Im Sumpf mit Landschaftsgärtner Gian Baumberger (30)
Reparatur der Natur

Eine Allianz aus Geld und Gülle wehrt sich gegen den Schutz der Artenvielfalt. Dabei würden Büezer und Bauern von der Biodiversitätsinitiative profitieren. Davon ist Gian ­Baumberger überzeugt. work war mit dem Landschaftsgärtner auf Renaturierungstour.

DER RENATURIERER: Im Moorgebiet des Zürcher Säuliamtes sorgt Gian Baumberger für mehr Biodiversität. (Foto: Raja Läubli)

Die Plakate auf den Feldern am Strassenrand sind unübersehbar: «30% Fläche weg. Tschüss Schweizer Lebensmittelproduktion! NEIN zur extremen Biodiversitätsinitiative». Doch Landschaftsgärtner und Unia-Mitglied Gian Baumberger lässt sich davon nicht beirren. Mit seinem Gartenbau-Lastwägeli fährt er durch das Zürcher Säuliamt. Er sagt: «Wenn wir Renaturierungen machen, ist das natürlich auch immer ein grosses Thema bei den Bauern.» Ein Landwirt habe ihm mal verboten, über sein Gelände zu fahren, aus Prinzip. Er war gegen ein Renaturierungsprojekt, obwohl er selbst dafür gar kein Land hergeben musste. Baumberger sagt: «Der Kampf gegen die Biodiversitätsmassnahmen ist sehr ideologisch. Wenn wir vor Ort sind und die Leute das Resultat unserer Arbeit sehen, haben sie meistens Verständnis für das, was wir tun.» Baumberger arbeitet als Gärtner im Gewässerbau. Er ist einer von vierzig Angestellten der Gartenbaufirma SKW, die sich auf Naturschutzprojekte spezialisiert hat und ökologisch wertvolle Landschaften im Kanton Zürich repariert und revitalisiert.

IM HOCHMOOR

Durch eine Waldschneise erreichen wir zu Fuss Baumbergers Arbeitsplatz im Hochmoor Hagenmoos. Baumberger sagt: «Hier hat der Gletscher eine Mulde hinterlassen, wo sich seit der Eiszeit Regenwasser sammelt und sich aus Moosschichten metertiefer Torf gebildet hat.» Baumberger zieht seine Wanderschuhe an und kocht Kaffee auf dem Campingkocher. Danach geht es zwischen umgestürzten Tannen, Moosen und Farnen über den feuchtdunklen Waldboden zum kleinen Bagger auf einer Lichtung. Er müsse immer aufpassen, dass keine der Maschinen im Moor absaufe. Im Tümpel neben dem Bagger tummeln sich Wasserläufer, eine Libelle schwirrt vorbei. Am liebsten würde Baumberger die Maschinen gar nicht anstellen, «so magisch ist die Morgenstimmung im Moor». Doch dann wirft er den Motor trotzdem an und versenkt Holzpfähle im torfigen Waldboden. So wird das Abfliessen des Wassers verhindert und der ursprüngliche Zustand des Moores wiederhergestellt.

RÖSTI UND RITTER

Während einer Arbeitspause zeigt Baumberger eine Luftaufnahme des Geländes: «Mit den Holzpfählen füllen wir die Drainagegräben, die im letzten und vorletzten Jahrhundert angelegt wurden.» Durch den Bau der Gräben konnte die Land- und Forstwirtschaft damals viel Land dazugewinnen. Und der getrocknete Torf wurde als Brennmaterial genutzt. Doch für die Tier- und Pflanzenwelt, die in Feuchtgebieten besonders vielfältig ist, war diese Entwicklung fatal. Erst mit der Annahme der Rothenthurm-Initiative im Jahr 1987 wurden die Moore in der ganzen Schweiz unter Schutz gestellt – einer der grössten Erfolge der Schweizer Naturschutzbewegung. Doch 90 Prozent der Moore in der Schweiz waren zu diesem Zeitpunkt bereits verloren. Und die Biodiversität nahm auch in den geschützten Gebieten weiter ab. Heute sind 35 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten in der Schweiz ausgestorben oder akut bedroht. An diesen Zahlen ändern auch die Aussagen von Bundesrat Albert Rösti (SVP) nichts: Er habe im Sommer auf der Alp Schmetterlinge gezählt und keinen Artenverlust feststellen können. Statt über die roten Listen der gefährdeten Arten wurde in den Schweizer Medien über die Schmetterlingskenntnisse des Bundesrates berichtet. Rösti ist zusammen mit Markus Ritter, dem Präsidenten des Schweizerischen Bauernverbands, einer der ärgsten Gegner der Biodiversitätsinitiative, über welche die Schweizer Stimmbevölkerung am 22. September abstimmt. Die Initiative verlangt mehr Geld und mehr geschützte Gebiete für Biodiversität, ohne jedoch eine konkrete Zahl für Schutzflächen zu nennen (Infos in der Box).

