Droht ein vertragsloser Zustand bei den SBB?
GAV-Knatsch bei den Bähnlern

Eigentlich wollten die Bahn-Gewerkschaften den aktuellen Gesamtarbeitsvertrag einfach verlängern. Doch die SBB-Spitze fordert eine radikale Änderung bei den Arbeitszeitbestimmungen. Am Verhandlungstisch herrscht dicke Luft.

ARBEITGEBER BLOCKIERT: Die SBB will Arbeitszeitregelungen aus dem GAV lösen. (Foto: Keystone)

Was beim Deutschen Bahnpersonal fast schon zur Normalität gehört, ist in der Schweiz seit dem Landesstreik 1918 nicht mehr passiert: Ein Streik der Bähnlerinnen und Bähnler. Im Gesamtarbeitsvertrag (GAV) der SBB gibt es eine klare Klausel: absolute Friedenspflicht.

Doch aktuell wird der neue GAV verhandelt – und es herrscht dicke Luft zwischen den Vertragspartnern. Der Knackpunkt liegt in den Arbeitszeiten. Das Ziel der Gewerkschaften SEV, VSLF, Transfair und KVöV war es, den gültigen GAV mit SBB und SBB-Cargo schlicht zu verlängern. Doch die Arbeitgeberseite knatscht. Der GAV kann aus ihrer Sicht nur verlängert werden, wenn die sogenannten bereichsspezifischen Arbeitszeitregelungen (BAR) aus dem GAV herausgelöst werden. Wären die BAR nicht im Vertrag geregelt, würde das vollkommene Willkür bedeuten. So könnte die SBB diese Regelungen einseitig künden und freimütig Arbeitszeiten bestimmen, ohne den Konsens mit den Gewerkschaften. 

Wie der SEV, die Gewerkschaft des Verkehrspersonals, mitteilt, stelle die SBB mit dieser Forderung sogar in Aussicht, den GAV zu kündigen. Das wäre fatal, sagt SEV-Vizepräsident Patrick Kummer: «Die Kündigung des GAV wäre ein maximal schlechtes Zeichen an das Personal und würde zu massiver Verunsicherung führen. Die Tatsache, dass dieses Szenario seitens SBB überhaupt gedacht und uns so mitgeteilt wird, ist überaus bedenklich.»

Streik (fast) unmöglich

Im Jahr 1928 wurde der erste Gesamtarbeitsvertrag bei den SBB unterschrieben, seither hat das Personal ohne Unterbruch einen GAV. Und: Ein vertragsloser Zustand bei den SBB wäre nach fast 100 Jahren nicht nur undenkbar, sondern auch rechtlich nicht erlaubt. Denn das Bundespersonalgesetz zwingt die Schweizerischen Bundesbahnen zum Abschluss eines GAV. Patrick Kummer vom SEV erklärt:

Bei einer Kündigung des GAV würden Verhandlungen aufgenommen, um noch während der Kündigungsfrist einen neuen Vertrag zu verhandeln.

Kommt es tatsächlich zu einem vertragslosen Zustand, haben die Parteien drei Monate Zeit, einen neuen GAV abzuschliessen. Auch während dieser Zeit gelten alle Bestimmungen aus dem vergangenen Vertrag, so auch die Friedenspflicht. Legal streiken könnten die Schweizer Bähnlerinnen und Bähnler also erst, wenn sie über drei Monate keinen GAV mehr hätten. 

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.