Pflegende fordern vom Bundesrat:
«Wir brauchen die 35-Stunden-Woche»

WAS ES BRAUCHT: Pflegende wollen endlich bessere Arbeitsbedingungen, die Unia hat dazu das richtige Medikament entwickelt. (Foto: Keystone)

Fast drei Jahre nach der Annahme der ­Pflegeinitiative präsentiert der ­Bundesrat einen ­Gesetzesvorschlag. Für die Pflegenden ist klar: Die Grund­probleme bleiben ungelöst.

WAS ES BRAUCHT: Pflegende wollen endlich bessere Arbeitsbedingungen, die Unia hat dazu das richtige Medikament entwickelt. (Foto: Keystone)
Willy Honegger. (Foto: zvg)

Im November 2021 sagten 61 Prozent der Stimmenden Ja zur Pflegeinitiative – ein sensatio­neller Abstimmungssieg für eine gewerkschaftliche Initiative. Psychiatriepfleger Willy Honegger (62) hatte damals gehofft, dass die Betriebe die Arbeitsbedingungen eigenständig und schneller verbessern würden. Gegenüber work sagt er: «Die Situation für viele Pflegende ist seither leider noch schlimmer geworden.» Durch das fehlende Personal und die vielen Abgänge werde die Belastung für die Mit­arbeitenden immer grösser.

STIMMEN DER PFLEGENDEN

Nun versucht der Bundesrat, neben der Ausbildung der Pflegenden endlich auch die Arbeitsbedingungen in den Spitälern und Heimen zu verbessern, wie dies die In­itiative fordert. Im Mai hat er einen ersten Entwurf des neuen Bundesgesetzes über die Arbeitsbedingungen in der Pflege (BGAP) veröffentlicht. Bis Ende ­August haben alle in­teressierten Organisa­tionen Zeit, diesen Gesetzesentwurf zu kommentieren und Ände­rungen vorzuschlagen.

Samuel Burri, Co-Verantwortlicher Pflege bei der Unia, sagt: «Wir wollten unsere Stellungnahme nicht am Schreibtisch entwickeln, sondern den Entwurf mit den Pflegenden besprechen und ihre ­Änderungsvorschläge aufnehmen.» Deshalb hat die Unia 20 Gruppendiskussionen mit über 100 Pflegenden in allen Teilen der Schweiz organisiert.

Paula Will. (Foto: zvg)

Neben Willy Honegger war auch Paula Will (18) an einem solchen Treffen in Winterthur dabei. Sie ist in Ausbildung und arbeitet als Fachperson Gesundheit (Fage) im Spital Schaffhausen. Sie sagt: «Ich hoffe, dass die positiven Seiten des Gesetzes zum Tragen kommen und damit bald zur Verbesserung des Wohls der Pflegenden und der Patientinnen beitragen.» Mit dem neuen Gesetz soll die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 50 auf 45 Stunden gesenkt werden, Überstunden sollen neu mit einem Zuschlag von 25 Prozent ausbezahlt werden, und Dienstpläne müssen künftig mindestens vier Wochen im ­voraus erstellt und kurzfristige Einsätze mit einem Lohnzuschlag von bis zu 50 Prozent entschädigt werden. Für Paula Will ist das Gesetz aber bei der Normalarbeitszeit mit 38 bis 42 Stunden pro Woche zu wenig ambitioniert: «Aufgrund der hohen Belastung sollten wir Pflegende nur 35 Stunden arbeiten müssen.» Eine 4-Tage-Woche bei 100 Prozent Lohn würde auch die Attraktivität des Berufs bei den Jungen deutlich steigern. Dieser Meinung ist auch Willy Honegger:

Alles in allem finde ich den Vorschlag des Bundes­rates minimalistisch, und am Ende wird die Verantwortung auf die Kantone abgeschoben.

LÜCKE IM GESETZ

Tatsächlich ist die Finanzierung der verbesserten Arbeitsbedingungen bisher nicht geklärt. Viele Spitäler machen bereits heute finanzielle Verluste, es kommt teilweise zu Stellenabbau (St. Gallen, work berichtete), oder die Kantone müssen zusätzlich Geld einschiessen (Aargau). Auch viele Pflegeheime sind in einer finanziell angespannten Situation. Unia-Pflegeexperte Burri sagt: «Ohne zusätzliche Finanzierung sind die besseren Arbeitsbedingungen, wie sie das BGAP festlegt, überhaupt nicht zu finanzieren.» Die Teilnehmenden an den Diskussionen und die Unia fordern den Bund auf, hier eine Lösung zu präsentieren, welche die zusätzlichen Kosten berücksichtigt und diese nicht auf die Prämienzahlenden abwälzt.


Fachtagung Manifest für Gute Pflege

Zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen müssen die Pflegenden auch mehr Zeit für die Beziehungsarbeit mit Patienten und Heim­bewohnerinnen haben. Alte Menschen und Pflegefälle haben ein Anrecht auf eine Pflege mit menschlicher Nähe. Dazu muss die Arbeitsorganisation in den ­Heimen angepasst ­werden, weg von einer rein medizinischen ­Pflege hin zu mehr ­Beziehungsarbeit.

DISKUSSION

Am 31. August lädt die Unia zur Fachtagung Pflege in Olten und präsentiert das neue Unia-Manifest für gute Pflege. Pflegende, Betagte und ihre Ange­hörigen sowie Wissenschafterinnen und Politiker diskutieren und skizzieren an der Fach­tagung Auswege aus der Versorgungskrise. Nicolas Pons-Vignon, Professor für Arbeitswandel und soziale Innovation an der Fachhochschule Südschweiz (SUPSI), SP-Nationalrätin Farah Rumy und Magali Mangin, Aktivistin von La France insoumise sowie zahl­reiche weitere Pflege­expertinnen werden teilnehmen. Zur Anmeldung hier.

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