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Briefträger Mischa Schori (31): «Lasst mich raus!»

Den Bernerinnen und Bernern liefert Mischa Schori ihre Briefe und holt die gebrauchten Kaffeekapseln aus den Milchkästen. Ein Hund hat ihn dabei noch nie gebissen, aber schon mal überrascht.

MISCHA SCHORI kurvt durch Berns Aussenbezirke. (Foto: Matthias Luggen)

Mischa Schori (31) arbeitet als Briefträger zwischen den Hochhäusern von Bern Bethlehem und dem ländlich anmutenden Oberbottigen am Rand der Stadt Bern. Seinen Arbeitstag beginnt er um halb sechs Uhr morgens im ehemaligen Ascom-Gebäude in Bümpliz. Fast die ganze Post für die Stadt Bern wird von diesem Standort aus verteilt. Das Gebäude hat eine lange Industriegeschichte. In den 1950er Jahren arbeiteten hier über 6000 Mitarbeitende der Hasler AG, dem Vorgängerbetrieb der Telekomfirma Ascom. Die Aufträge der PTT und der Armee führten ­damals zu einem enormen Ausbau und zum grössten Industriebetrieb der Stadt. Doch dies ist längst Geschichte. Heute arbeiten noch etwas mehr als 100 Personen im dort angesiedelten Logistikzentrum der Post.

DRAUSSEN FÜR SICH

Schori sagt: «Die Post kommt hier in der Nacht per Lastwagen an und wird in den frühen Morgenstunden für die Touren der Pöstlerinnen und Pöstler vorbereitet.» Zuerst sortiert Schori die Briefe, welche die Maschine nicht sortieren konnte. Dann packt er diese ein, und seine Tour beginnt. Diese ist wochenweise die gleiche, ausser eine Kollegin oder ein Kollege sei krank. Schori ist entweder mit dem Elektroroller oder dem Transporter unterwegs. So oder so: «Meine Lieblingstour ist diejenige nach Oberbottigen.» Dort sind es zwischen 400 und 500 Haushalte, die er beliefert. Und die Wege zu den Einfamilienhäusern und Bauernhöfen sind deutlich länger als etwa in Bethlehem, wo in manchen Hochhäusern mehr als 200 Haushalte pro Adresse zu Hause sind. «An meinem Beruf mag ich vor allem, dass ich morgens draussen unterwegs bin», sagt Schori. Einmal habe er es zwar auch mit einem Bürojob versucht. Aber schon nach kurzer Zeit habe er nur noch eines im Kopf gehabt: «Lasst mich raus hier!»

WENIGER POSTKARTEN

Zum Briefträger­beruf fand Schori vor 16 Jahren an der Berner Berufsmesse. Nach dem Schnupperkurs beim gelben Riesen sei für ihn klar gewesen: «That’s the way!» Seine Lehre machte er bei der Post in Lyss BE, wo er aufgewachsen ist. Noch heute lebt Schori in der Kleinstadt im Berner Seeland. In den letzten Jahren habe sich seine Arbeit als Briefträger verändert: «Wir haben deutlich weniger Briefe, aber dafür mehr Päckli aus China, von Temu oder Aliexpress.» Auch die Postkarten würden im Zeitalter von Whatsapp & Co. immer weniger. Anderes kam dafür hinzu: «Wir nehmen inzwischen auch viele Dinge von den Kundinnen und Kunden zurück, vor allem Nespresso-Kapseln und alte elektrische Geräte von der Swisscom.» Auch die Fahrzeugflotte hat sich gewandelt. Vor zehn Jahren noch fuhr Schori mit dem Benziner durch die Gegend. Heute ist er ausschliesslich elektrisch unterwegs.

