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Küchengespräche: Neues Buch stellt den Haushalt ins Zentrum des Lebens

ALLTAG IM GENERATIONENHAUS: Hier im Berner Emmental leben 27 Erwachsene und 6 Kinder als Genossenschafterinnen und Genossenschafter in einem Haus mit 20 Wohnungen zusammen. (Foto: Yoshiko Kusano / Rotpunktverlag)

Von Männern verpönt, von ­Feministinnen gemieden, doch von allen belebt: der Haushalt. Wer aber putzt, kocht und zieht die Kinder gross? Ein neues Buch bietet Gedanken-Konzentrate und ungefilterte Einblicke in mehr oder weniger aufgeräumte Küchen.

ALLTAG IM GENERATIONENHAUS: Hier im Berner Emmental leben 27 Erwachsene und 6 Kinder als Genossenschafterinnen und Genossenschafter in einem Haus mit 20 Wohnungen zusammen. (Foto: Yoshiko Kusano / Rotpunktverlag)

Der Haushalt ist der «Ort des Anfangs jeder Politik, weil hier Frauen, Männer und Kinder aushandeln, was für sie ein gutes Zuhause ist». Das sagt die Theologin Ina Praetorius. In ihrem Wohnzimmer in Wattwil SG plädiert die Care-Revolutionärin dafür, die Welt als Haushalt zu denken statt als Markt.

An ihrem Küchentisch in Zürich plaudert Historikerin Elisabeth Joris aus dem Nähkästchen. Sie spricht über das Haushalten früherer Frauengenerationen. Ihre Mutter sei die Projektmanagerin des Haushaltes gewesen, obwohl sie bis zur Einführung des neuen Eherechts 1988 eigentlich gar nicht über das Haushaltsbudget verfügen durfte. Die Einteilung der Arbeit in Männer- und Frauenarbeit habe sich mit der Industrialisierung ab 1850 etabliert, sagt die Mutter zweier erwachsener Söhne. Erst dann kam die klassische Arbeitsteilung auf und führte zu einer Doppelbelastung der Frauen, die bis heute anhält. Schon in den 1860er Jahren forderten die Gewerkschaften «acht Stunden Arbeit, acht Stunden Musse und acht Stunden Schlaf». Doch Joris sagt: «Musse für wen?» Die Haushalts- und Familienarbeit sei gewerkschaftlich nicht bedacht worden, weil Frauensache, weil keine Lohnarbeit. Das habe sich erst mit Gewerkschafterinnen wie Christiane Brunner verändert.

FREIER TAG FÜR HAUSFRAUEN

Noch immer leisten Frauen den Löwinnenanteil unbezahlter Arbeit in Haushalt und Familie. Wobei die Männer in den letzten zehn Jahren zugelegt haben, vor allem bei der Kinderbetreuung. Doch putzen, kochen und den Haushalt managen, also die «Mental Load» tragen, das machen noch immer hauptsächlich die Frauen. Diese unbezahlte Arbeit findet ausserhalb der klassischen Marktwirtschaft statt, ist oft unsichtbar und abgewertet.

Damit sich das ändert, brauchen die Care-Arbeiterinnen und -Arbeiter eine Lobby, eine Gewerkschaft.

Das sagt der Ethiker Christof Arn in der dunklen Küche seines alten Hauses in Scharans GR. Er ist einer der wenigen, die sich wissenschaftlich mit dem Haushalten beschäftigt haben. In seiner Doktorarbeit hat der alleinerziehende Vater einen Massnahmenkatalog erarbeitet zur Aufwertung der Haus- und Familienarbeit. Zum Beispiel: arbeitsfreier Tag für Hausfrauen und -männer oder die Quotierung von Hausfrauen und Hausmännern in politischen Ämtern.

MEHR ODER WENIGER AUFGERÄUMT

17 Expertinnen und Experten kommen im Buch von Samuel Geiser und Heidi Kronenberg zu Wort, in gut lesbaren Häppchen, als Konzentrat ihrer Gedanken. Nebst Historikerinnen und Soziologen ist da auch eine Raumplanerin, die sagt: «Die Welt wurde bis jetzt nur von Männern gedacht und geplant.» Alles Gebaute sei auf männliche Erwerbstätige ausgerichtet, nicht auf Frauen, die zu Hause Care-Arbeit leisten. Oder eine Bildungshistorikerin, die eine Erhebung von 1967 zitiert:

Mädchen im Kanton Bern hatten 600 bis 1000 Stunden mehr Handarbeit als die Knaben. Dafür 140 Stunden weniger Rechnen, 120 Stunden weniger Naturkunde, 160 Stunden weniger Muttersprache!

Hinzu kommen 12 Reportagen in mehr oder weniger aufgeräumten Wohnungen mit Bildern der Berner Fotografin Yoshiko Kusano, die diese Lebenswelten ohne Filter, aber doch mit liebevoller Distanz zeigen. Zum Beispiel ein Gemeinschaftshaus für Alleinerziehende, den klassischen Familienhaushalt, die Zwei-Väter-Familie, den Hausmann oder die Putzfrau. Ja, Isabel Zubieta will so genannt werden, sagt sie in ihrem blitzblanken Wohnzimmer (das sie, ihr Mann und ihr Sohn zu gleichen Teilen putzen). Die Gesellschaft bilde sich ein, sie könne mit modernen Begriffen ihren Beruf aufwerten, doch das seien nur Worte! Man solle ihr lieber auf Augenhöhe begegnen, ihr Kompetenzen anerkennen.

Die «Küchengespräche» erfassen das Haushalten in einer erfrischenden Ehrlichkeit und aus überraschenden Winkeln. Sie lassen Widersprüche in den Aussagen zu und manchmal eine Wiederholung zu viel. Aber das ist vielleicht auch irgendwie passend, wenn während der Gespräche auch mal im Topf gerührt, Wäsche aufgehängt oder Kinder verpflegt werden müssen.

Samuel Geiser und Heidi Kronenberg, Yoshiko Kusano (Fotos): Küchengespräche. Wer kocht, putzt und tröstet? Rotpunktverlag.

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