Studie zerzaust rechte Schauermärchen
Genfer Mindestlohn wirkt – und schadet nicht

Der 2020 eingeführte Genfer Mindestlohn hat nicht zu mehr Arbeitslosen geführt, sondern vor allem Frauen geholfen. Das zeigt eine neue Studie. Jetzt frohlockt sogar der Arbeitgeberverband!

ER WIRKT: Der Mindestlohn von aktuell 24.32 Franken im Kanton Genf hat alle Gegner Lügen gestraft. (Visualisierung: Keystone / work)

Mindestlöhne gefährden Jobs und führen zu mehr Arbeitslosigkeit. Es ist eine Behauptung, die durch wissenschaftliche Untersuchungen schon vielfach und international widerlegt worden ist. Trotzdem wird sie von Arbeitgeberverbänden und Parteiideologen seit Jahr und Tag wiederholt wie ein Mantra. So auch in Genf, wo die Bevölkerung vor genau vier Jahren über einen kantonalen Mindestlohn abstimmte. Die Angstkampagne von rechts verfing bei nur noch 40 Prozent der Stimmberechtigten. Schon fünf Wochen später trat der Mindestlohn in Kraft. Heute liegt er bei 24.32 Franken pro Stunde.

Der Kanton versprach damals, die wirtschaftlichen Auswirkungen genau zu analysieren, und beauftragte hierfür Forschende der Fachhochschule für Wirtschaft und der Universität Genf. Schon im letzten Dezember publizierten diese ihre ersten Erkenntnisse. Jetzt haben sie eine zweite, noch detailliertere Studie nachgelegt. Und diese bestätigt den früheren Hauptbefund: Nein, die Einführung des Mindestlohns hat im Kanton Genf keine signifikante Veränderung der Arbeitslosenquote zur Folge gehabt. Es gibt aber auch neue Erkenntnisse, etwa zu den Hauptprofitierenden!

Frauendiskriminierung verringert

Am meisten genützt hat der Mindestlohn bisher den Frauen und im speziellen den arbeitslosen Frauen. Denn ihre Chance, wieder eine Arbeit zu finden, ist seit der Einführung des Mindestlohns um 6,5 Prozent gestiegen. Dies im Vergleich zu den arbeitslosen Männern. Wirtschaftsprofessor und Studienautor José Ramirez erklärt:

Im allgemeinen sind Frauen viel länger arbeitslos als Männer. Das liegt daran, dass Frauen eher von Niedriglöhnen betroffen sind. Wenn man also einen Mindestlohn einführt, erhöht man den Anreiz, eine sich bietende Stelle anzunehmen.

Diesen positiven Befund kommentierte an der entsprechenden Pressekonferenz auch Delphine Bachmann, die Vorsteherin des kantonalen Wirtschaftsdepartements. Sie sagte: «Ich freue mich zu sehen, dass der Mindestlohn die Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt verringert hat, auch wenn diese Ungleichheiten leider immer noch bestehen.»

Arbeitgeberpräsident: «Können uns nur freuen»

Dass sie dereinst eine solche Aussage tätigt, hätte sich Bachmann vor vier Jahren wohl noch nicht gedacht. Denn sowohl ihre Mitte-Partei wie auch die Genfer Regierung haben den Mindestlohn immer vehement bekämpft. Doch jetzt, wo sich der Mindestlohneffekt immer klarer quantifizieren lässt, heimst sie als zuständige Regierungsrätin die Lorbeeren ein. Aber womöglich hat Bachmann auch ganz einfach dazugelernt. Sie wäre nicht die einzige.

SPÄTE EINSICHT: Die Genfer Finanzministerin Delphine Bachmann hatte den Mindestlohn einst bekämpft und freut sich heute über die positiven Effekte des linken Anliegens. (Foto: Keystone)

So zeigt sich auch Pierre-Alain L’Hôte zufrieden mit den Studienergebnissen. Dies, obwohl er als Präsident der Vereinigten Genfer Arbeitgeberverbände (UAPG) an vorderster Front gegen den Mindestlohn gekämpft hatte. Heute sagt er: «Wir haben keine Rachegedanken und finden es beruhigend, dass es keine perversen Effekte gibt.» Und: «Wir können uns nur freuen, dass die Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen korrigiert wurden.»

Bedeutung der Ausbildung nimmt zu, nicht ab

Der Mindestlohn zeitigte allerdings auch «Verlierer» – zumindest kurzfristig betrachtet: Für 18- bis 25jährige Arbeitslose sank die Chance, wieder einen Job zu finden, um 11 Prozent. Auch für die am wenigsten qualifizierten Personen sanken die Aussichten auf einen Job leicht (um –5,3 Prozent). Davon betroffen sind laut Studienautor Ramirez vor allem junge Männer ohne Ausbildung. Diese würden sich andererseits schneller als früher wieder beim RAV abmelden. Wohin sie dann gehen, ist nicht bekannt. Möglich wäre etwa die Rückkehr ins Ausland beziehungsweise eine Auswanderung. Studienautor Ramirez vermutet aber etwas anderes:

Die wahrscheinlichste Hypothese ist, dass sie sich in Richtung einer Ausbildung bewegen.

«Das zeigt, wie wichtig es für junge Menschen ist, sich weiterzubilden, um wieder einen Job zu finden.» Womit die bürgerliche Regentin schon die nächste bürgerliche Legende zerzaust. Dass nämlich die Jungen ihre Stifti oder ihr Studium hinschmeissen würden, wenn sie ja so oder so den Mindestlohn auf sicher hätten. Behaupten kann man’s ja mal. Die Genfer Daten zeigen jedenfalls in eine komplett andere Richtung.

Die neue Studie zum Einfluss des Genfer Mindestlohns auf die Arbeitslosigkeit gibt es hier zum Download.

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