Gewerkschaften hielten Bundes-Zahlen schon längst für wenig plausibel
Jetzt gibt der Bund zu: die Horror-Prognosen zur AHV waren falsch

Was die Gewerkschaften seit Jahren sagen, gibt jetzt endlich auch der Bund zu: Die finanzielle Lage der AHV ist in Milliarden-Höhe besser, als bisher vom Bundesamt für Sozialversicherungen behauptet. Das muss politische Folgen haben.

HABEN SICH ZIEMLICH VERRECHNET: Stephane Rossini (rechts), Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherungen, mit seinen Stellvertreter Bruno Parnisari, sprechen an der Medienkonferenz vom Dienstag in Bern über die falschen Prognosen. (Foto: Keystone)

Seit der Einführung der AHV warnen Grossbanken und Versicherungen vor deren Zusammenbruch. Und ihre politischen Vertreterinnen und Vertreter machen Politik mit den Horrorvorhersagen, die das Bundesamt für Sozialversicherungen verlässlich lieferte. Die Gewerkschaften kritisieren das seit Jahrzehnten.

Die Prognosen haben zwei Gemeinsamkeiten:

  1. Sie sagen der AHV Milliardendefizite voraus.
  2. Sie sind nie eingetroffen.

Nach dem Jahr 2011 hat der damalige FDP-Bundesrat Didier Burkhalter die Szenarien des Bundes an jene des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes angenähert. Damit wurden die Prognosen leicht besser und lagen etwas näher an den tatsächlichen Ergebnissen. Aber sie rechneten weiterhin – ganz im Interesse der AHV-Gegnerinnen und -Gegner – das wichtigste Sozialwerk der Schweiz schlecht.
 
So weit, so bekannt. Was neu ist: Das Bundesamt gibt jetzt endlich zu, wie massiv falsch seine Rechnungsmodelle offensichtlich sind. Bringt also nicht mehr die Ausrede der «Ausreisser», sondern sagt: Wir haben die AHV systematisch schlecht gerechnet. Und zwar noch massiver, als bisher befürchtet.

Nur ein Fehler?

Die AHV ist nach den Korrekturen jetzt 4 weitere Milliarden Franken stabiler als bisher vom Bundesamt für Sozialversicherungen behauptet. Das entspricht fast dem Aufwand einer 13. Monatsrente. Technisch sind zwei Formeln, die seit 2019 angewendet wurden, verantwortlich für die Milliarden-Fehler. Wie es zu den trotz Kritik lange unentdeckten Rechnungsfehlern gekommen ist und warum die falschen Formeln erst nach zentralen AHV-Abstimmungen entdeckt wurden, will SP-Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider jetzt genau wissen. Sie hat eine Administrativuntersuchung angeordnet. Diese wird durch die Zürcher Anwaltskanzlei Bratschi durchgeführt. Das Ergebnis soll bis Ende Jahr vorliegen.

Abstimmung wiederholen

Mit den falschen Zahlen des Bundesamts machen die AHV-Gegnerinnen und -Gegner aus SVP, FDP und GLP seit Jahren Politik. Bei der Abstimmung über die 13. AHV-Rente zum Glück erfolglos. Aber zum Mini-Ja zur Erhöhung des Frauenrentenalters dürften die Prognosezahlen ebenso Einfluss gehabt haben wie die Lüge, die Frauenrente würden dann bei den Pensionskassen verbessert. Der SGB sieht deshalb richtigerweise das Abstimmungsergebnis vom Herbst 2023 «in Frage gestellt». Deutlicher werden die SP-Frauen: Sie fordern die Wiederholung der AHV21-Abstimmung. Co-Präsidentin und Berner Nationalrätin Tamara Funiciello sagt:

Es ist befremdend, dass sich der Bundesrat für diesen Fehler nicht entschuldigt und nicht von sich aus vorschlägt, diese Abstimmung zu wiederholen. Die Frauen in diesem Land haben das Recht auf eine ehrliche Debatte, diese Chance wurde ihnen genommen.

Denn, so Funiciello weiter: «Nicht die AHV muss saniert werden – die Frauenrenten müssen saniert werden.»

Tamara Funiciello. (Foto: Keystone)

Abbau stoppen

Nach dem Volks-Ja zu einer 13. AHV-Renten befinden sich SVP, FDP und GLP auf einem wahren Rachefeldzug: Abschaffung der Witwenrenten, Kürzung der Kinderrenten, Verweigerung des Teuerungsausgleichs auf Kompensation des höheren Frauenrentenalters, Kürzung des Bundesbeitrages für die AHV – der bürgerliche Furor kennt kaum Grenzen. Immer «begründet» mit den falschen Prognosezahlen.
 
Der SGB fordert jetzt eine Sistierung der laufenden politischen Arbeiten. Er schreibt:

Ungeachtet der zukünftigen Prognosen müssen die gemäss aktualisierten Szenarien verfügbaren Finanzmittel der AHV genutzt werden, um die Situation der betroffenen Versicherten zu verbessern. So, dass die 13. AHV-Rente ein Jahr früher ausbezahlt wird. Und so, dass die von der Erhöhung des Rentenalters besonders die betroffenen Frauen wenigstens einen Ausgleich der Teuerung erhalten.

