Neue Unia-Studie zeigt: Die Lohnschere öffnet sich weiter
Die oberen Zehntausend langen kräftig zu

Teuerung, Wohnkosten, Krankenkassenprämien – die Kaufkraft der Lohnabhängigen schwindet rapide. Doch ganz oben kassieren Abzocker-Manager weiter dreist ab, und die Aktionäre sacken Rekord-Dividenden ein.

IN DIESE RICHTUNG MUSS ES GEHEN: Die Unia-Delegation um Präsidentin Vania Alleva (ganz rechts) machte am Montag in Bern deutlich, was mit den Löhnen der Büezerinnen und Büezer in der Schweiz passieren muss. (Foto: Lucas Dubuis)

Es ist ein Schauspiel, das jedes Jahr auf dem Programm steht und trotzdem ein Schmierentheater bleibt: geht es im Herbst um die Lohnverhandlungen, jammern Arbeitgebervertreter derart, dass selbst Steinstatuen fast die Tränen kommen. Die Geschäfte liefen himmeltraurig, mehr Lohn liege auf keinen Fall drin. Im Frühling dann jubilieren sie über tolle Abschlüsse und erhöhte Dividenden, protzen mit Aktienrückkäufen, um die Profite aufs eingesetzte Kapital weiter zu erhöhen.
 
Selbstverständlich hat dieser Unterschied nicht etwa damit zu tun, dass über die Wintermonate Wunder geschehen. Es ist pure Taktik. Im Herbst geht es darum, den von den Arbeitenden geschaffenen Mehrwert gerecht zu verteilen, im Frühling darum, die Kapitaleigner zu befriedigen.

Seit 2005 analysiert die Gewerkschaft Unia die Lohnschere in grossen Schweizer Unternehmen. Für die aktuelle Studie wurden 36 Unternehmen untersucht, die entweder an der Börse hoch bewertet sind oder in der Schweiz mindestens 11’000 Menschen beschäftigen.

work hat die Unia-Aktion per Video festgehalten:

Die Haupt-Ergebnisse:

Die höchsten Löhne steigen ungebremst: Die Spitzengehälter in den grössten Schweizer Unternehmen sind 2023 erneut gestiegen. Fünf CEO verdienten mehr als 10 Millionen Franken.

An der Spitze steht Vasant Narasimhan, CEO von Novartis, mit einem Jahresgehalt von 16,2 Millionen Franken – fast doppelt so viel wie im Vorjahr.

Sergio Ermotti, CEO der UBS, erhielt für nur neun Monate Arbeit 14,4 Millionen Franken, was einem Jahresgehalt von 19,2 Millionen Franken entspricht. Das sind 50 Prozent mehr, als sein Vorgänger Ralph Hamers im Jahr zuvor bekam. Ermotti erhält für einen Tag praktisch den Schweizer Median-Jahreslohn. Der kurz vor der Präsentation der Studie abgesetzte Nestlé-CEO Ulf Mark Schneider erhöhte sein Gehalt im vergangenen Jahr von 10,3 auf 11,2 Millionen Franken.
 
Insgesamt stiegen die Höchstlöhne in sieben der zehn untersuchten Unternehmen: Der Median der höchsten zehn Löhne wuchs um 3,5 Prozent, was zeigt, dass vor allem die Topverdiener von den Unternehmensgewinnen profitieren. Diese Entwicklung verdeutlicht die anhaltende Ungleichheit bei den Löhnen:

Während die Spitzengehälter kräftig zulegen, stagnieren die Löhne der meisten Arbeitnehmenden oder steigen nur geringfügig.

Die Lohnschere öffnet sich weiter: Das Verhältnis zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Lohn in den untersuchten Unternehmen hat sich 2023 weiter verschlechtert – die Lohnschere sich weiter geöffnet. Im Durchschnitt beträgt sie nun 1:143, verglichen mit 1:139 im Vorjahr.

Besonders drastisch ist der Unterschied bei der UBS, wo der CEO 267 Mal mehr verdient als der am schlechtesten bezahlte Mitarbeiter.

