Die Schweiz beheimatet eine höchst undurchsichtige Branche
Kreuzfahrt auf Irrwegen

Flusskreuzfahrten boomen. Doch die Branche ist nicht transparent – und fühlt sich wohl gerade deshalb in der Schweiz pudelwohl.

BOOM-GESCHÄFT: Ein Kreuzfahrtschiff auf dem Rhein in Basel, wo gegenwärtig 190 solcher schwimmenden Hotels registriert sind. (Symbolbild: PD)

Am Rande des St.-Johanns-Parks, am Basler Rheinufer, befindet sich die Anlegestelle für Kreuzfahrtschiffe. Piet Dörflinger, Sekretär der internationalen Gewerkschaft Nautilus, ist regelmässig hier, um mit Kapitänen, ­Köchen sowie Hotellerie- und Servicepersonal auf den Schiffen zu sprechen. Seine Organisation ist zuständig für sämtliche Schifffahrtsektoren – von Tiefsee-Öltankern bis hin zur Flusskreuzfahrt. Und letztere macht ihm Sorgen: «Wir haben massiv viele Anfragen.» Meist gehe es um nicht ausgezahlte Löhne. Das Problem:

In der Flusskreuzfahrt sind die Gesetze in vielen Bereichen höchst unklar, weil die Branche ein grenzübergreifendes Geschäft ist.

SCHIFFFAHRTS-HOTSPOT BASEL

Seit Anfang der 2000er Jahre boomen Kreuzfahrten und mit ihnen jene auf den Flüssen. Über eine Million Passagiere waren im vergangenen Jahr auf europäischen Wasserwegen unterwegs. Tendenz steigend. Auffällig viele Schiffe, die auf europäischen Flüssen unterwegs sind, sind in Basel registriert. Exakt 190 Stück sind es zum Stichtag 23. Juli, wie Kathrin Betz weiss. Die Anwältin scrollt in ihrer Kanzlei in der Basler Innenstadt durch die Suchmaske der «International Maritime Organization», die sämtliche regis­trierten Schiffe auflistet. 2022 hat sie das Buch «Seefahrtsnation Schweiz» veröffentlicht (siehe Zweittext unten). In der Stadt gebe es eine Tradition und «ein gewisses Know-how» in der Flusskreuzfahrt.

Die Wege sind kurz und effizient, um hier Schiffe zu regis­trieren. Und es gibt sicher auch steuerliche Anreize, warum Basel ein interessanter Registrierungsort für Kreuzfahrtschiffe ist.

Sieht man sich in der Branche um, wird deutlich: es ist kompliziert. In den seltensten Fällen gehört ein Schiff der Firma, die auch die Crew ­beschäftigt. Tatsächlich sind es in der ­Regel mehrere Unternehmen, die auf einem einzigen Schiff tätig sind. Ein typisches Konstrukt sieht etwa so aus: Eine niederländische Reederei, die einen Firmensitz in der Schweiz hat, bietet dort «Schiffsdienstleistungen» an. Eine Tochtergesellschaft in Zypern beschäftigt unter anderem Namen die Crew. Das nautische Personal, für die Navigation des Schiffs zuständig, ist nicht selten bei anderen Firmen beschäftigt als ihre Kolleginnen und Kollegen in der Gastronomie oder Hotellerie an Bord.

In Ländern wie Zypern seien die Sozialabgaben für die Konzerne wesentlich nied­riger als in Deutschland oder den Nieder­landen, erklärt Nautilus-Gewerkschafter Dörflinger. Deshalb die komplizierten Kon­strukte. Diese erschweren auch die Festlegung der Zuständigkeiten. Dörflinger:

Es ist oft schwer auszumachen, wer Besitzer ist, wer Investor und wer profitiert. Wer ist rechtlich verantwortlich für die Anstellungsbedingungen, wer haftbar, wenn etwas passiert?

GEFAHR VON AUSBEUTUNG

Arbeitnehmende in der Hotellerie und Gastro an Bord kommen meist aus Osteuropa, zunehmend auch aus Südostasien, von den Philippinen oder aus Indonesien. Dörflinger nennt sie «noch vulnerablere Arbeitnehmende». Geringe Sprachkenntnisse, kein soziales Netz in Europa und mit der hiesigen Rechtslage kaum vertraut: Dies erhöhe die Gefahr von noch mehr Ausbeutung.
Dörflingers Bedenken kommen nicht von ungefähr: Die Europäische Transportarbeiter-Föderation, ein transnationaler Gewerkschaftsverband, berichtet regelmässig von Missständen in der Flusskreuzfahrt. Bei Kontrollen der Wasserpolizei seien auf Schiffen in Deutschland und den Niederlanden überlange Arbeitszeiten dokumentiert worden, von bis zu 100 Stunden pro Woche. Die ­Internationale ­Arbeitsorganisation (ILO) schreibt in einem Bericht vom vergangenen Jahr, Personal sei «weniger als der vorgeschriebene Mindestlohn von 8,84 Euro pro Stunde» gezahlt ­worden. «Einige erhielten sogar nur 2,80 Euro pro Stunde.»

PREISE UND RENDITE

Dabei ginge es auch anders. Einzelne Unternehmen üben sich in Transparenz, übernehmen Verantwortung. Beim Gros der Kreuzfahrtschiffbetreiber aber gibt es noch viel zu tun. Dörflinger ist dennoch überzeugt, dass die Branche auch mit fairen Arbeitsbedingungen handlungsfähig wäre. «Das würde aber bedeuten, dass die Preise für Luxuskreuzfahrten wesentlich steigen, auch jene der billigen natürlich. Und dass die Investoren nicht so forsch auf Rendite bestehen könnten.» Ob dies in naher Zukunft Realität werden wird, ist unwahrscheinlich. Bis dahin wird Piet Dörflinger weiter bei der An­legestelle Basel-St. Johann versuchen, das Personal der Schiffe über ihre Rechte aufzuklären. Ein mühsamer Weg, aber der einzig mögliche.

* Christof Mackinger und Johannes Gress arbeiten als freie Journalisten in Wien, überwiegend zu den Themen Soziales, Arbeit und Umwelt. Sie sind Teil des FYI-Kollektivs, eines Zusammenschlusses sechs freier Journalist:innen aus Wien (fyi-kollektiv.at). Die Recherche wurde gefördert von der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt sowie von Netzwerk Recherche/Olin GmbH.


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