Fall Pelicot erschüttert eine ganze Nation
Tausende demonstrieren in Frankreich gegen sexuelle Gewalt

Der Fall von Gisèle Pelicot, die von ihrem Ehemann jahrelang brutal misshandelt wurde, erschüttert Frankreich. Jetzt verlangen Demonstrierende Gerechtigkeit – aber auch tiefgreifende Reformen.

«WIR HABEN GENUG!»: Hunderte von Menschen gingen in Paris auf die Strasse zur Unterstützung von Gisèle Pelicot. (Foto: Keystone)

Nur durch einen Zufall erfuhr Gisèle Pelicot (71) vom schrecklichen Missbrauch, dem sie über Jahre hinweg durch ihren Ehemann Dominique ausgesetzt war. Nachdem dieser in einem Einkaufszentrum heimlich Frauen unter den Rock gefilmt hatte, geriet er ins Visier der Ermittler. Bei einer anschliessenden Hausdurchsuchung entdeckte die Polizei unzähliges Bildmaterial, das den jahrelangen Missbrauch seiner Frau dokumentierte. Der heute 72jährige hat seine Frau fast zehn Jahre lang immer wieder betäubt und vergewaltigt und vor seinen Augen von fremden Männern vergewaltigen lassen.  

Der Prozess, der derzeit in Avignon stattfindet, ist erschütternd und stellt das französische Justizsystem auf den Prüfstand. Während Dominique Pelicot inzwischen den massenhaften Missbrauch gestanden hat, sitzt der Schock bei den Opfern – darunter auch die gemeinsamen Kinder des Paares – tief. 

Herr Vorsitzender, ich räume die Vorwürfe in ihrer Gesamtheit ein. Ich bin ein Vergewaltiger

Die Tochter des Ehepaares verliess weinend den Gerichtssaal, als bekannt wurde, dass auch Nacktfotos von ihr unter den gespeicherten Bildern gefunden wurden.

Die Gesellschaft schlägt Alarm

In den letzten Wochen fanden landesweit Demonstrationen statt. In Städten wie Paris, Lyon und Marseille gingen Tausende auf die Strasse, um Gisèle Pelicot und andere Opfer sexualisierter Gewalt zu unterstützen. Besonders in Avignon, wo der Prozess stattfindet, versammelten sich viele Menschen vor dem Gerichtsgebäude, um ein Zeichen der Solidarität zu setzen. 

FETT GESCHRIEBEN: «Um die grenzenlose Gewalt gegen Frauen und Kinder zu stoppen!» (Foto: Keystone)

«Die Justiz darf das Leid der Opfer nicht länger ignorieren», so eine der Rednerinnen vor Ort. Unter den Protestierenden waren zahlreiche Frauenorganisationen und Betroffene von sexualisierter Gewalt, die ihre eigenen Geschichten teilten. Transparente mit Aufschriften wie «Gerechtigkeit für Gisèle» und «Stoppt die Gewalt an Frauen» prägten das Bild.

Gegen «Vergewaltigungskultur»

Die Protestierenden fordern nicht nur eine härtere Bestrafung der Täter, sondern auch weitreichende Reformen im Umgang mit Opfern sexualisierter Gewalt. Diese bräuchten dringend mehr Unterstützung und Schutz. Lucia, eine der Demonstrantinnen in Paris, betonte:

Die wichtigste Botschaft, die wir vermitteln müssen, ist, dass ein Nein immer ein Nein bedeutet und dass alles andere nicht länger ohne Konsequenzen bleiben wird.

Anna Toumazoff, eine der Organisatorinnen des Pariser Protests, betont zudem, der Fall Pelicot stehe für ein systematisches patriarchales Problem. «Es ist sehr wichtig, hier zu sein, weil wir über die Vergewaltigungskultur sprechen müssen. Nach sieben Jahren #MeToo wissen wir, dass es keinen speziellen Opfertypus gibt. Wir stellen auch fest, dass es keinen speziellen Typus des Vergewaltigers gibt.»  Tatsächlich zeigen Untersuchungen schon lange, dass das diese «Vergewaltigungskultur» sämtliche Altersklassen und gesellschaftlichen Milieus durchzieht.

BETROFFENE WERDEN LAUT: «Bildung in der Schule über Consent hätte mir das Leben gerettet.» (Foto: Keystone)

Während der Prozess weiterläuft und ein Urteil erst im Dezember erwartet wird, bleibt der Ausgang für viele symbolisch: Wird dieser Fall zu einem Wendepunkt im Kampf gegen sexualisierte Gewalt in Frankreich? Die Demonstrierenden fordern, dass die Politik nun endlich reagiert – im Namen von Gisèle Pelicot und all den Opfern, deren Stimmen zu lange ungehört blieben.

Zahlen aus Frankreich: 

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