt längst gestoppt. Teilweise sogar schon um-gekehrt. Die Probleme der zu schlechten Versicherungsleistungen für Teilzeitarbeitende haben 90 Prozent der Kassen angepackt.

Die zwei grossen Probleme bei den Pensionskassen geht die Revision nicht an oder verschlimmert sie sogar. 

… mit den Frauenrenten …

Das Problem der tiefen Frauenrenten bei den Pensionskassen ist nicht «einfach» mit einem tieferen Koordinationsabzug zu lösen. Die tiefen Frauenrenten im BVG sind eine direkte Konsequenz daraus, dass die Mehrzahl der unbezahlten Care-Arbeit immer noch von Müttern geleistet wird. Darum müssen mehr bewährte Elemente aus der AHV ins BVG einfliessen. Zum Beispiel das konsequente Splitting der Altersguthaben und die Anerkennung der Care-Arbeit.

…  und dem Teuerungsausgleich?

Das grösste Problem bei den laufenden Pensionskassen-Renten ist die Verweigerung des Teuerungsausgleichs. Dieser wurde den Stimmbürgerinnen und -bürgern vor über einem halben Jahrhundert versprochen. Und noch heute warten die Pensionierten darauf. Und so können sich die Rentnerinnen und Rentner mit -ihrer Rente jedes Jahr weniger kaufen. 

Auch dieses alte und immer drängendere Problem hat die bürgerliche Parlamentsmehrheit in dieser Reform nicht anpacken wollen. Bei einem Ja können aktuelle und zukünftige Rentnerinnen und Rentner noch weitere Jahrzehnte warten. 

FAZIT: Die BVG-Vorlage, über die wir am 22. September abstimmen, ist ein Bschiss und ein Pfusch. Bei einem Nein wächst der Druck, die wahren Probleme richtig zu lösen. Der Sozialpartner-Kompromiss hat eine mögliche Richtung aufgezeigt. Und ein Nein ist ein deutliches Zeichen für eine Reform im Sinne der Mehrheit in diesem Land und nicht im ausschliesslichen Interesse der Banken und der Versicherungskonzerne.

Parolen: Arbeitgeber-Verbände sind tief gespalten

Der BVG-Bschiss spaltet die Gewerbeverbände. Wirtinnen und Coiffeure, Bäcker und Fitnesstrainerinnen sagen ebenso Nein wie die Metzger. Der Westschweizer Arbeitgeberverband Centre Patronal auch. Im Gewerbeverband haben sich die Verbandsideologen zwar mit einer Ja-Parole durchgesetzt, doch an der Basis ist der Unmut weiter gewachsen.

NEIN-FRONTFRAU: SVP-Wirtin Esther Friedli. (Foto: Keystone)

Unterdessen hat sich ein gewerbliches Nein-Komitee gegründet. Frontfrau ist SVP-Ständerätin und Wirtin Esther Friedli. Sie hat bereits im Parlament gegen die BVG-Reform gestimmt. Der «NZZ am Sonntag» sagte sie: «Warum sollten wir alle mehr zahlen, wenn die Arbeitnehmer am Schluss gar nicht mehr davon haben?» Spannend wird es am Samstag nach Erscheinen dieser work-Ausgabe. Dann fassen die SVP-Delegierten die
Parolen zur BVG-Vorlage. Im Parlament hat sich Parteipräsident Marcel Dettling der Stimme enthalten, und Vize-Chefin Magdalena Martullo-Blocher hat Nein gestimmt. Jetzt soll Nationalrat Andreas Glarner die SVP-Delegierten von einem Ja überzeugen. Für ein Nein zum BVG-Bschiss legt sich SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard ins Zeug. (cs)


KonsequenzenVon wegen «Für die Frauen»

Es war das grosse Versprechen der Bürgerlichen, dass die Frauen bessere Pensions­kassen-Renten bekommen, wenn sie zuerst brav ein Jahr länger arbeiten. Neben den kreuzfalschen AHV-Prognosen war es wohl der Hauptgrund für das Mini-Ja zur AHV-21-Vorlage im vergangenen Herbst. Doch wie von den Gewerkschaften befürchtet und wenig überraschend, brachen die Bürgerlichen ihr Versprechen. Auch wenn gerade GLP-Frauen weiterhin behaupten, die BVG-Reform bringe Teilzeitarbeitenden und Frauen bessere ­Renten, sie werben mit einer Scheinlösung: Teilzeitarbeitende – und das sind in der Mehrheit Frauen – werden zur Kasse gebeten, ohne dass sie mit einer höheren Rente rechnen können. 

Zwar werden Teilzeitarbeitende auf dem ­Papier besser abgesichert als bisher. Doch dieses Problem haben 90 Prozent der Pen­sionskassen bereits für sich gelöst. Und die Resultate zeigen: Während Teilzeitlösungen in der zweiten Säule bereits weitestgehend ­umgesetzt sind, bleibt die Rentenlücke der Frauen unverändert gross. Auswertungen aus Pensionskassen zeigen, dass auch mit ­einem angepassten Koordinationsabzug Frauen einen Drittel weniger Rente erhalten. Berufstätige Mütter mit Betreuungsaufgaben werden deshalb auch mit dieser «Reform» im Alter nicht besser dastehen. Im Gegenteil: Viele Frauen werden also trotz höheren Abzügen noch weniger Rente erhalten. 

Und noch fieser: Ausgerechnet jene Mehrfachbeschäftigten, die am allerdringendsten auf bessere Renten angewiesen wären, hätten auch bei einem Ja zur Reform weiterhin keinen PK-Anschluss. Geradezu eine Einladung an verantwortungslose Arbeitgebende, noch mehr darauf zu achten, keine Verträge auszustellen, die ­einen Zugang zur zweiten Säule ermöglichen.

