Sexuelle Belästigung bei den SBB: 1400 Personen sind betroffen
«Das Ausmass hat die Chefetage überrumpelt»

Eine interne Umfrage bei den SBB deckt 1400 Fälle von ­sexueller Belästigung auf. Für Hanny Weissmüller, oberste Lokführerin der Schweiz, keine Überraschung.

WILL VERÄNDERUNG: Gewerkschafterin Hanny Weissmüller. (Foto: Florian Bachmann)

Eine unter Verschluss gehaltene interne Umfrage zu Diskriminierung, Mobbing und sexueller Belästigung bei den SBB gelangte in die Finger des «Sonntagsblicks». Dieser berichtete Anfang September von erschütternden Ergebnissen: In den vergangenen zwei Jahren haben zwölf Prozent der Befragten Diskriminierung erlebt, sieben Prozent Mobbing, und vier Prozent berichten von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. In einer Medienmitteilung rechtfertigt die SBB die Ergebnisse damit, dass sie mit nationalen und internationalen Studien vergleichbar seien und die Gesellschaft widerspiegelten.

Hanny Weissmüller (51), oberste Lokführerin der Schweiz (work berichtete: rebrand.ly/Lokfuehrerin), sagt zu work:

Überrascht bin ich von diesen Umfrageergebnissen grundsätzlich nicht. Aber dass 1400 Personen im Betrieb von sexueller Belästigung betroffen sind – dieses Ausmass hat mich schockiert.

Das Ausmass habe auch die Chefetage überrumpelt. Um die Betroffenen genügend zu unterstützen, müsse der interne Sozialdienst der SBB jetzt dringend ausgebaut werden.

Radikaler Kulturwandel

Weissmüller berichtet von Einzelfällen, die ihr bekannt waren. «Gerade im Führerstand arbeiten wir sehr nahe beieinander», so Weissmüller. Sie kenne auch einige Berufskolleginnen, die bei Billettkontrollen von Fahrgästen begrapscht wurden. Doch die Umfrage macht deutlich: Nicht nur unterwegs, sondern auch in den Büros findet man diese Problematik.

Zeugin von gröberen Übergriffen war Weissmüller nicht, hingegen weiss sie von vielen sexistischen Bemerkungen oder Witzen. Sie sagt:

Ich arbeite schon viele Jahre in einem männerdominierten Arbeitsumfeld. Doch für junge Frauen, die ihre ersten Arbeitserfahrungen in der Verkehrsbranche machen, ist es teilweise sehr schwierig. Sie werden oft sexualisiert und wissen noch nicht, wie sie sich wehren können.

Unter den Mitarbeitenden herrsche Verunsicherung: Wie muss ich mich bei Übergriffen verhalten? Wie kann ich mich wehren, ohne die eigene Position zu gefährden? Und ganz konkret: Können in Zukunft zwei Personen gemeinsam im Führerstand arbeiten?

Doch es besteht Hoffnung auf einen Kulturwandel. Die Babyboomer-Generationen geht bald in Rente. «Damit wird es bei den SBB auf einen Schlag zu vielen Pensionierungen kommen und eine Chance für eine radikale Veränderung in der Arbeits- und Führungskultur geben», sagt Weissmüller.

GRÜNE KRITISIEREN SBB

Die grünen Parlamentarierinnen ­Sibel Arslan, Florence Brenzikofer und Katharina Prelicz-Huber kritisieren die Geheimnistuerei der SBB rund um diese Umfrage scharf. Gemeinsam fordern die Politikerinnen vom Bundesrat Antworten auf dringende Fragen. Unter anderem, wie der Bundesrat den Entscheid der SBB, die Details aus der Umfrage unter Verschluss zu halten, wertet. Oder ob die Ergebnisse wirklich mit nationalen und internationalen Studien vergleichbar seien. Sie haben die Fragen am 18. September eingereicht, und diese werden in den kommenden Tagen im Bundeshaus behandelt.

Das sagt der Bundesrat zur Umfrage

In der Zwischenzeit hat sich der Bundesrat den Fragen der Grünen-Politikerinnen gestellt – zumindest halbwegs. Denn auf alle drei eingereichten Fragen liefert der Bundesrat die exakt gleiche, lauwarme Antwort. Nationalrätin und VPOD-Präsidentin Katharina Prelicz-Huber etwa wollte wissen, was die Regierung davon halte, dass die SBB die besagte Umfrage unter Verschluss hält. Doch dazu verliert der Bundesrat kein Wort! Ansonsten begrüsse er die Anstrengungen der SBB zu Präventionsmassnahmen. Im gleichen Zug schiebt der Bundesrat die Verantwortung von sich: «Das Bundesamt für Verkehr (BAV) ist verantwortlich für die Sicherheitsaufsicht im Eisenbahnverkehr und ist nicht zuständig für personalpolitische Angelegenheiten der Transportunternehmen.» 

Alle drei Fragen und die Mono-Antwort des Bundesrats sind hier, hier und hier zu finden.

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