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Réceptionistin Mercedes Lentisco (37): Die Problemlöserin

Eines Tages würde sie gerne ein Hotel führen. Die ersten Schritte auf dem Weg dorthin hat Mercedes Lentisco (37) schon gemacht: Zurzeit arbeitet sie in einem Hotel in Chur als Réceptionistin.

OB BAUARBEITER ODER GESCHÄFTSFRAU: Von Mercedes Lentisco bekommen alle Gäste einen herzlichen Empfang (Foto: Nicola Pitaro)

Der Name klingt idyllisch, nach Sonne, Natur, lieblicher Landschaft. Die Realität sieht anders aus: Das Hotel Sommerau in Chur liegt in einem Industriegebiet, nahe der Autobahn. Es ist elf Uhr an einem heissen Sommertag, die Terrasse des Restaurants füllt sich stetig. «Am Mittag ist es immer voll hier», sagt Mercedes Lentisco – und es schwingt Stolz mit, dass dieser Ort so gut besucht ist. Es ist eher ein Unort, der so wenig mit der Postkartenidylle gemein hat, die Schweiz Tourismus in ihren Werbekampagnen präsentiert. Aber für die Spanierin ist es ein guter Ort: Seit November 2023 arbeitet sie an der Réception im Hotel Sommerau. Die 37jährige hat sich diesen Job bewusst ausgesucht: Zuvor hatte sie mitten in der Churer Altstadt in einem ­Familienbetrieb gearbeitet, in einem charmanten Haus aus dem 16. Jahrhundert.

PERSPEKTIVE

Vom Zentrum in die Peripherie, von der Idylle in die Funktionalität: Für Aussenstehende mag das schwer nachzuvollziehen sein. Nicht so für Mercedes ­Lentisco: «Ich habe hier bessere Aufstiegsmöglichkeiten», sagt die stellvertretende Réceptionschefin. Nebst dem Restaurant, das viele externe Gäste anzieht, bietet das Hotel auch Seminarräume. Zu ihren Aufgaben gehören also auch Eventmanagement und das Organisieren von Banketten. Gross ist auch die Palette der Hotelgäste: Urlaubsreisende, die auf der Durchfahrt im Stau steckenbleiben und spontan nach einer Übernachtungsmöglichkeit suchen, Geschäftsreisende der Ems-Chemie oder von Hamilton, die unter anderem Beatmungsgeräte produziert, Bauarbeiter, Bustouristen. Für Mercedes Lentisco und ihre Kolleginnen an der Réception bedeutet dies, dass sie ständig auf Zack sein müssen, um den unterschiedlichen Ansprüchen gerecht zu werden und Probleme zu lösen: Die Réception ist die Drehscheibe für alle und alles.

ENGEL

«Manchmal braucht es nur wenig, um die Leute glücklich zu machen», sagt die 37jährige. Zum Beispiel hat jemand Mühe, sich mit dem WLAN zu verbinden – die Frau an der Réception erscheint dann wie ein rettender Engel. Oder jemand ist unzufrieden mit dem Zimmer. «Ich versuche dann, ein anderes Zimmer zu finden, oder biete als Entschädigung einen Gutschein von der Bar oder vom Fitnesszen­trum in der Stadt an», sagt die Spanierin. Während sie spricht, spielt ein Lächeln um ihre Augen – ihre offene Art, ihre Freundlichkeit sind Trumpf in einer Branche, in der ein falsches Wort den Ruf des ganzen Hauses kaputtmachen kann.