Bei Novartis beträgt das Verhältnis 1:250 und bei Nestlé 1:220.
 
Auch das Aktionariat kassiert ab: Die grossen Schweizer Unternehmen haben 2023 hohe Gewinne erzielt und diese in Form von Dividenden und Aktienrückkäufen an die Aktionärinnen und Aktionäre weitergegeben. Die Dividendenausschüttungen stiegen auf insgesamt 45 Milliarden Franken, mehr als die 44,3 Milliarden Franken im Vorjahr. Besonders grosszügig zeigten sich Roche, Nestlé, Novartis und Zurich Insurance:

Roche und Nestlé zahlten jeweils fast 8 Milliarden Franken, Novartis 6,5 Milliarden und Zurich Insurance 3,7 Milliarden Franken.

Zusätzlich gaben die Unternehmen 25,2 Milliarden Franken für Aktienrückkäufe aus, angeführt von Novartis mit 7,8 Milliarden Franken, vor Nestlé mit 5,2 Milliarden und der UBS mit 2,5 Milliarden Franken.

Mehrheit hat weniger im Sack

Die Reallöhne der mittleren und unteren Einkommensgruppen in der Schweiz sind 2023 gesunken – bereits das dritte Jahr in Folge. Während die Spitzengehälter steigen, nimmt die Kaufkraft der meisten Lohnabhängigen also ab. Grund dafür ist die nicht oder unvollständig ausgeglichenen Teuerung. Die Preise für Wohnen und Energie stiegen seit 2020 um 9,3 Prozent, die Kosten für Verkehr um 12,8 Prozent und die Preise für Nahrungsmittel um 4,8 Prozent. Zusätzlich belasten steigende Krankenkassenprämien die Menschen. 2023 stiegen die Prämien um durchschnittlich 6,6 Prozent, und für 2024 ist ein weiterer Anstieg von 8,7 Prozent zu befürchten. Da die Prämien für alle vom Armen bis zum Abzocker gleich hoch sind, trifft dieser Anstieg besonders Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen.

Geld für gute Löhne wäre da

Die steigenden Höchstlöhne, die hohen Ausschüttungen an das Aktionariat und die milliardenschweren Aktienrückkäufe zeigen, dass die Konzerne über mehr als ausreichende Mittel verfügen, um auch die tiefen und mittleren Löhne anzupassen. Ein besonders drastisches Beispiel liefert die UBS: Nach der Übernahme der Credit Suisse im Jahr 2023 wurden Tausende von Stellen abgebaut. Während viele Mitarbeiter ihre Arbeit verlieren, kassiert CEO Ermotti ein gigantisches Millionengehalt und die Aktionäre freuen sich über Milliardenausschüttungen.
 
Noémie Zurlinden, Ökonomin bei der Unia und Studienverfasserin, sagt bei deren Präsentation in der Nähe des Sitzes des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes: «Es ist mehr als genug Geld in den Unternehmen vorhanden, um die Löhne in der Breite anzuheben. Die Arbeitenden müssen endlich an dem von ihnen erwirtschafteten Erfolg teilhaben.» Und Unia-Präsidentin Vania Alleva ergänzt:

Die Zahlen der Studie zeigen, dass die Weigerung der Arbeitgeber, Lohnerhöhungen zu gewähren, rein ideologisch begründet ist. Wir führen unsere Aktion in der Nähe der Büros des Schweizerischen Arbeitgeberverbands durch, weil wir eine ganz klare Botschaft zu überbringen haben: Wir erwarten bei den Lohnverhandlungen im Herbst substantielle und generelle Lohnerhöhungen. Wir werden uns nicht mit Peanuts zufriedengeben! Es ist dringend und für viele Menschen lebenswichtig, dass die Löhne steigen.

Deutliche Worte von Unia-Präsidentin Vania Alleva. (Foto: Lucas Dubuis)

Ein weiteres deutliches, lautes und unübersehbares Signal für höhere Löhne werden Gewerkschafterinnen und Gewerkschaften am 21. September senden: mit der nationalen Lohndemo in Bern.
 

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