Fazit: Die BVG-Revision löst keines der Probleme für Teilzeitarbeitende und verschärft im Gegenteil deren Lage weiter. 


Seit JahrenDie Lohnabzüge explodieren, die Renten schmelzen

Seit Jahren sinken die Renten und die Rentenversprechen der Pensionskassen. Gleichzeitig steigen die Lohnabzüge immer weiter. Heute bekommen Rentner durchschnittlich 300 Franken weniger pro Monat als vor 15 Jahren. Das bedeutet einen Verlust von 3600 Franken pro Jahr! Während die Lohnbeiträge im selben Zeitraum um 14 Prozent erhöht wurden. Die Zahlen aus der neusten Neurentenstatistik des Bundes (keine Prognose, ausgezählt): Seit 2015 ist die mittlere Pensionskassenrente der Männer um 9,5 Prozentpunkte gesunken. Noch immer erhalten fast ein Drittel der Frauen keine Pensionskassen-Rente. Die Hälfte der frisch pensionierten Frauen erhalten eine PK-­Rente von weniger als 1217 Franken pro ­Monat. Dazu kommt, dass die Pensionskassen-Renten nicht an die Teuerung angepasst werden. Berücksichtigt man die Teuerung, bedeutet dies seit 2015 einen zusätzlichen Wertverlust von fast 5 Prozent. Das heisst, die Renten sind kaufkraftbereinigt in den letzten acht Jahren rund 14 Prozent gesunken. 

Doch auch dieses Problem löst die BVG-Revision nicht. Im Gegenteil, sie verstärkt es: Für noch mehr Lohnabzüge soll es noch weniger Rente geben. Und die mickrigen Kompensationszahlungen sollen die Versicherten zudem noch gleich selbst finanzieren. Die von den Befürworterinnen und Befürwortern des BVG-Bschiss so gerne ins Feld geführten «grosszügigen» Kompensationen sind völlig untauglich und gesetz­geberisch ein Pfusch. 

Erstens werden über die Hälfte aller Betroffenen keine Kompensation erhalten. Geschützt sind nur Renten bis rund 1000 Franken – unter einer ganzen Reihe von Einschränkungen, die gerade Frauen und Geringverdienende in gros­ser Zahl von den Kompensationen aus­schlies­sen. Wer aktuell Anspruch auf mehr als 1000 Franken im Monat hat, muss mit massiven Einbussen rechnen.

Bezahlen sollen für die Kompensationen die Versicherten gleich selber. Das heisst, natürlich nicht alle. Die bürgerliche Parlamentsmehrheit hat Bestverdienende und Abzocker geschont: Löhne über 150 ’000 Franken müssen sich nicht am Ausgleich beteiligen. Alle anderen schon.


Die ProfiteureVersicherungen, Banken und andere Abzocker

Pensionskassen sind ein gutes Geschäft. Ein enorm gutes Geschäft. Leider immer weniger für die Versicherten, dafür immer mehr für die Finanzindustrie. Seit dem Obligatorium verdienen sich Versicherungen, Banken und dubiose Makler eine goldene Nase am Alterskapital der Lohnabhängigen. Es geht um enorme Summen für Abzockermanager und Aktionärinnen und ­Aktionäre.

Ein paar Zahlen:

  • Mittlerweile verwalten die Pensionskassen rund über eine Billion Franken an Altersguthaben der Lohnabhängigen. Das ist 1,5 Mal so viel wie das Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz. Das BIP erfasst die gesamte Wertschöpfung eines Landes, also im wesentlichen den Mehrwert, den die Lohnabhängigen erarbeiten. Davon zwackt die Finanzindustrie 8,6 Milliarden Franken als Verwaltungs- und Vermögensverwaltungskosten ab (Stand 2022). 
  •  Das sind im Schnitt 1500 Franken pro Ver­sicherten und Rentenbeziehenden.
  •  Durchschnittlich 18,7 Prozent aller Renten- und Kapitalzahlungen 2022.

Das sind enorme Summen. Da stecken enorme Profite dahinter. Bezahlt von den Lohnabhängigen und den Firmen mit Lohnabzügen. Bezahlt von den Rentnerinnen und Rentnern, denen der Teuerungsausgleich auf ihre Renten verweigert wird und deren Rente deshalb über die Jahre immer weniger wert ist.

Weil das BVG ein so enorm gutes Geschäft für Banken und Versicherungen ist, stecken sie enorm viel Geld in ihre Lobbyarbeit. Darum scheitern alle Vorstösse, die wenigstens die stossendsten Auswüchse stoppen wollen. Und nicht einmal Vorschläge für mehr Transparenz bei den «Vermögensverwaltungskosten» haben im Parlament eine Chance. Zu nahe stehen bürgerliche Parlamentarierinnen und Parlamenta­rier den Geldtöpfen der Finanzindustrie.

Auch die BVG-Reform, über die wir jetzt abstimmen, trägt nicht nur die Handschrift der Banken und Versicherungen – sie wurde von ihnen geschrieben (siehe Hauptartikel). Für die laufende Abstimmungskampagne stehen SVP, FDP, GLP und Mitte Millionen aus den Verbandskassen zur Verfügung. Denn die Reform löst keines der Probleme der Versicherten und der Rentnerinnen und Rentner. Sie sichert aber in schon fast dreister Weise das Geschäft der Finanzindustrie. Wie gut das läuft, zeigen die Grafiken oben eindrücklich.

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