CHAUFFEURIN

Aufgewachsen ist Mercedes Maria Lentisco in Andalusien, dem südlichsten Zipfel Spaniens. Ihre Eltern arbeiteten im Kleidergeschäft der Familie, später war ihr Vater Wachmann. Eigentlich wollte sie nach der Schule im Gesundheitswesen arbeiten. Doch dann entschied sie sich für ein Touristikstudium. «Mir hat die Vielfalt der Fächer gefallen», erzählt sie, «Wirtschaft, Geschichte, Sprachen, Marketing und Rhetorik.» Nach ihrem Studienabschluss 2009 musste sie feststellen, dass die Berufsaussichten für Akademikerinnen nicht rosig sind, zudem befand sich Spanien in einer Wirtschaftskrise. Also machte sie einen Réceptionskurs, um von der Theorie in die Praxis zu kommen. In Hamburg und Berlin sammelte sie erste Berufserfahrungen, danach arbeitete sie ein knappes Jahr auf Mallorca. «Das war eine harte Schule», erzählt sie. «Wir waren ständig überbucht und mussten die Gäste in anderen Hotels unterbringen.» In dieser Zeit wurde sie auch zur Chauffeurin und brachte Feriengäste von A nach B. Ihre Deutschkenntnisse kamen ihr auf der Ferien­insel zugute. Doch nach einem knappen Jahr hatte sie genug. Die Schweiz schien ihr attraktiver – wegen des Verdienstes und auch, weil sie zwar im deutschsprachigen Raum arbeiten will, hierzulande aber noch weitere Sprachen praktizieren kann. So kam sie nach Graubünden. «Hier habe ich Ski- und Snowboardfahren gelernt», erzählt sie.

SPRACHTALENT

Am liebsten ist sie in der Frühschicht eingeteilt, von 5 Uhr 45 bis um 15 Uhr. «Dann habe ich noch was vom Tag», sagt sie und lacht. In ihrer Arbeit profitiert sie von ihren Sprachkenntnissen: Nebst Spanisch spricht sie Portugiesisch, Italienisch, Französisch, Englisch und Deutsch. Auch ein bisschen Bündner Dialekt hat sie mittlerweile gelernt – und sogar ein paar Brocken Romanisch. Ihr Job gefällt ihr gut, die Vielseitigkeit, der Kontakt mit Menschen. Wer an einer Réception arbeite, müsse gut mit Menschen umgehen können, viel Geduld haben, auch in hektischen Situationen einen kühlen Kopf behalten und freundlich bleiben, hilfsbereit und kommunikativ sein – sagt Mercedes Lentisco, die während des Gesprächs immer wieder Kolleginnen und Kollegen mit einem Lächeln grüsst und aufmerksam wahrnimmt, was sich an diesem Sommertag auf der Terrasse des Hotelrestaurants so abspielt. Wo sie in fünf Jahren sein will? «Ich habe einen Traum», antwortet sie. «Ich würde gerne mein eigenes Geschäft führen, ein kleines Hotel irgendwo.»


Mercedes LentiscoTanzen, Lesen und Biken

Mercedes Lentisco kam 2017 in die Schweiz und wurde noch im gleichen Jahr Unia-Mitglied, weil die Gewerkschaft sie bei einem Konflikt mit ihrem damaligen Arbeitgeber unterstützte. Ihre Arbeitsbedingungen findet sie okay – sagt aber: «Die Anforderungen an diesen Job sind hoch. Ich finde, dafür sollte es mehr Anerkennung geben.» Sie erhält etwas mehr als den im GAV festgelegten Mindestlohn für Mitarbeitende mit dreijähriger Lehre und spezifischer Weiterbildung, der bei derzeit 4576 Franken brutto liegt. In ihrer Freizeit fährt sie Velo, treibt Wintersport, tanzt und liest viel – auf spanisch, deutsch oder englisch.

INTERNATIONAL

Ein- bis zweimal pro Jahr besucht sie ihre Eltern, sagt aber: «Ich vermisse Spanien nicht sehr.» Trotz den Mentalitätsunterschieden fühlt sie sich in der Schweiz sehr wohl, vielleicht auch, weil die Gastro­branche international ist: Ihre Freundinnen und Freunde kommen aus Italien, Vene­zuela, Kuba, Rumänien und Argentinien. Von ihrem Studio in der Nähe des Hotels fährt sie mit dem Velo zur Arbeit – was für sie nicht selbstverständlich war: «Velofahren habe ich erst in der Schweiz gelernt.»

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