Grossbritannien: Rechtsextreme zündeln für den Rassenkrieg
Menschliche Schutzschilde vor Moscheen

Kaum im Amt, ist Labour-Premier Keir Starmer mit einem faschistischen Umsturzversuch konfrontiert. Die Gesellschaft aber gibt Kontra und rettet ihn.

DIE RECHTSEXTREME GEWALT. (Foto: keystone)

Plötzlich, am 9. August, gehörte die Strasse nicht mehr den Rassisten. Zehn Tage lang hatte der Mob, angestachelt von rechtsextremen Scharfmachern, Menschen mit dunklerem Teint gejagt («killt sie, killt sie!»), Flüchtlingsunterkünfte in Brand gesteckt, 16 Moscheen angegriffen, Gemeinschaftszentren, Geschäfte und Anwaltskanzleien verwüstet. Zahlreiche Passanten und Polizisten wurden schwer verletzt. Noch ist nicht klar, ob es auch Tote gab.

Doch dann hatten Bewohnerinnen und Bewohner in England, Wales und Nordirland genug. Mit grossen Gegenkundgebungen holten sie sich die Strasse zurück.

Flüchtlinge willkommen, Faschisten nicht!

Als menschliche Schutzschilde stellten sie sich in London und anderswo vor Moscheen und Asylhotels. In Southport bei Liverpool, wo die Orgie der Gewalt begonnen hatte, räumten Punks die Stadt auf, Glaser und Maurer flickten gratis, was die Rechtsextremen zerstört hatten. Und eine Grossmutter brachte Kuchen in die Moschee, der Imam war zu Tränen der Erleichterung gerührt. 

Demonstrationen gegen Rechtsextreme

Liz, eine 53-jährige Gewerkschafterin, hat in Brixton demonstriert, um «den Rassisten zu zeigen, dass wir viel mehr sind als sie. Jetzt zeigt sich von denen keiner mehr.» Brixton ist ein Symbol. Das Quartier im Süden Londons gilt als inoffizielle Hauptstadt Jamaicas. Rassistische Morde durch Polizisten hatten hier 1981 und 1995 Unruhen ausgelöst. 

REFUGEES WELCOME! Tausende Menschen gingen in England gegen Hass und Gewalt auf die Strasse. (Foto: keystone)

Nun, am zweiten Augustwochenende, sandten die betont gewaltfreien Demonstrationen in Brixton und 17 weiteren Städten eine klare Botschaft an die Rechtsextremen: Euer Versuch, einen Bürgerkrieg loszutreten, ist auch diesmal gescheitert. Doch diesmal war es so kritisch, dass der frühere Chef der britischen Anti-Terror-Polizei vorschlug, die Aufrührer militärisch als Terroristen zu bekämpfen. 

Passend zu den Geschehnissen: Der Song von The Clash

GUNS OF BRIXTON. ♬ Ihr könnt uns zermalmen, ihr könnt uns zerquetschen,
aber ihr müsst euch vor den Kanonen von Brixton verantworten. ♬

Rechtsextreme Hetze durch Amoklauf

Als Vorwand für den aktuellen Gewaltschub musste der Amoklauf eines 17jährigen herhalten, der bei einem Taylor-Swift-Workshop in Southport drei Mädchen von 6, 7 und 9 Jahren ermordete. Sofort wurde über die sozialen Netzwerke verbreitet, der Täter sei Muslim, ein syrischer Flüchtling, der als Asylant mit einem Boot über den Ärmelkanal gekommen sei, illegal. Alles gelogen. Der junge Amokläufer ist Brite, geboren in Cardiff (Wales), Sohn streng christlicher Eltern rwandischer Abstammung. Egal. Trotz sofortiger Klarstellung durch die Polizei (mit Namen und Bild des Mörders) entfesselten rechtsextreme Hetzer um Figuren wie Tommy Robinson, Andrew Tate und Nigel Farage einen antimuslimischen Sturm, der auf alle Flüchtlinge zielte. Zuerst in den sozialen Netzwerken, dann auf der Strasse: Nur Stunden nach dem Amoklauf griffen gutorganisierte Militante die Moschee von Southport an, mehr als 50 Polizisten wurden verletzt. 

Die Neofaschisten von Grossbritannien

Tommy Robinson heisst in Wahrheit Stephen Yaxley-Lennon (800 000 Follower auf X) und ist der Gründer der rechtsradikalen English Defense Ligue (EDL). Unter anderem wegen Betrugs verurteilt, ist er in ein Luxusresort auf Zypern geflohen. Dieser Tage tauchte er kurz in London auf, setzte sich aber nach getaner Agitation per Eurostar schnell ab. Der Influencer und Extrem-Maskulinist Andrew Tate (10 Millionen Follower), ein ehemaliger Kickboxer, ist auf der Flucht vor der Justiz, die ihm Vergewaltigung, Zuhälterei und Menschenhandel vorwirft. Nigel Farage schliesslich dient als legales Aushängeschild der Rechtsextremen. Der Gründer der Brexit-Partei (heute Reform UK) wurde am 4. Juli ins britische Unterhaus gewählt. 

RECHTSEXTREMER AKTIVIST. Stephen Yaxley-Lennon ist bekannt als Tommy Robinson. (Foto: keystone)

Im Unterschied etwa zu Frankreich oder Italien hat sich in Grossbritannien keine starke rechtsextreme Partei etabliert. Wie die letzten zwei Wochen belegen, brauchen die Neofaschisten keine offizielle Struktur. Die Konservativen bereiten ihnen den Boden besser, als sie selber es könnten.

Dies gleich doppelt. Schon der Brexit richtete sich zuvorderst gegen die Immigration. Grossbritannien ist eine scharf gespaltene Klassengesellschaft mit einer Oberschicht, die immer eine rassistische Schlagseite zeigte. Hat ihr brutaler Neoliberalismus den Service public zerstört, ganze Regionen des Königreichs abgehängt und neues Elend produziert? Klarer Fall, sagten die konservativen Regierungschefs und -chefinnen Cameron, May, Johnson, Truss und Sunak – daran sei nicht der verschärfte Kapitalismus schuld, sondern allein die Immigration. 

Die schwierige Ausgangslage von Keir Starmer

Besonders der letzte Premier Rishi Sunak und seine Innenministerin Suella Braverman, beide indisch-afrikanischer Abstammung, trieben die Anti-Immigrations-Rhetorik und -Politik in gefährlich dünne Luft. Asylsuchende wollten sie sofort nach Rwanda ausschaffen. Das hätte nicht einmal die französische Neofaschistin Marine Le Pen gewagt. 

So begann Labour-Mann Keir Starmer seine Amtszeit mit einer bedrohlichen Krise. Viele Randalierer taten ihre Wut kund über das zusammengebrochene Gesundheitssystem NHS, die schlimme Wohnungslage, das marode öffentliche Erziehungswesen, fehlende öffentliche Transporte, zerstörte Lebenschancen usw. – und sie formulierten dies, wie sie von den Konservativen gelernt hatten, als Krieg des weissen Mannes gegen den Rest der Welt. 

Ohnehin fehlt der Mann mit dem grössten Megaphon auf der Anklagebank: Vorzeigekapitalist Elon Musk. Der Südafrikaner hat seinen Dienst X (Ex-Twitter) zur globalen Propagandamaschine für ultrarechten Hass gemacht. Froh zwitscherte er über die pogromähnlichen Unruhen, jetzt sei «der Bürgerkrieg unausweichlich».  

«EIN BÜRGERKRIEG IST UNVERMEIDLICH.» Elon Musk auf X. (Foto: X)

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