Freilichttheater Gurten: «Da chönt ja jede cho!»
Nachhilfestunde für die Bünzli- Schweizerinnen und -Schweizer

Sein Bünzlitum wird einem Hauswart aus Hinterschnösligen zum Verhängnis. Das aktuelle Stück im Freilichttheater auf dem ­Berner Hausberg zeigt, wie unfair das Schweizer Einbürgerungsprozedere ist. Und rüttelt das Publikum auf.

EIN ENGEL FÜR WALE: Irene Müller-Flück spielt den Engel, der Hausmeister Wale Wüthrich (rechts, gespielt von Theo Schmid) Toleranz beibringen will. (Foto: zvg/ Hannes Zaugg-Graf)

Menschen wie Wale Wüthrich kennen wir vermutlich alle. Er ist Hauswart, beobachtet von seinem kleinen Balkon jeden Schritt und Tritt der Nachbarschaft und übertüncht seine Angst vor Veränderungen mit Skepsis und Fremdenfeindlichkeit. Wale beschreitet sein ganzes Leben engstirnig und stur. Bis sein Tod alles verändert.

Das Theaterstück «Da chönt ja jede cho!» beginnt mit Wüthrichs Tod und einer Begegnung mit einem Engel. Dieser gibt ihm die letzte Chance, Toleranz zu lernen und seine Vorurteile gegenüber seiner Nachbarschaft endlich zu begraben. Von nun an mischt sich der Engel nämlich in alle Situationen ein, wo Wale in alte, unfaire Muster verfällt.

DIE «GUTEN» SIND DIE AUSNAHME

Wales grösster Stolz ist sein Schweizer Pass. Er hütet ihn wie einen raren Diamanten. Dass «Andere», «Fremde», «Nicht-Hinterschnöslige» dieses wertvolle rote Büchlein tatenlos geschenkt bekommen, macht ihn rasend. Integrieren müssen sie sich! Und eine weisse Weste haben! In seiner wöchentlichen Jassrunde schaukeln sich Wale und seine Freunde mit fremdenfeindlichen Aussagen hoch. Die Jassrunde trifft sich gerne auf Wales ­Balkon – mit Blick auf das Café Punto, den Quartiertreffpunkt. Betrieben wird die Beiz von Wales Nachbarn Aurelio und Maria. Für Wale ein Dorn im Auge, denn das italienische Paar kommt ihm nicht sauber vor. Halten sie sich nicht auf die Minute genau an die Nachtruhe, ruft Wale sofort die Polizei. Und auch den Waschküchenschlüssel bringen sie nicht pünktlich zurück. In seinen Augen eine wahnsinnige Frechheit und Grund genug, dem jungen Paar das Leben zur Hölle zu machen.

BEEINDRUCKENDES BÜHNENBILD: Das Freilichttheater auf dem Gurten überzeugt nicht nur mit dem Schauspiel, auch die ganze Kulisse ist ein Augenschmaus. (Foto: zvg / Hannes Zaugg-Graf)

Anders begegnet Wale seiner Nachbarin Barbara König, die vor kurzer Zeit aus Deutschland zugezogen ist. Sie ist für Wale eine Ausnahme unter den «Ausländern». Sie bringt den Waschküchenschlüssel immer pünktlich retour, hält sich strikt an die Hausregeln und lernt akribisch für ihre Einbürgerung. Dafür legt Wale auch gerne ein gutes Wort bei der Einbürgerungsbehörde von Hinterschnösligen ein. Natürlich hat Wale da seine Kontakte, in Hinterschnösligen kennt jeder jeden. Und in seinem Block sowieso. Aufgebaut wie ein Schweizerkreuz, leben nebst Wale, dem italienischen Paar und der Deutschen noch ein älteres Paar und Reto, ein junger Schweizer, im Haus. Obwohl Reto sich nicht an die Hausregeln hält, stört das Wale nicht. Immerhin ist Reto Schweizer und arbeitet sogar als Beamter!

Schnell wird klar: Wales Meinung ist sehr selektiv, und seine Ausländerfeindlichkeit überschattet seine guten Eigenschaften. Mit dem Engel im Rücken wird Wale immer wieder ermahnt und schafft es tatsächlich, bis zum Ende des Thea­terstücks neue Freundschaften zu schliessen und seine Ausländerfeindlichkeit zu begraben.

WER BEKOMMT DEN PASS?

Immer wieder Thema ist der Schweizer Pass. Dem Theaterpublikum wird das absurde Einbürgerungsprozedere aufgezeigt: Was die Gemeinden von den Kandidatinnen verlangen, können viele Schweizerinnen und Schweizer gar nicht bieten. Bei ihnen spielt das aber keine Rolle, denn wie es der Zufall wollte, wurde ihnen der Pass in die Wiege gelegt.

Das Freilichttheater auf dem Gurten ist ein einzigartiges Erlebnis. Die Kulisse ist nicht nur dank dem Blick über ganz Bern, sondern auch wegen des phänomenalen Bühnenbilds ein Augenschmaus. Ein gelungenes Theaterstück, dem der Seiltanz zwischen Humor, Rassismus und Aufklärung mit bemerkenswertem Schauspiel gelingt. Das Theater ist sehr gut besucht und läuft noch bis Ende August.

Demokratie-Initiative: Jetzt unterschreiben!

Zurzeit werden Unterschriften für die Demokratie-Initiative gesammelt. Diese möchte den Einbürgerungsprozess erleichtern. Nach fünf Jahren rechtmässigem Aufenthalt in der Schweiz soll eine Eibürgerung möglich sein, unabhängig von der Niederlassungsbewilligung. Zudem soll es einheitliche Kriterien für ein faires Verfahren geben. Hier können Sie unterschreiben.

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