Wann ist ein Mann ein Mann, Herr Theunert? 
«Viele Männer finden nicht mehr aus der Wutspirale»

Während Donald Trump sich mit Blowjob-Sprüchen profiliert, wächst der Geschlechtergraben in der Schweizer Jugend rasant. Was ist da gerade los? Männlichkeitsexperte Markus Theunert (51) über maskuline Verunsicherung, falsch verstandenen Feminismus und exzessiven Bratwurst-Konsum.

EINE MASCHINE: Arnold Schwarzenegger verkörperte in «Terminator» das Bild des starken Mannes. (Foto: PD)

Herr Theunert, Sie sind Männerberater. Was ist so schwierig daran, ein Mann zu sein?
Dass sich Menschen anstrengen müssen, um den Anforderungen an einen «richtigen Mann» oder eine «richtige Frau» zu genügen, ist ein altes Muster. Neu ist die extreme Widersprüchlichkeit der Anforderungen. Männer sollen heute anständig, empathisch und teamfähig sein, aber zugleich performen wie eh und je. Die Botschaft: Wenn du Mann sein willst, musst du alle und alles unter Kontrolle haben. Das wird vielen Jungen mitgegeben. Da haben Gefühle wie Schwäche, Unsicherheit und Ohnmacht keinen Platz. Wir sind als Gesellschaft noch nicht an dem Punkt, dass wir diese Widersprüchlichkeit erkennen, breit darüber diskutieren und Männer dabei unterstützen, mit der Unerfüllbarkeit dieser Anforderungen umzugehen. 

Frauen kennen diese zermürbenden Wider- und Ansprüche zur Genüge und kämpfen seit Jahren dagegen. Haben die Männer Nachholbedarf?
Ja, eindeutig. Für Männer ist es eine neue Erfahrung, dass ihre Position als gesellschaftlicher Dreh- und Angelpunkt infrage gestellt wird. Das verunsichert und kränkt. Viele Männer finden aus der Wutspirale nicht mehr raus. Mit meinem Buch «Jungs, wir schaffen das. Kompass für Männer von heute» möchte ich zeigen, wie Mann zugleich fair und gern Mann sein kann. Dabei versuche ich auch zu entflechten: Es gibt keine Erbschuld für 5000 Jahre Patriarchat und wir sollten uns nicht durch schlechtes Gewissen für das Verhalten unserer Väter und Vorväter lähmen. Aber wir haben eine Verantwortung dafür, wie wir heute mit unseren Privilegien umgehen. Es ist eine enorme Aufgabe: Wir müssen uns als Männer neu erfinden. 

Zur Person

Markus Theunert (51) ist Männerberater und Leiter von männer.ch, dem Dachverband der Schweizer Männer- und Väterorganisationen.

Foto: zvg

Bei Gleichstellungsfragen und Rollenbildern gibt es sehr gegensätzliche Entwicklungen…
Ja, es herrscht ein Kulturkampf. Die Einen verteidigen die bestehende Geschlechterordnung bis aufs Blut und tun so, als sei sie Naturgesetz. Die Anderen betonen die natürliche Vielfalt geschlechtlicher Identitäten und Ausdrucksformen, wollen Selbstbestimmung und Chancengerechtigkeit fördern. Sie stützen sich dabei auf die Erkenntnisse der Geschlechterforschung, die eindrucksvoll zeigt: Geschlecht ist stark kulturell geprägt und immer im Fluss. Auch über toxische Männlichkeit wird gesprochen, also über Männlichkeitsanforderungen, die für den einzelnen Mann und sein Umfeld gefährlich sind. Die Idee, dass Männer Frauen grundsätzlich überlegen sind, ist ebenfalls Ausdruck toxischer Männlichkeit. Da gab es in den letzten Jahren wichtige Debatten. Aber es gibt eben auch starke Gegenbewegungen, die eine frauenfeindliche Haltung popularisieren und eine Macho-Kultur zelebrieren. Es ist der Abwehrkampf gegen eine geschlechtergerechte Gesellschaft und auch die Abwehr der männlichen Verunsicherung.

Ist US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump also stark verunsichert? Er ist ja so was wie der Inbegriff der Frauenfeindlichkeit. 
Ja, das scheint mir offensichtlich. Ein Mensch, der sich kennt und mag, ist nicht darauf angewiesen, seinen Selbstwert zu erhöhen, indem er sich über andere lustig macht. 

Auf der anderen Seite steht Kandidatin Kamala Harris, Hoffnungsträgerin für eine fortschrittlichere Gesellschaft. Sehen Sie diese Widersprüche auch in der Schweiz?
Auch in der Schweiz gibt es reichweitenstarke konservative Kräfte, welche die patriarchal-kapitalistische Gesellschaftsordnung mit viel Polemik und Aggression verteidigen. Es gibt Leute die finden es tatsächlich gut, wenn die Reichen reicher werden und die Armen arm bleiben. Sexismus, Rassismus und Klassismus sind dabei untrennbar verbunden.

