Missbräuchliche Dumpinglöhne bei Nespresso-Zulieferfirma
Urteil gefällt: Temporärarbeiterin erhält über 10’000 Franken

Das Firmenkonstrukt ist fast so verschachtelt wie die Nespresso-Kapseln in ihren schicken Kartons. Nestlé ist die Mutter von Nespresso, diese wiederum beauftragt Marvinpac mit der Verpackung, die wiederum Temporärarbeitende von verschiedenen Personalvermittlern einstellt. Und das zu Dumpinglöhnen. Doch damit ist jetzt Schluss!

NICHT MIT UNS: Die Temporärangestellen von Marvinpac haben vor der Niederlassung des Personalverleihers Kelly Services gegen ihre miserablen Löhne und Arbeitsbedingungen protestiert. (Aufnahme aus dem Jahr 2021 / Foto: Thierry Porchet)

Die drei braungrauen Nespresso-Industrieburgen in Romont FR, Orbe VD und Avenches VD sind von weither sichtbar. Im Innern dieser Fabriken arbeiten insgesamt 1300 Personen. Tag und Nacht produzieren sie im Vierschichtbetrieb die über 8 Milliarden Kaffeekapseln, die pro Jahr rund um den Globus konsumiert werden. Doch nicht die ganze Nespresso-Produktion findet hier statt: Die Herstellung der Nespresso-Adventskalender übernimmt das Subunternehmen Marvinpac im freiburgischen Châtel-Saint-Denis. Den saisonalen Auftrag von Nespresso deckt das Unternehmen mit Temporärarbeiterinnen.

DER SCHEIN TRÜGT: Nespresso tritt edel auf, doch die Büezerinnen, die die Kapseln verpacken, wurden mit mickrigen Löhnen abgespiesen. (Foto: Keystone)

Nur 16.95 Franken pro Stunde

Im Jahr 2021 prangerte die Unia die Lohnbedingungen der Temporärarbeiterinnen bei
Marvinpac an (work berichtete). Bis zu 100 Arbeitnehmende arbeiteten damals im Verpackungsbetrieb, um den Bedarf von Nespresso zu decken. Und dies zu mickrigen Löhnen. Für ihre Arbeit erhielten die Temporärarbeiterinnen 16.95 Franken brutto pro Stunde. Über 50jährige Arbeiterinnen erhielten sogar noch 30 Rappen weniger, als Kompensation ihrer vertraglich garantierten zusätzlichen Ferienwoche! Den Arbeiterinnen wurden so mehrere Tausend Franken pro Jahr vorenthalten. Noé Pelet, Industriesekretär der Unia Waadt, sagt:

Dieses Unternehmen, das in der Verpackung von Luxusgütern tätig ist, hat einen jahrelangen Dumpingwettbewerb betrieben und damit ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um je rund zehntausend Franken geprellt.

Gericht bestätigt Dumpinglohn

Eine der Arbeiterinnen, die 16.95 Franken pro Stunde verdiente, klagte mit der Unterstützung der Unia gegen das Personalverleihunternehmen OK Job, das sie an Marvinpac vermittelt hatte. In ihrer Klage verlangte sie die Anwendung des branchenüblichen Mindestlohns. Das Arbeitsgericht von Châtel-Saint-Denis hat den Arbeitgeber jetzt zur rückwirkenden Anwendung eines Stundenlohns von 22.01 Franken brutto pro Stunde verurteilt. Der entgangene Lohn über den Zeitraum von 19 Arbeitsmonaten zwischen 2019 und 2021 beläuft sich damit auf 10’899 Franken.

33 weitere Arbeiterinnen vor Gericht

Das Urteil ist eine gute Nachricht für die weiteren 33 Arbeiterinnen, die seit 2021 für würdige Löhne kämpfen. Auf der Grundlage dieses Präzedenzfalls werden diese Arbeiterinnen ihr Gerichtsverfahren fortsetzen und mit einem positiven Gerichtsentscheid rechnen können. Vier verschiedene Personalvermittler werden voraussichtlich Lohnnachzahlungen leisten müssen.

Die Unia Waadt fordert Nespresso als Auftraggeberin dazu auf, endlich auch mehr Verantwortung für die Gewährleistung von fairen Arbeitsbedingungen bei ihren Subunternehmen zu übernehmen.