AHV-Prognosen: Immer in die gleiche Richtung falsch

Vorhersagen sind bekanntlich schwer, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Der faule Spruch mag lustig sein. Etwas faul ist, wenn die Prognosen immer in die falsche Richtung falsch sind. So wie bei der AHV. ImJahr 2000 behauptete der Bund, bis in 10 Jahren sei das AHV-Vermögen weg. Im richtigen Leben lagen die Reserven dann bei rund 44 Milliarden Franken. 2005 sagte der Bundesrat das AHV-Ende auf das Jahr 2017 voraus. Im richtigen Leben hatte die AHV dannzumal ein Vermögen von knapp 46 Milliarden Franken. 2013 dann eine positive Zahl aus dem Bundeshaus. Das Bundesamt für Sozialversicherungen sagte für 2022 AHV-Reserven von rund 37 Milliarden Franken voraus. Doch selbst im Plus war die Prognose zu pessimistisch und 10 Milliarden zu niedrig.

SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard. (Foto: Keystone)

Tatsache ist: Die finanzielle Situation der AHV ist gut. Weil sie immer besser abschloss als die Prognosen. Und weil sie auch in den nächsten Jahren gut abschliessen wird. Selbst nach Meinung der Bundes-Pessimisten. Und selbst mit den Modellen, die das Bundesamt für Sozialversicherungen jetzt offiziell als falsch bezeichnet. SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard brachte die Fehlprognostiziererei des Bundes und der rechten Parteien in einer Radio-Sendung so auf den Punkt:  «Ich bin wie die Gallier. Ich habe mehr Angst davor, dass mir der Himmel auf den Kopf fällt, als dass die AHV bankrottgeht.» Ein überaus vernünftige Einschätzung. Jetzt erst recht.

1 Kommentare

  1. Im Westen nichts neues … 8. August 2024 um 10:39 Uhr

    Lieber Herr Studer

    KEINE ÜBERRASCHUNG!

    „Die kumulierten Minderausgaben betragen bis 2033 rund 14 Milliarden Franken.“

    Quelle: https://www.infosperber.ch/gesellschaft/sozialversicherungen/ahv-ausgaben-nicht-4-milliarden-daneben-sondern-14-milliarden/

    – Gesamtkosten des Verwaltungsaufwandes innerhalb der 2. Säule 2023: 8.6 Mrd. OAK

    -2. Säule Renten werden nicht der Teuerung angepasst.

    – AHV werden seit Jahrzehnten ungenügend (Berechnungs-Mix) der Teuerung angepasst und somit die Rentner um Milliarden betrogen!

    Politischen Mehrheiten zu schaffen, um entschlossen, konzentriert und zielführend die 2. Säule abzuschaffen und den obligatorischen Teil in der AHV einfliessen zu lassen (PDA Entwurf – AHV Volkspension) könnten vielleicht in den nächsten Monaten (Jahr) reifen.

    Die Nutzniesser, Ideologen und Verfechter der freien Marktwirtschaft bestehen auf der Devise, dass verdientes Geld wieder zirkulieren, in Umlauf gebracht werden soll – konsumieren! Konsum ist der Motor der Binnenwirtschaft. Nun widerspricht aber das von denselben Kreisen ausgeheckte Konzept der 2. Säule diametral dieser Devise. Mit den PK-Beiträgen werden grosse Summen Geld vom Konsummarkt abgeschöpft und gehortet. Der Binnenmarkt wird gebremst und die Liegenschaftsspekulation befeuert. Kann man noch schizophrener sein? Offensichtlich müssen sich da einige saftige Pfründe versprochen haben.

    Im Gegensatz dazu entspricht die AHV genau dieser Devise. Das eingenommene Geld wird umgehend, ohne Kaufkraftverlust an die Rentner weitergegeben, welche dies für Konsum ausgeben. Der Konsummotor der Binnenwirtschft läuft. Der Seniorenmarkt ist ein nicht zu vernachlässigender Sektor der Binnenwirtschaft und die Annahme der 13xAHV Rente ist ein Beweis dafür.

    Man mag nun einwenden, dass das Geld der Pensionskassen ja wieder von den Pensionierten ausgegeben wird. Ja, aber mit einer Verzögerung von durchschnittlich 30 bid 40 Jahren. Und was passiert in der Zwischenzeit? Richtig, das Geld hat wegen Inflation an Kaufkraft verloren. Die Kaufkraft des an der Quelle vom Lohn abgeschöpften Franken kauft für den Pensionierten nur noch einen Bruchteil dessen, was er ursprünglich hätte kaufen können. Dazu kommt, die Senkung des Umwandlungsatz und die über 8 Mrd. CHF Verwaltungskosten (OAK 2021/22/23). Eine monumentale Geldvernichtungs,- und Abzockermaschine die medial heruntergespielt wird.

    Vielleicht ein positiver Aspekt der 2. Säule: Die zahlreichen Arbeitnehmer, welche im Zusammenhang mit der zweiten Säule ihr Brot verdienen, dürften die Arbeitslosenzahl der Schweiz verkleinert haben.

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.