Wie wirkt sich dieser Kulturkampf auf junge Männer und Frauen aus?
Bei den Jungen zeigt sich nicht nur in der Schweiz ein schnell wachsender Geschlechtergraben: Über 40 Prozent der jungen Männer bezeichnen sich in den neusten Umfragen als rechts. Gleichstellung ist für sie bedrohlich, weil sie im alten Glauben verfangen sind, dass ihnen als Männer nun mal ein grösseres Stück vom Kuchen zusteht. Über die Hälfte der Frauen unter 30 bezeichnen sich als links.

Die feministische Bewegung mit den grossen Frauenstreiks hat hier wahrscheinlich auch einen Beitrag geleistet. Braucht es jetzt einen Männerstreik?
Auf den können wir lange warten. Männer sind heute in einer speziell ungemütlichen Situation: Sie profitieren vom Patriarchat und leiden gleichzeitig darunter. Gleichzeitig müssen sie so tun, als würden sie beides nicht sehen. Denn sonst müssten sie sich ja mit Männlichkeit auseinandersetzen und sich gegen das Patriarchat auflehnen. Das ist für viele ein zu grosser Schritt. 

Bezeichnen sich deshalb so wenige Männer als «Feministen»?
Dass die feministische Bewegung auch für die Emanzipation von Männern kämpft, ist bei vielen immer noch nicht angekommen. Für den grossen Wandel brauchen wir einen Feminismus mit Männlichkeitskritik und Brücken für Männer in eine feministische Gesellschaft. Das gelingt in der Praxis aber noch selten. Der politische Auftrag für Gleichstellung bleibt bisher auch ziemlich oberflächlich: Patriarchatskritik ist da nicht erwünscht. 

MARKUS THEUNERT: «Vaterschaft ist eine sehr dankbare Möglichkeit, um sich als fürsorglichen Mann zu erfahren.» (Foto: zvg)

Und sehen Sie hier auch Potenzial bei den Gewerkschaften?
Die Gewerkschaften sind sehr aktiv bei der feministischen Gleichstellungsarbeit, aber kaum sichtbar als Bewegung für eine männliche Emanzipation. Da gäbe es grosse Potenziale. Viele Männer, die auf dem Bau arbeiten, haben im Alter von über 50 Jahren grosse gesundheitliche Probleme. Das hängt mit den Arbeitsbedingungen zusammen, aber es ist auch eine Folge des Mangels an Selbstfürsorge. In typischen Männerkulturen wie auf dem Bau gibt es besonders viel zu tun.

Und was würden Sie den Männern als Tipp mitgeben?
Wenn einem Mann wohl ist, dann muss ich ihn nicht «bekehren». Aber wir wissen, dass viele Männer nicht so happy sind. Weil sie weniger Freunde haben, weil sie Konflikte nicht gewaltfrei lösen können oder weil sie ihren Körper vernachlässigen. So entsteht auch viel Einsamkeit. Wenn diese Probleme da sind, lohnt es sich, sich mit Männlichkeit auseinanderzusetzen. Ganz einfach gesagt: weniger Selbstmanagement und Autopilot – mehr Fühlen, Spüren und Empfinden. Das ist das Gegenprogramm zu traditioneller Männlichkeit. Nicht den Kopf fragen, sondern den Körper. Zum Beispiel: Was soll ich essen? Dann wird der Körper eine Antwort geben: Gesünderes Essen und nicht einfach die Bratwurst. Das ist auch ein auffälliger Unterschied zwischen Männern und Frauen. Männer essen etwa doppelt so viel Fleisch wie Frauen, weil sie es für männlich halten. Aber übermässiger Fleischkonsum ist nicht gesund und führt zu vielen Krankheiten. 

Was macht Ihnen Hoffnung bei ihrer Arbeit mit Männern?
Das Erfreulichste ist die Zusammenarbeit mit werdenden Vätern. Wir bieten Männern zur Geburtsvorbereitung im Spital Kurse an. Das ist total schön und erfüllend, denn dort wird der Wandel sichtbar. Viele Männer wollen nicht wie ihre eigenen Väter sein und wollen mehr für ihre Kinder da sein. Vaterschaft ist eine sehr dankbare Möglichkeit, um sich als fürsorglichen Mann zu erfahren. 38 Prozent der unbezahlten Care-Arbeit innerhalb der Familie wird inzwischen von Männern gemacht und 62 Prozent von Frauen. Da sind wir natürlich immer noch sehr weit von einer gerechten Verteilung entfernt. Und gleichzeitig hat sich da schon viel verändert. Im Vergleich zu vor 20 Jahren sind das 10 Stunden mehr Care-Arbeit pro Woche. Immerhin! Da gibt es Bewegung und wenn es gleich schnell weitergeht, haben wir in der Schweiz in 56 Jahren Gleichstellung bei der familiären Betreuung von Kindern. 

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