DRÄNGEL-RENTNER

Seinen Beruf mache er gerne, ausser wenn er am Briefkasten von der Kundschaft bedrängt werde. Schori erklärt: «Es gibt Pensionierte, die sind bereits frühmorgens ungeduldig.» Das stresse ihn, besonders wenn die Leute ihn dann noch belagerten. Auch von einem Berner Sennenhund wurde Schori schon einmal bedrängt: «Ich hatte die Briefe in der einen und den Scanner in der anderen Hand, da spürte ich plötzlich die Pfoten auf meiner Schulter.» Das Tier habe zum Glück nur spielen wollen. Und auch gebissen worden sei er noch nie. Schori kennt inzwischen die meisten Tücken seiner Tour, und viele Namen und Adressen weiss Schori auswendig. So muss er vor den unzähligen Briefkästen der Hochhäuser nicht «hin und her seckeln». Nach getaner Arbeit verabredet sich Schori manchmal mit den Kolleginnen und Kollegen seines zwölfköpfigen Teams zum Mittagessen. «Wir haben Glück, denn wir haben nur wenige Wechsel im Team», sagt Schori. Zu Ende ist sein Arbeitstag in der Regel um 15 Uhr.

MITGLIED BEI SYNDICOM

Insgesamt sei er zufrieden mit den Arbeitsbedingungen bei der Post, sagt Schori. Mit seinem 100-Prozent-Job verdient er etwa 4600 Franken netto. Schori ist auch Mitglied bei der Gewerkschaft Syndicom, für die er seit diesem Jahr im Berner Regionalvorstand tätig ist. Neben den Poststellenschliessungen sei da auch der GAV ein grosses Thema. Der neue Post-GAV wird ab 2025 unter anderem höhere Zuschläge für Abend-, Nacht-, Sonntags- und Piketteinsätze sowie eine Erhöhung der Treueprämien bringen.

Der Vertrag gilt für mehr als 28 000 Mitarbeitende bei Post und Postfinance. Indirekt davon profitieren könnten aber auch Schoris Kolleginnen und Kollegen von der privaten Konkurrenz. Schori hat auch sie auf dem Schirm: «Wenn ich mit den Kurieren von DHL oder UPS spreche, dann geht es immer auch um den grossen Stress in der Branche.» Der Konkurrenzkampf und das Onlineshopping hätten die Situation der privaten Zusteller in den letzten Jahren zunehmend erschwert. Die Standards und Mindestlöhne im Post-GAV könnten aber dafür sorgen, dass sich auch bei den privaten Zustellbetrieben bessere Arbeitsbedingungen durchsetzten.


Mischa SchoriGuggenmusik und Gamen

Als Mischa Schori seine Pöstlerlehre begann, trat er auch der Guggenmusik in seiner Heimatstadt Lyss BE bei. Bis zur letzten Fasnacht spielte er Trompete, vor kurzem hat er auf die Posaune umgestellt. Mit den Proben für die nächste Fasnacht beginnt er bereits in diesen Wochen. Schori lebt alleine, und eigene Kinder sind für ihn im Moment kein Thema. Gerne hätte er aber eine Katze. Nur seien Haustiere in seiner Wohnung nicht erlaubt.

MANGA

Nach der Arbeit entspannt sich Schori gerne auch mit Kollegen, zum Beispiel beim gemein­samen Onlinegamen von World of Warcraft, dem legendären Fantasy-Rollenspiel. Schori schaut auch gerne die japanische Mangaserie «One Piece», von der seit 1999 über 1100 Folgen ausgestrahlt wurden. Zudem begeistert er sich für American Football und Wrestling, aber nicht aktiv im Ring, ­sondern lediglich als Zuschauer.

DIREKT

Seine grösste persönliche Stärke sei zugleich auch seine grösste Schwäche, sagt Schori. Er sage gerne, was er denke, und er sage die Dinge am liebsten direkt. Und er möge es auch, wenn andere direkt zu ihm seien. Das führe auch immer wieder zu spannenden Diskus­sionen, denen er nicht aus dem Weg gehen wolle.

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