Protest bei Altersheim in Colombier BE
Dieser Chef stellt Bewohner und Mitarbeiterinnen einfach auf die Strasse

Ein Altersheimchef hält sich an keine Gesetze: Knall auf Fall schliesst er den Betrieb, die Suppe auslöffeln müssen andere. Doch die Mitarbeitenden wollen ihm jetzt die Rechnung präsentieren.

ICH, UNFEHLBAR: Altersheimchef Jean-François Staehli sucht die Schuld für die Schliessung bei allen anderen, ausser bei sich selber. (Foto: François Graf / Strates)

Stellen Sie sich vor: Ihre Mutter ist im Altersheim. Da teilt Ihnen das Heim per eingeschriebenen Brief mit, der Betrieb werde eingestellt. Und zwar in 12 Tagen.

Genau so erging es am 19. August mehr als 20 Familien im Kanton Neuenburg, deren Angehörige im Heim «La Colombe» lebten. Wegen schwerer finanzieller Verluste schliesse das Heim in der Weinbaugemeinde Colombier per Ende Monat. Eine Lösung für die Bewohnerinnen und Bewohner bot die Heimleitung nicht an, die Arbeitsverträge der 25 Mitarbeitenden würden per Ende August aufgelöst.

Legal ist das alles nicht. Mit der überstürzten Schliessung bricht das Heim gleich stapelweise Gesetze und Verträge:

  • Es hat einen Leistungsauftrag mit dem Kanton. Kündigen kann es den nur mit einer Frist von sechs Monaten.
  • In Neuenburg gilt ein kantonaler Gesamtarbeitsvertrag für die Pflege. Ein Betrieb muss demnach eine solche Massenentlassung acht Monate im voraus ankündigen.
  • Die Arbeitsverträge haben ebenfalls eine Kündigungsfrist.
  • Bei einer Schliessung muss das Heim für alle Bewohnerinnen und Bewohner einen Platz in einer anderen Institution organisieren.

«La Colombe» tut nichts von all dem. Darauf greift der Kanton ein. Er entzieht dem Heim die Bewilligung und leistet Unterstützung, so dass sich für alle 23 Bewohnerinnen und Bewohner noch ein Wohnort findet.

«Selbstherrlich und sprunghaft»

Für die Mitarbeitenden ist klar: Für die Misere verantwortlich ist Jean-François Staehli, Besitzer und zuletzt Leiter des Heims. Alexandre Porret von der Unia Neuenburg hat in Gesprächen mit der Belegschaft immer wieder Ähnliches gehört. Insgesamt, so der Unia-Mann, empfanden die Mitarbeitenden Staehlis Führungsstil als «selbstherrlich», viele seiner Entscheide als «sprunghaft», das Klima im Heim als «katastrophal». Staehlis Überzeugung laute offenbar:

Er allein weiss, was richtig ist, alle anderen haben keine Ahnung.

Ausser sich selber habe der Chef nichts und niemanden respektiert, so Porret.

«Ich bin nur der Hauswart!»

Am Freitag, 30. August, 11 Tage nach der Schliessungsankündigung, hatte Staehli die Dreistigkeit, die Mitarbeitenden auf einen Abschiedsapéro einzuladen. Um, wie er schrieb, «einen Moment des geselligen und offenen Austauschs zu pflegen». Kein Wunder, war die Stimmung nicht «gesellig», sondern wütend. Und Staehli wollte seine eigene Einladung schwänzen. Alexandre Porret: «Wir haben ihn mehrmals per Megaphon aufgefordert, sich einer Diskussion zu stellen. Vergeblich.» Eine Unia-Delegation habe ihn dann im Gebäude ausfindig gemacht. «Aber er sagte: Ich bin nur der Hauswart. Der, den ihr sucht, ist nicht da.» Doch der Trick zog nicht. Und Staehli liess sich schliesslich dazu bewegen, vor die Leute zu treten. Für die meisten Vorwürfe habe er die Verantwortung zurückgewiesen, so Porret.