EIN PROZENT FLÄCHE FÜR BIODIVERSITÄT

Auf dem Rückweg ins Dorf fahren wir an einer prächtigen Blumenwiese vorbei. Baumberger sagt: «Das ist eine Brache, da ist die Artenvielfalt sofort viel höher.» Nicht nur der Anblick, auch die Geräuschkulisse ist anders als bei den sattgrünen Wiesen im Hintergrund. Im hohen Gras springen und tönen die Grillen, die verschiedensten Wildblumen schiessen in die Höhe. Doch nur gerade ein Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in der Schweiz ist als Biodiverstitätsförderflächen ausgewiesen. Und der Bauernverband hat im Juni erfolgreich gegen einen Vorschlag zur Erhöhung auf 3,5 Prozent lobbyiert. Baumberger sagt: «Ich verstehe nicht, dass sich so viele Bauern gegen die Initiative stellen, denn ohne Biodiversität funktioniert auch die Landwirtschaft irgendwann nicht mehr.» Bauern, die langfristig denken, könnten auch von dieser Initiative profitieren. Nach Schätzungen des Bundes gehen die Fördergelder für Naturschutz zu 40 Prozent an die Landwirtschaft, zu 20 Prozent an die Bauwirtschaft und die restlichen 40 Prozent an Planungsbüros, Forstbetriebe und Unterhaltsfirmen. Der wirtschaftliche Nutzen der Schweizer Schutzgebiete wird auf rund 3 Mil­liarden Franken pro Jahr geschätzt.

NEUER LEBENSRAUM

Weiter unten, beim Dorf Rifferswil ZH, ist eine grosse Baustelle mit Baggern entlang dem Dorfbach sichtbar. Auf einer Länge von einem Kilometer wird der kanalisierte Bach wieder zu einem attraktiven Lebens- und Erholungsraum für Tiere, Pflanzen und Menschen umgebaut. Der Kanton Zürich finanziert das Projekt mit fast 4 Millionen Franken. Landschaftsgärtner bauen gerade an einem Erlebnispfad. Die Befreiung des Baches sorgt dabei nicht nur für Biodiversität, sie schützt das Dorf auch vor Hochwassern.

Am Rande des Baches werden aus Totholz und Steinen neue Habitate für Tiere und Pflanzen geschaffen. Baumberger sagt: «Das hätte man alles auch weniger aufwendig machen können, denn sobald man dem Fluss genügend Raum und freien Lauf lässt, schafft er die Lebensräume auf seine eigene Weise.» Doch hier in der Schweiz müsse oft alles bis ins letzte Detail durchgeplant sein.

Gian Baumberger zeigt uns seine Umgebung:

Biodiversitätsinitiative: Was ein Ja der Natur und den Lohnabhängigen bringt


1. Was will die Biodiversitätsinitiative?
Die Biodiversitätsinitiative fordert einen besseren Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in der Verfassung und will Bund und Kantone stärker in die Pflicht nehmen, endlich zu handeln.

2. Wie ist die Lage in der Schweiz?
Fast die Hälfte aller Lebensräume und über ein Drittel der Tier- und Pflanzenarten sind gefährdet.
3. Wie hängen Biodiversität und Klimawandel zusammen?
Intakte Ökosysteme spielen eine wichtige Rolle beim Klimaschutz und bei der Anpassung an den Klimawandel. Moore und Wälder speichern grosse Mengen CO2.
4. Was kostet das?
Die Umsetzung der Biodiversitätsinitiative würde laut Bundesrat jährliche Mehrkosten von 375 bis 443 Millionen Franken verursachen. Der Bundesrat schätzt, dass ein unzureichender Schutz der Biodiversität ab 2050 jährliche Kosten von 14 bis 16 Milliarden Franken verur­sachen würde. Diese entstehen unter anderem durch Ernteausfälle und Gesundheitskosten.

5. Was bringt ein Ja den Lohnabhängigen?
Die Investitionen in den Biodiversitätsschutz ­haben positive wirtschaftliche Effekte, insbesondere auch für Randregionen und touristische Gebiete. 40 Prozent der Mittel gehen an Bau- und Planungsfirmen, die mit Schutzmassnahmen beauftragt werden. 

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