7 tödliche Arbeitsunfälle in wenigen Wochen
Wenn Zeitdruck Leben kostet

Sieben tödliche Unfälle innerhalb weniger Wochen in der Schweiz: Diese Tragödien werfen Fragen auf – zur Arbeitssicherheit auf Baustellen etwa. Die Hintergründe zeigen: Es besteht dringender Handlungsbedarf!

GEFAHR BEI DER ARBEIT. Wenn die Arbeitssicherheit nicht berücksichtigt wird. (Foto: shutterstock)

«Letztens war ich in Losone auf einer Baustelle», beginnt der Tessiner Unia-Gewerkschafter Paolo Casellini. Und sagt dann: «Dort war am späten Nachmittag des Vortags ein Arbeiter gestorben. Das Firmenschild war entfernt worden und die Polizeisiegel waren schon nicht mehr da. Nichts erinnerte an die Tragödie. Keine Blumen, nichts… Im Fenster des Nachbarhauses kochte eine Frau, vielleicht das Mittagessen für sich oder ihre Lieben. Auf der anderen Seite entlud ein Paar aus der Deutschschweiz, vermutlich im Urlaub, sein Gepäck. Die Kälte dieser Szene hat mich tief getroffen. Schockiert, ist das richtige Wort. Ich konnte nicht aufhören, an das Drama der Angehörigen und Bekannten zu denken, als sie die Nachricht erhielten…» 

Paolo Casellini, Gewerkschafter bei der Unia Tessin, beschreibt so die Szene und seine Gefühle an dem Ort, an dem ein Tag zuvor ein Arbeiter sein Leben verloren hatte. Ende Juli stürzte R.K. vier Meter in die Tiefe vom Dach, auf dem er Solarpaneele installierte. Zuhause in der italienischen Gemeinde Verbania warteten seine Frau und zwei Kinder auf ihn.

Gestürzt, getroffen, begraben

Es wird Aufgabe der Justiz sein, die Ursachen und Verantwortlichkeiten für den tödlichen Arbeitsunfall zu klären. Ebenso muss die Justiz Klarheit über den zweiten tödlichen Arbeitsunfall schaffen, der nur wenige Stunden und Kilometer entfernt geschah. Ein 24jähriger Forstarbeiter verlor sein Leben, als er bei der Waldarbeit  oberhalb von Orsino in Giornico (TI) etwa vierzig Meter in die Tiefe stürzte. «Im Namen der Gewerkschaft spreche ich den Angehörigen, Freunden und Kollegen der beiden Opfer unsere volle Solidarität und Nähe aus», betont Giangiorgio Gargantini, Regionalsekretär von der Unia Tessin und Moesa. 

Der Gerüsteinsturz von Prilly bei Lausanne. (Foto: keystone)

Erst kürzlich starb zudem ein junger Maurerlehrling im Wallis, nachdem er von einem ‚fliegenden‘ Kranteil getroffen wurde. Mitte Juli starben ausserdem drei Arbeiter beim Gerüsteinsturz von Prilly bei Lausanne. Und in Curaglia (GR) stürzte ein 58jähriger Gipser von einem Gerüst. Dieses hatte er nach der Mittagspause bestiegen, um an der Fassade zu arbeiten. Dann fiel er aus über vier Metern Höhe auf den Betonboden. Er verstarb noch am selben Tag im Kantonsspital. Für Gewerkschafter Giangiorgio Gargantini ist klar:

Die Schweizer Arbeitswelt muss sich insgesamt mit der Wiederholung dieser Dramen auseinandersetzen. Sie darf sie nicht als Schicksalsfügungen abtun.

Zeitdruck gegen Sicherheit

Die eidgenössische Unfallstatistik zeigt für die letzten Jahre einen Rückgang bei den allgemeinen Arbeitsunfällen, während die tödlichen Unfälle gleichzeitig eher zugenommen haben. Ein «gravierendes und inakzeptables Phänomen», meint Gargantini. Für die Gewerkschaft sei klar, dass ein Teil dieser Todesfälle eine direkte Folge des Arbeitsdrucks ist. «Mit Druck meinen wir die Anforderungen an die Lieferzeiten, das immer schnellere und längere Arbeiten. Diese Umstände führen dazu, dass nicht mit der notwendigen Sicherheit gearbeitet wird», so Gargantini. 

Weiter kritisiert der Gewerkschafter, dass der mögliche Druck von Unternehmen oder Auftraggebern in den Ermittlungen nie berücksichtigt werde. Während es im Ausland rechtlich möglich sei, die Verantwortung der Auftraggeber oder Unternehmen zu untersuchen, scheine das schweizerische Rechtssystem dies auszuschliessen. 

Wetterextreme verschlimmern Situation  

Zum Druck kommt in dieser Zeit die grosse Hitze hinzu. In den letzten drei Wochen, seit die Hitze begonnen hat, gab es in der Schweiz sieben Todesfälle bei der Arbeit. Gagantini: «Das kann kein Zufall sein. Der Zusammenhang zwischen Hitze und schweren Unfällen am Arbeitsplatz ist offensichtlich.» Er fügt hinzu, dass mit dem Anstieg der Temperaturen die Behörden der Bevölkerung raten, Anstrengungen im Freien zu vermeiden. Doch nur in wenigen Gesamtarbeitsverträgen gibt es Beschränkungen für die Arbeit während Hitzeperioden. In der überwiegenden Mehrheit gibt es nichts dergleichen.

Zudem: In diversen Präventionskampagnen werden die Arbeitenden dieses Landes dazu aufgerufen, bei unsicheren Bedingungen die Arbeit einzustellen. Das Problem dabei: In der Realität können Arbeiterinnen und Arbeiter im Extremfall ihren Job verlieren, wenn sie dies tun. Das Gesetz schützt sie derzeit nicht besonders. Somit bewegen sich viele  Präventionskampagnen im theoretischen Raum und sind damit wenig effektiv.  Aus diesem Grund hat der Schweizerische Gewerkschaftsbund beschlossen, eine Initiative für einen echten Kündigungsschutz zu starten. Möge sie bald kommen!

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