NICHT MIT UNS: Arbeitnehmerinnen und Gewerkschafter demonstrierten lautstark vor dem Altersheim in Colombier. (Foto: François Graf / Strates)

Denn dieser Chef sieht die Schuld nur bei anderen. Im Brief an die Angehörigen macht er etwa «zahlreiche unverantwortliche Absenzen» der Mitarbeitenden fürs Ende des Heims mitverantwortlich. Ein Vertreter des Kantons Neuenburg lobte dagegen in einer Regionalzeitung: «Die Leute an den Betten haben ihre Arbeit sehr gut gemacht.»

Als work Staehli am Telefon erreicht, räumt er zwar ein, er habe während zweier Jahre die Miete für das Gebäude nicht bezahlen können, worauf der Hausbesitzer dem Heim den Mietvertrag gekündigt habe. Doch die Verantwortung dafür trage nicht er:

Der Kanton hat die Beiträge an die Heime gesenkt und sie damit in finanzielle Schwierigkeiten gebracht.

Er habe im März dieses Jahres dem Kanton vorgeschlagen, gemeinsam eine Lösung zu suchen. «Aber sie wollten nicht mit uns zusammenarbeiten.»

Auf Anfrage stellt der Kanton klar: Die Senkung der Beiträge liege mehrere Jahre zurück, die Regeln seien für alle Heime gleich. Bereits seit 2012 sei es dem Kanton nicht mehr erlaubt, das Defizit eines Heims zu decken. «Das wurde auch dem Betreiber mitgeteilt.»

Was seinen Führungsstil angeht, so weist Staehli alle Kritik zurück. Richtig sei dagegen, dass er sich als Hauswart ausgab. Seine Erklärung: «Ich hatte im Heim mehrere Rollen. Eine davon war der Unterhalt der Technik.» Er geht davon aus, dass die Mitarbeitenden sich jetzt bei der Arbeitslosenkasse melden, denn: «Ich habe keine Reserven, um die Löhne ab September zu bezahlen.» Er sei jedoch offen für Gespräche mit der Unia.

Jetzt wird gerechnet

Die wird es brauchen. Denn die entlassene Equipe von «La Colombe» will sich wehren. Gemeinsam: An einer kürzlich von der Unia einberufenen Versammlung nahmen von den 25 Mitarbeitenden alle ausser zweien, die verhindert waren, teil. Unia-Mann Alexandre Porret:

Sie werden jetzt alle offenen Forderungen zusammentragen und dann Herrn Staehli präsentieren.

Da wird einiges zusammenkommen: Löhne bis zur Kündigungsfrist, Entschädigungen für ungerechtfertigte Kündigungen, Dienstaltersprämien gemäss kantonalem GAV.

Auch für den Kanton Neuenburg ist der Fall nicht abgeschlossen. Bei Gesetzesverstoss sind gegen Verantwortliche eines Heims auch Bussen bis zu 50’000 Franken möglich.

Vom Kanton entlassen

Jean-François Staehli übernahm mit seiner Firma 2019 das Heim «La Colombe». Der Kanton erteilte ihm dafür einen Leistungsauftrag. Dies ist deshalb pikant, weil Staehli einige Jahre zuvor für einen Eclat gesorgt hatte – und zwar ausgerechnet in der Verwaltung des Kantons Neuenburg.

Im März 2011 beschloss die Kantonsregierung, Staehli, damals Leiter des kantonalen Amts für zivile und militärische Sicherheit, zu suspendieren. Kurz darauf wurde er entlassen. Eine Administrativuntersuchung hatte ergeben, dass Staehli «nicht alle erforderlichen Qualitäten besass», um das Amt zu leiten. Zudem habe er «manchmal schwierige oder unangemessene Beziehungen zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den Partnern seines Dienstes unterhalten».

Gab es keine Bedenken, ausgerechnet einer Person mit diesen Eigenschaften die Führung eines Altersheims anzuvertrauen? Die Frage wollte der Kanton nicht beantworten. (che)

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