Goldige Geschäfte mit den Kapseln aus Aluminium

Im ersten Halbjahr 2024 machte Nestlé mit Nespresso einen Umsatz von über 3 Milliarden Franken und über 630 Millionen Franken Gewinn, was einer Gewinnmarge von 21,5 Prozent und 42’000 Franken pro Mitarbeiterin entspricht. Seit vielen Jahren ist das Geschäft mit den Kaffeekapseln die profitabelste Sparte des Schweizer Lebensmittelkonzerns. Die Preiserhöhungen um fast 10 Prozent für die Kapseln haben 2024 jedoch Spuren hinterlassen und zu einem leichten Umsatzrückgang bei Nespresso geführt.


Ex-Nespresso-Verpackerin packt aus: «Für meinen 100-Prozent-Job erhielt ich 2200 Franken netto»

Lara Michel* (40) arbeitete als Temporäre beim Nespresso-Zulieferer Marvinpac in Châtel-Saint-Denis FR. Zusammen mit 33 weiteren Arbeiterinnen hat sie wegen der Nichteinhaltung des branchenüblichen Mindestlohnes gegen die Vermittlungsfirma Manpower geklagt.

Eine Ihrer ehemaligen Arbeitskolleginnen bei Marvinpac erhält eine Lohnachzahlung von über 10’000 Franken. Wie haben Sie auf dieses Urteil reagiert?
Es macht Hoffnung! Wir sind nicht alleine, und es gibt Gesetze, die uns tatsächlich schützen. Wir haben hier einen Kampf gewonnen, und ich bin optimistisch, dass ich mit meiner Klage vor dem Arbeitsgericht ebenfalls erfolgreich sein werde.

Wie hoch wäre in Ihrem Fall die Lohnnachzahlung?
Bei mir geht es um etwa 11’000 Franken. Ich denke, dass es bis Ende Jahr zu einem Gerichtsentscheid kommt.

Wie viel haben Sie denn bei Marvinpac verdient?
Ich arbeitete während insgesamt neun Monaten bei Marvinpac und erledigte verschiedene Verpackungsaufträge für Kosmetikfirmen und für Nespresso. In gewissen Wochen war ich sogar Produktionsverantwortliche. Ich liess mich in dieser Zeit von meinem Ehemann scheiden, und der Richter im Scheidungsprozess konnte nicht glauben, dass es in der Schweiz so tiefe Löhne gibt: Für meinen 100-Prozent-Job habe ich nur 2200 Franken netto pro Monat erhalten.

Und trotzdem sind Sie geblieben …
Mit dem Lohn konnte ich mir knapp die Wohnungsmiete und das Essen für mein Kind und mich leisten. Ich war auch wegen der Scheidung in einer Notlage. Aber dann haben sie mich im April 2022 ins Büro gerufen und mir gesagt, dass ich nicht weiter für Marvinpac arbeiten könne. Zusammen mit weiteren 15 Temporärarbeiterinnen wurde ich gefeuert. Sie hätten keine Wahl, haben sie gesagt, auch wenn ich in einer sehr schwierigen persönlichen Situation sei. Einige Monate später haben sie mich dann gefragt, ob ich zurückkommen möchte! Wir wurden nur entlassen, weil sie keine längeren Kündigungsfristen wollten. Ich hatte dann aber schon einen anderen Job mit einer fairen Bezahlung gefunden.

Und wie kam es zur Klage gegen Marvinpac?
Über die Unia und meine ehemaligen Arbeitskolleginnen habe ich erfahren, dass dieser Lohn der Personalverleihfirma Manpower missbräuchlich sei. Ich finde es ja eigentlich gut, dass es auch Jobs für Nichtqualifizierte gibt. Aber es gab keine Wertschätzung für uns als Menschen, wir wurden lediglich als Zahlen gesehen, als Manövriermasse. Wir wurden auch gegeneinander ausgespielt und konnten uns in diesem Job in keiner Weise entwickeln. Es ist sehr wichtig, dass der Staat Lohndumping verhindert. Denn gerade bei den Temporärarbeiterinnen kommt für jede entlassene Arbeiterin immer wieder eine neue, die ausgebeutet werden kann.

*Name der Redaktion bekannt

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